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Wallraf-Richartz-MuseumJosé F.A. Oliver im mit dem Heinrich-Böll-Preis ausgezeichnet

Lesezeit 3 Minuten
Der Lyriker José F. A. Oliver erhielt von Oberbürgermeisterin Henriette Reker den Heinrich-Böll-Preis 2021.

Der Lyriker José F. A. Oliver erhielt von Oberbürgermeisterin Henriette Reker den Heinrich-Böll-Preis 2021.

Köln – Manchmal begreift man den Wesenskern von Menschen am besten über ihre Lieblingsdinge. Für José F.A. Olivers Vater, der 1960 mit seiner Frau aus Málaga nach Deutschland kam, war das „der Bosch“. Der stets prall gefüllte Kühlschrank als Tresor eines Gastarbeiters, der gern Gäste hatte – „das simple Manifest künftiger Einladungen“.

Genau bei diesem Gerät, über das der Autor so genüsslich geschrieben hat,  setzte Ilija Trojanow, Träger des Heinrich-Böll-Preises der Stadt Köln im Jahr 2017, in seiner Laudatio auf den diesjährigen Preisträger an. Im „andalusischen Schwarzwald-Dorf“ Hausach sei die Familie angekommen. Und auf die Frage, wofür das F. A. im Namen stehe, könne man ja antworten „Flucht und Ankunft“, riet Trojanow.

Familie kam von Andalisuien in den Schwarzwald

Bereits am Vorabend der Preisverleihung hatte Oliver bei einer Lesung seine Familiengeschichte skizziert. Der Vater habe den vier Kindern gern erzählt, wie es ihn aus Spaniens sonnigem Süden ins Land der dunklen Tannen verschlagen habe. Eigentlich sei er ja kühner Torero gewesen, bis eines Tages ein so mächtiger Stier in die Arena gestürmt sei, dass er weglaufen musste, immer weiter, eben bis nach Hausach.

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Hier wohnt sein Sohn heute noch, ist Essayist, Lyriker, Organisator des Festivals Hausacher Leselenz und hat die Wahlheimat in seinem Text „Mein andalusisches Schwarzwalddorf“ porträtiert. Dort wuchs er gewissermaßen viersprachig auf, beherrschte daheim Andalusisch, „also annähernd Spanisch“ und hörte nun Alemannisch, „annähernd Deutsch“.

Sinn für Besonderheiten der Sprache

Olivers Geschichte hält Oberbürgermeisterin Henriette Reker für hochaktuell. „Denn gesellschaftliche Vielfalt bedeutet einen Reichtum und Inspiration auch für die Sprache“, erklärt sie beim Festakt im Wallraf-Richartz-Museum.    Während die Eltern in diversen Fabriken malochten, brachte eine kinderlose Ersatzmutter den Geschwistern die neuen Wörter bei. Nicht hundertprozentig erfolgreich, wie sich Oliver in der Lesung in der Zentralbibliothek lachend erinnert, „denn einmal flog ich aus dem Unterricht, weil ich ,Heinrich von Kleischt’ gesagt habe“.

Die sprachlichen Verwerfungen der Kindheit haben José Olivers absolutes Gehör für etymologische Besonderheiten ausgeprägt. Gendern sei für ihn kaum ein Aufregerthema, schließlich wusste er früh, dass der Erdtrabant dort weiblich („la luna“), hier männlich sein kann. Eine Spezialität seines Schreibens ist der hintersinnig gesetzte Doppelpunkt, der Worte vieldeutig aufbricht: St:erben, gem:einsam oder L:over.  Sein Gedicht von der „Frau in Schwarz“ erzählt von jener Gastarbeiterin, die Morgen für Morgen „den Dreck der Nacht wegkehrte“.

Schreibförderung an Schulen

Am 20. Juli 1961 wurde José F.A. Oliver in Hausach als Sohn spanischer Gastarbeiter geboren. Er lebt dort als Autor und umtriebiger Kurator und entwickelte Programme für die Schreibförderung an Schulen. Zu seinen bekanntesten Lyrikbänden zählen „Auf:Bruch“, „nachtrandspuren“ und „finnischer wintervorrat“. Außerdem publizierte er die Essaysammlung „Fremdenzimmer“. Als Poetikdozent lehrte Oliver unter anderem am M.I.T im amerikanischen Cambridge. Er arbeitet als Übersetzer etwa von Federico García Lorca. (Wi.) 

Junge Texte aus dem Band „wundgewähr“ widmete er dem Kollegen Matthias Ènard. Dieser humorvolle, sanft und zugleich entschieden wirkende Mann kapselt sich nicht im Elfenbeinturm ab. Er war Stadtschreiber in Kairo, lehrte   in den USA und hat zehn Jahre lang mit Straßenkindern in Perus Hauptstadt Lima gearbeitet.

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Trojanow rezitierte Olivers Gedicht „Der Tag, an dem der Papst Peru besuchte“. Darin erinnert der Autor an das Massaker am 14. Mai 1988 in Cayara. Soldaten erschossen nach Angaben der Einwohner unter anderem fünf Männer, die Arbeiten in einer Kirche verrichteten. Später wurde ein Massengrab mit 28 Leichen entdeckt.

Die peruanische Menschenrechtskommission hatte mitgeteilt, die Armee habe in Cayara über 50 Menschen niedergemetzelt. Das Militär hat das Massaker an Dorfbewohnern dementiert und erklärt, alle Todesopfer der Militäraktion vom 14. Mai seien Mitglieder der Guerilla–Organisation „Leuchtender Pfad“ gewesen.

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