Pressestimmen zur Koalition„Dreierbündnis will klaren Bruch mit der Vergangenheit“

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Die Spitzen der Ampel-Parteien kurz vor der Vorstellung ihres Koalitionsvertrages am Mittwoch in Berlin.

Berlin – Der am Mittwoch von SPD, Grünen und FDP vorgelegte Koalitionsvertrag wird von der Presse im Ausland viel und breit kommentiert. Ein Überblick:

„Kommersant“ (Russland): Ampel zu konstruktivem Dialog mit Russland bereit

„Aus dem Vertrag folgt, dass Berlin zu einem konstruktiven Dialog mit Moskau bereit ist und auch russischen Bürgern bis 25 Jahre eine visafreie Einreise erlauben will. Die wahrscheinliche neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist zwar nicht nur einmal mit kritischen Äußerungen an die Adresse Moskaus aufgetreten, doch ruft man in den staatlichen Strukturen der Russischen Föderation dazu auf, daraus keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Es wird darauf hingewiesen, dass stets der Kanzler persönlich die deutsche Politik im Verhältnis zu Russland gesteuert hat.“

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„Neue Zürcher Zeitung“ (Schweiz): Koalitionsvertrag überzeugt nicht

„Die Koalitionäre erkennen die drängenden Probleme im Land, auf dem Weg zur Lösung verlaufen sie sich aber immer wieder im Unterholz. Das mag an weltanschaulichen Differenzen liegen oder auch am fehlenden Mut, die richtig dicken Bretter zu bohren. Davor hat sich schon die scheidende Kanzlerin Angela Merkel 16 Jahre lang gedrückt. Machterhalt hieß ihre stille Devise, der sich alles andere unterordnete. Sollten es SPD, Grüne und FDP ähnlich halten, wäre das stets wiederholte Mantra von Aufbruch und Fortschritt nur Gerede.“

„Tages-Anzeiger“ (Schweiz): Großer Aufbruch muss warten

„Scholz wird am 7. oder 8. Dezember zum Kanzler gewählt werden, so viel steht fest. Doch statt den großen Aufbruch anzukündigen, muss seine Regierung als Erstes die Pandemie unter Kontrolle bringen, im schlimmsten Fall, indem sie das Land erneut mehr oder weniger stilllegt. Für welche Corona-Politik Merkels Nachfolger steht, weiß Deutschland trotz monatelangem Wahlkampf noch nicht. Es wird es aber schnell herausfinden.“

„De Telegraaf“ (Niederlande): Zügige Regierungsbildung in Deutschland

„Während die geschäftsführende Regierung in Den Haag inmitten der Pandemie weiter Däumchen dreht, gibt es in Deutschland eine funktionierende Koalition. Gestern wurde die neue Ampelkoalition unter der Leitung von Olaf Scholz (SPD) vorgestellt. (...) Es scheint, dass unser größeres Nachbarland viel schneller eine Regierung bildet als das scheidende Team von Mark Rutte. In den Niederlanden fand die Wahl bereits im März statt, in Deutschland erst Ende September.“

„L'Alsace“ (Frankreich): Ampelkoalition zusammenzuhalten wird nicht einfach

„Olaf Scholz von der SPD wird also der nächste Kanzler. Die Aufgabe, diese bunt zusammengewürfelte Koalition beisammen zu halten, wird jedoch nicht einfach. Die neuen deutschen Spitzenpolitiker werden nunmehr nicht nur in ihren Worten, sondern auch in ihren Taten beweisen müssen, dass sie Sparmaßnahmen und wirtschaftlichen Aufschwung, Klimawende und soziale und gesellschaftliche Veränderungen, wie etwa die Legalisierung von Cannabis, miteinander vereinen können.“

„El Mundo“ (Spanien): Welt benötigt starke Regierung in Berlin

„Es ist eine großartige Nachricht und mit Sicherheit auch eine große Erleichterung, dass Deutschland, die unbestrittene Lokomotive Europas, ohne weitere Verzögerung eine neue Regierung haben wird. Das Land braucht eine starke und voll handlungsfähige Führung, um vor allem die schlimmste Infektionswelle seit Beginn der Coronavirus-Pandemie zu bewältigen. (...) Und im Rest der Welt, vor allem im EU-Club, häufen sich Herausforderungen wie die Migrationskrise an der Grenze zwischen Polen und Belarus, der latente Konflikt mit Russland oder die Pläne zur wirtschaftlichen Wiederbelebung, die vom Wiederaufleben der Pandemie bedroht werden. Es sind alles Themen, die eine starke Führung in Berlin erfordern.“

„Wall Street Journal“ (USA): Deutsche stimmten für Koalition des Aussitzens

„Der neue Kanzler, der auf Angela Merkel folgen soll, wird Olaf Scholz sein. Sein relativer Erfolg in der Abstimmung im September beruhte auf der Wahrnehmung, dass er nach der Merkel-Ära ein wenig verändern würde, aber nicht zu viel. Der Koalitionsvertrag, den er ausgearbeitet hat, bestätigt dies. Was den politischen Kurs angeht, so betreffen die wichtigsten Elemente des Koalitionsvertrags das Klima. Das war der Preis, den Scholz zahlen musste, um die Grünen an Bord zu behalten. (...) Die Deutschen haben abgestimmt, als wollten sie eine Regierung, die wichtige Auseinandersetzungen über die wirtschaftliche oder strategische Ausrichtung des Landes aussitzt. Der Wunsch der Wähler wurde zur Koalition von Scholz.“

„De Standaard“ (Belgien): Deutschland wagt ein spannendes Experiment

„Die Schwerpunkte, die dieses neue Team setzen will, sind laut den Verhandlungsführern nicht die Summe der Parteipositionen, sondern eine heftig diskutierte Vision, wie Deutschland gleichzeitig grün, sozial und liberal sein kann. Es wird ein spannendes Experiment: Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte wird Deutschland von einem Dreierbündnis regiert werden, das sich aus Politikern zusammensetzt, die einen klaren Bruch mit der Vergangenheit vollziehen wollen.“

„The Times“ (Großbritannien): Ampel-Koalition sorgt für lebhafte vier Jahre

„Aber Olaf Scholz wird gegenüber Großbritannien nicht zimperlich sein. Der Koalitionsvertrag enthält ausdrücklich eine Bestimmung zur Aufrechterhaltung des Nordirland-Protokolls. Boris Johnson könnte in Berlin auf eine härtere Haltung stoßen als Angela Merkels müde Nachsicht. Scholz kommt mit Erfahrung, einer liberalen Agenda und hohen Beliebtheitswerten ins Amt. Deutschland und seine Nachbarn können sich auf lebhafte vier Jahre einstellen.“

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„La Repubblica“ (Italien): Pandemie wirkte wie Geburtszange für Ampel-Koalition

„Die großen Krisen sorgen für starke Beschleunigung bei historisch-politischen Prozessen: Nach der langen Regierungszeit von Angela Merkel kehrt ein Sozialdemokrat an die Spitze einer deutschen Regierung zurück. Die dramatische Ausbreitung der Pandemie hat leibhaftig als Geburtszange funktioniert, um die Parteien der entstehenden Koalition zu einer fiebrigen Suche nach einer Einigung für ihr Programm zu zwingen.“ 

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