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Analyse der LageWas es mit dem U-Boot-Streit auf sich hat und welche Folgen drohen

Lesezeit 5 Minuten
Atom-U-Boot

Mit einem neuen Sicherheitspakt im Indopazifik haben die USA, Großbritannien und Australien Verbündete vor den Kopf gestoßen.

Die Franzosen kennen ihren Außenminister Jean-Yves Le Drian als ruhigen und jovialen Bretonen, der seine Worte mit Bedacht wählt. Wenn ausgerechnet er über „die Lügen und die Doppelzüngigkeit“ vermeintlicher Partner klagt, illustriert dies, wie gravierend die Situation ist: Frankreich fühlt sich durch den Sicherheitspakt „Aukus“ zwischen den USA, dem Vereinigten Königreich und Australien von seinen Partnern ausgebootet.

Die drei Länder haben vereinbart, dass Canberra unter anderem nuklear betriebene U-Boote mit Technik aus den USA und Großbritannien erhält. Das Bündnis gilt als Schulterschluss gegen den wachsenden Einfluss Chinas im pazifischen Raum. Zugleich hebelt es aber auch einen 2016 getroffenen 56-Milliarden-Euro-Vertrag aus, bei dem das französische Rüstungsunternehmen Naval Group, das zu 62 Prozent dem Staat gehört, zwölf mit Diesel betriebene U-Boote an Australien liefern sollte.

Heimlich im Hintergrund vorbereitet

Le Drian zufolge wurde der „Aukus“-Pakt über Monate hinweg heimlich vorbereitet, war weder Thema beim Besuch des australischen Premierministers Scott Morrison im Juni noch bei der Visite der australischen Verteidigungs- und Außenminister am 30. August in Paris. Damals wurde in einer gemeinsamen Erklärung sogar noch die „Bedeutung des künftigen U-Boot-Programms“ hervorgehoben.

Alles zum Thema Donald Trump

Er selbst erfuhr von „Aukus“ eine Stunde vor der offiziellen Bekanntmachung, so Le Drian: „Unter Alliierten behandelt man sich nicht mit solcher Brutalität und Unvorhersehbarkeit.“ US-Präsident Joe Biden benehme sich wie sein Vorgänger Donald Trump, „nur ohne die Tweets“. Es handele sich außerdem um eine Belastung für die Nato. Frankreichs Europaminister Clément Beaune nannte es „undenkbar“, die 2018 begonnenen Freihandelsverhandlungen zwischen der EU und Australien fortzuführen, „als wäre nichts gewesen“.

Einbestellung des Botschafters als beispielloser Vorgang

Paris bestellte die Botschafter in Canberra und in Washington zu Konsultationen ein – ein beispielloser Vorgang in der Geschichte der Länder. Vorgekommen war das nicht einmal 2003 während der Krise zwischen Frankreich und den USA anlässlich des amerikanischen Irak-Feldzugs. Regierungssprecher Gabriel Attal zufolge werden die Präsidenten Emmanuel Macron und Joe Biden „in den nächsten Tagen“ ein Telefonat führen. Die Initiative dazu sei von Biden ausgegangen, betonte Attal.

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Einen in Washington geplanten Galaabend zur Erinnerung an eine wichtige Seeschlacht während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges vor 240 Jahren sagte Paris vergangene Woche ab. Verteidigungsministerin Florence Parly vertagte ein Treffen mit ihrem britischen Kollegen Ben Wallace auf unbestimmte Zeit. Und sollte Le Drian am Rande des UN-Gipfeltreffens in New York eigentlich mit seinen Pendants aus Australien und Indien für die „Vertiefung der strategischen Partnerschaft im Südpazifik“ zusammenkommen, so trifft er nun nur den Inder Subrahmanyam Jaishankar.

