„Wir machen das nicht noch einmal mit“So erleben Anwohner den G7-Gipfel in Garmisch

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Die Teilnehmer einer Demo-Wanderung müssen stoppen. 50 G-7-Gegner hatten sich von Garmisch aus auf den Weg gemacht.

Die Teilnehmer einer Demo-Wanderung müssen stoppen. 50 G-7-Gegner hatten sich von Garmisch aus auf den Weg gemacht.

Garmisch – Die G7-Berichte werden im klimatisierten Internationalen Medienzentrum an der Talstation der Hausberg-Gondel in Garmisch geschrieben, zwölf Kilometer von Schloss Elmau entfernt. Auf Großbildschirmen ist meistens Olaf Scholz zu sehen: Wie er mit US-Präsident Joe Biden plaudert, mit Kanadas Premier Justin Trudeau durch den Schlosspark schlendert, den G7-Gästen aus Indonesien, Indien oder Südafrika ganz herzlich die Hand schüttelt. Der Blick immer entspannt und entschlossen gleichermaßen. Tolle Bilder vor dem Wettersteingebirge.

Einzige Störungen im Medienzentrum: Das permanente Dröhnen der Hubschrauber und das Knattern der Kaltluftschläuche. Dafür werden im Medien-Biergarten Helles und Grauburgunder serviert. Das muss darüber hinwegtrösten, dass man nicht an die Protagonisten herangelassen wird. Die Sperrzone ist undurchdringlich. Am Sonntag wurden zwar 25 auserwählte Medienvertreter per Hubschrauber zum Schloss geflogen. Aber nicht um Fragen zu stellen oder Hintergrundinformationen zu erhalten.

Protestzüge vs. Gute-Laune-Bilder

Sondern um die Scholz-Schau aus der Nähe beobachten und so quasi beglaubigen zu können. Pressekonferenzen gibt es erst heute, wenn der Gipfel vorbei ist. Bis dahin: nur Gute-Laune-Bilder. Außerhalb der Gipfelblase herrscht eine andere Stimmung. Gestern um 10 Uhr starten auf dem Bahnhofsplatz in Garmisch bei sengender Hitze zwei Protestzüge. Rund 50 G7-Gegner brechen zu einer Demo-Wanderung auf. 50 weitere radeln nach Klais, dem Ort, der am nächsten an Schloss Elmau liegt.

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Helmut Groß aus Bad Tölz ist in der Wandergruppe. Er ist verdammt sauer auf die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland: „Ich bin entschieden dagegen. Das Eskalationspotenzial ist riesig“, sagt er. „Die Konsequenzen der Sanktionen sind für uns hart, bringen aber keine Lösung.“ Groß ist bei Weitem nicht der einzige der G7-Gegner, die gar nichts von der westlichen Allianz gegen Wladimir Putin halten, die Scholz in Elmau schmiedet. Ja, denen es am liebsten wäre, den Krieg zu ignorieren.

Krisen pulverisieren die Protestbewegung

Was in Garmisch zu beobachten ist: Die vielen gleichzeitigen Krisen pulverisieren die Protestbewegung. Irgendwie pro Putin? Da wollen viele nicht mitmachen. Zudem fehlt der Bewegung eine Identifikationsfigur. Hinzu kommt, dass Olaf Scholz Länder aus dem „globalen Süden“ nach Elmau geladen und den G7-Horizont erweitert hat.

Für die Protestwanderer ist das zwar nur ein Feigenblatt für die „Hybris“ des Westens. Aber sie sind auch nur ein kleines Grüppchen. Eine breite Anti-G7-Bewegung gibt es in diesem Jahr nicht. Am Ende des Tages dürfen wenige Dutzend zuvor kontrollierte und registrierte Demonstranten in Rufweite des Schlosses eine Kundgebung abhalten. Stören kann das Olaf Scholz nicht wirklich.