Finanzielle, wirtschaftliche und politische Demütigung

Frankreich fühlt sich einerseits düpiert. Die finanziellen und wirtschaftlichen Verluste wiegen dabei noch weniger schwer als die politische Demütigung durch befreundete Staaten und die Infragestellung seiner Sicherheitsstrategie unter anderem im Indopazifik, wo fast zwei Millionen französische Bürger leben. Diese Strategie basiert auf starken Partnerschaften und auf dem Export von Rüstungsgütern und Waffen – das Nachsehen hinter den Briten zu haben, stellt nun einen bitteren Rückschlag dar.

Andererseits sieht sich Paris gestärkt in seinem Drängen nach einer größeren „strategischen Autonomie“ der EU, die sich zu abhängig von den USA mache: Schon lange wünscht sich Macron, dass die Europäer ihre gemeinsamen Interessen stärker verteidigen. Nun erhielt er für diese Forderungen eine Steilvorlage.

Boris Johnson will vermitteln

Großbritannien bemüht sich inzwischen, die Wogen zumindest verbal zu glätten. Der britische Premier Boris Johnson versicherte, London und Paris hätten eine „sehr freundliche Beziehung“, die „von äußerster Wichtigkeit“ sei. „Unsere Liebe zu Frankreich ist unauslöschbar“, sagte Johnson auf dem Flug zur UN-Generalversammlung in New York. Der „Aukus“-Deal solle niemanden ausschließen.

Der australische Premierminister Scott Morrison betonte derweil, er bereue es nicht, den Deal mit Paris aufgekündigt zu haben. „Es ist verständlich, dass in diesem Fall die andere Partei, die an diesem Vertrag beteiligt war, gekränkt und enttäuscht ist. Das verstehe ich“, sagte er. Jedoch gingen die australischen Interessen für ihn vor. Er habe „tiefe und ernsthafte Bedenken“ gehabt, dass die französischen U-Boote nicht ausgereicht hätten, „um unsere souveränen Interessen zu schützen“, sagte Morrison.

Und die Bundesregierung? Sie befürwortet das direkte Gespräch zwischen Biden und Macron, will laut Sprecher Steffen Seibert aber ansonsten Vergabeentscheidungen bei Rüstungsvorhaben nicht kommentieren. Mehrere deutsche Außenpolitiker fordern hingegen, Berlin müsse eine aktivere Rolle einnehmen. Zumal von dem geplatzten U-Boot-Geschäft offenbar auch eine Tochter des deutschen Rüstungskonzerns Thyssen Krupp betroffen ist: Atlas Elektronik mit Hauptsitz in Bremen sollte die Sonartechnik für die in Frankreich gebauten Schiffe liefern. (mit afp/dpa)

Handelsgespräche werden belastet

Der U-Boot-Streit zwischen Frankreich auf der einen Seite und Australien, den USA und dem Vereinigten Königreich auf der anderen Seite beschäftigt mittlerweile auch Brüssel. Denn zwischen der EU und Australien laufen derzeit Verhandlungen um ein Handelsabkommen. Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune stellte diese nach der Ankündigung des neuen Indopazifik-Bundes „Aukus“ nun sogar offen infrage – und sorgte damit im Kreis der EU-Handelspolitiker für Aufregung.

Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), prophezeite „viele Schwierigkeiten“, die auf die Partner zukämen. Die Gespräche würden „jetzt viel komplizierter“, sagte Lange. Damit könnte ein Abschluss der Verhandlungen in weite Ferne gerückt sein. „Die Bereitschaft zu Kompromissen, insbesondere im Agrarbereich, ist nun sehr begrenzt, vor allem in Frankreich.“

Die EU exportiert vorwiegend Fertigungsgüter nach Australien, während von dort vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse und mineralische Rohstoffe eingeführt werden. Innerhalb der Mitgliedstaaten herrsche großer Ärger über die Situation, sagte Lange. Denn es gehe eben nicht nur um Frankreich. Zahlreiche Firmen vom Kontinent seien involviert. Seine Schlussfolgerung: „Wir müssen in der EU darüber nachdenken, inwieweit Handelspolitik abgekoppelt neben Sicherheitspolitik stehen kann.“ (kapri)

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