Fahrrad-Corso geht an erster Steigung die Puste aus

Dem Fahrrad-Corso nach Klais geht schon an der ersten Steigung die Puste aus. „Auf geht’s“, motiviert die Polizistin, die vorneweg fährt. „Wir brauchen noch“, stöhnt der Anführer der G7-Gegner. In der Truppe sind etliche Betagte und drei jüngere Vermummte. Der Stau, der sich hinter den Radlern gebildet hat, ist schon kilometerlang. Die Hälfte der Fahrzeuge in der Schlange ist von der Polizei.

Peter Wurm ist richtig auf der Zinne. Er hat von seinem Gartenzaun aus das Protestzüglein beobachtet. „Recht haben sie, der Gipfel ist Schwachsinn“, sagt der Garmischer. Klar, der Ukraine-Krieg sei ein Riesen-Schlamassel. „Aber Scholz und seine Freunde ändern daran überhaupt nichts.“ Der 75-Jährige, der ein paar Ferienwohnungen vermietet, hält das Treffen der Mächtigen bei ihm vor der Haustür für komplett überflüssig. „Übermorgen haben wir eine ganz andere Krise. Gemeinsam für eine bessere Welt? Pah, da macht halt eh ein jeder, was er will.“

Stress, der das Alpenparadies verstört

Wütend ist Wurm auf den Stress, der sein Alpenparadies verstört. „Schauen Sie sich das Chaos an, es fährt keine Bahn, kein Bus, kein Taxi, keine Gondel! Stattdessen Hubschrauber-Gedröhne von früh bis spät. Die Urlauber wissen nicht ein noch aus. Es reicht wirklich!“ Und Geld bringe der Gipfel nur den Falschen ein: „Die großen Hotels, die machen großen Reibach, sind voll mit Polizisten und Journalisten. Aber die kleinen Vermieter? Wir haben hier höchstens halb so viele Touristen wie sonst.“ Der Einheimische kennt viele Geschäftsleute und Regionalpolitiker. „Wir machen das nicht noch einmal mit“, sagt Wurm.

Er unterbricht seine Tirade, weil ein Militärhubschrauber mit Mordsgetöse über die Felder fliegt. Als Joe Biden am Samstagabend bei München landete, wollte er nicht mehr in den Hubschrauber steigen. Um seine Autokarawane zu schützen, wurde Garmisch für fünf Stunden komplett abgeriegelt, nichts ging vor noch zurück. Eine Schaffnerin im Zug nach Oberau, dem letzten Ort vor den ersten Polizeisperren, zeigt stolz das Handy-Video, das sie von Bidens Tross gedreht hat. Sie schwankt hin und her zwischen Spaß an dem Trubel und Frust über die Störung ihrer Idylle.

„Für Urlaubsgäste ist das eine Katastrophe“

Alois Winterhalter wurde aus dem Schwarzwald fünf Tage zum Gipfel „strafversetzt“, wie er sagt. Der Busfahrer stemmt den Schienenersatzverkehr zwischen Oberau und Garmisch. „Dauernd Leute, die die Orientierung verloren haben“, sagt der 60-Jährige. „Für die Menschen hier und die Urlaubsgäste ist das eine Katastrophe.“

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Auch Winterhalter bezweifelt den Sinn des Gipfels. „Es ist eine schwierige Zeit, in der wir leben, und alles wird noch schlimmer, fürchte ich. Der Zirkus hier wird daran kaum was ändern, daheim schert es die Regierungen doch gar nicht, was auf dem Gipfel beschlossen wurde.“

Der gemütliche Schwarzwälder leistet auf seine Art Widerstand: Er sammelt nach Dienstschluss Journalisten auf, die sonst nur mit stundenlangen Nachtwanderungen ihr Hotel erreichen würden, weil sonst nichts fährt. „Darf ich nicht, mache ich trotzdem“, sagt er und wünscht gute Gipfeltage. „Ich kann am Mittwoch zurück nach Hause. Gott sei Dank.“

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