NRW-VerfassungsschutzchefWas Burkhard Freier über die Querdenker-Szene sagt

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Querdenker Demo in Leipzig

Teilnehmer der Demonstration der Initiative "Querdenken" in Leipzig

  • Teile der Querdenker-Szene stehen nun bundesweit unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes.
  • Sandro Schmidt sprach mit dem NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier über die Gefahren der Bewegung.

Herr Freier, wer ist inzwischen der Querdenker-Szene zuzurechnen und hat sich ihre Zusammensetzung in den letzten Monaten verändert?

Die Zusammensetzung der Teilnehmenden an den Protestveranstaltungen verändert sich – die Gruppe wird breiter. Es protestieren Kritiker der Schulmedizin, Impfgegner, Esoteriker, Aussteiger, Hooligans, Reichsbürger, Rechtsextremisten, aber zu einem großen Teil auch Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft. Was wir aber auch sehen: Die Protestbewegungen gegen Corona-Schutzmaßnahmen radikalisieren sich und werden zunehmend demokratiefeindlicher. Einige nutzen beispielsweise die Veranstaltungen und Kundgebungen, um aggressiv und gewaltbereit gegen Sicherheitskräfte vorzugehen. Andere verunglimpfen hemmungslos Politiker, Wissenschaftler oder Medienvertreter.

Wie groß ist die Szene?

Eine der größten und bekanntesten Protestbewegung ist „Querdenken“. Das ist eine Initiative, die nach eigenen Angaben bundesweit über mehr als 70 regionale Initiativen hat. Sie geht in ihrem Ursprung auf die Untergruppe „Querdenken – 711“ aus Stuttgart zurück. In NRW gibt es derzeit 19 Initiativen, die auf Telegram rund 45 Kanäle bzw. Gruppen mit ungefähr 7000 Profilen unterhalten.

Wie ist der Anteil der Rechtsextremisten?

Bei Veranstaltungen der demokratiefeindlichen „Corona-Leugner“ liegt der Anteil an teilnehmenden Rechtsextremisten und Reichsbürgern bei etwa zehn Prozent.

Wie macht sich deren Wirken bemerkbar?

Einflussreiche Protagonisten der rechtsextremistischen Szene, rechtsextremistische Parteien wie „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ und auch die rechtsextremistische Mischszene wie „Bruderschaft Deutschland“ mischen sich unter die Protestveranstaltungen und suchen Gesprächskontakte. Dabei transportieren sie rechtsextremistische und verschwörungsideologische Positionen. Über die Ablehnung der Corona-Schutzmaßnahmen versuchen sie, auch verfassungsfeindliche Themen salonfähig zu machen und als vorgeblich Verbündete von „Querdenken“ und anderen Bewegungen die Demonstrationsteilnehmer gezielt zu beeinflussen. Hinzu kommt: Durch das öffentliche Interesse für die Corona-Proteste erzielen die teilnehmenden Rechtsextremisten eine große Öffentlichkeitswirkung.

Sind die Proteste gegen die Pandemie-Politik für viele Querdenker nur ein vorgeschobener Grund, um Anhängerschaft für ihre demokratie-feindlichen Ziele zu sammeln?

Die ursprüngliche Intention der Proteste, gegen die von staatlicher Seite veranlassten Corona-Maßnahmen zu protestieren, gerät jetzt zum Teil in den Hintergrund. Die Proteste werden auch genutzt, um staatliche Institutionen, prominente Einzelpersonen, Regierungen und Medien selbst zum „Protest- und Hassobjekt“ zu machen. Dadurch besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten die Corona-Proteste weiter instrumentalisieren, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen. Kritisch ist, dass die Versuche der rechtsextremistischen Szene, das Vertrauen in die demokratische Ordnung zu erschüttern, anscheinend zunehmend auch Sympathie im nicht-extremistischen Protestspektrum finden.

Der Thüringer Verfassungsschutz-Präsident, Stephan Kramer, meint: „Wir haben es mit einer Bestrebung zur Diffamierung und Delegitimierung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der Institutionen dieses Staates zu tun“. Sehen Sie das auch so?

Das kann ich so unterstreichen. Die ursprüngliche Skepsis gegen staatliche Pandemiemaßnahmen entwickelt sich mehr und mehr in eine demokratiefeindliche und sicherheitsgefährdende Haltung. Immer häufiger nutzen die Corona-Leugner den Sprachgebrauch der Rechtsextremisten. Zum Beispiel wird die Berufung auf ein vermeintliches Widerstandsrecht – wie im Rechtsextremismus – verknüpft mit der Propagierung von Gewalt. So wird ein Klima erzeugt, dass die Gefahr einer Radikalisierung bis hin zur Ausübung von Gewalttaten in sich birgt.

Die Worthülsen der Rechtsextremisten bedienen auch die jüngste extremistische Verschwörungsideologie des „great reset“ (Der große Neustart). Darin wird behauptet, „globale Finanz-Eliten“ und die Führer der Welt hätten eine Pandemie geplant. Sie ließen demnach absichtlich das Coronavirus frei, um dadurch die Bedingungen für eine Unterdrückung der Bevölkerung und eine Umstrukturierung der Regierungen der Welt zu schaffen.

Muss sich der Durchschnittsbürger, der sich aus Verärgerung über Corona-Schutzverordnungen Demonstrationen anschließt, vorwerfen lassen, naiv zu handeln und am Ende Staatsfeinde zu unterstützen?

Wer in einer Demonstration neben einem läuft, der eine Reichsflagge schwingt, und sich nicht deutlich distanziert, der weiß genau, was er tut. Jeder sollte genau hinschauen, mit wem er sich gemein macht, wenn er bei Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen mitläuft. Diejenigen, die mit berechtigten Anliegen teilnehmen, sollten sich deutlich von Rechtsextremisten abgrenzen.

Das ist zugleich eine Frage für die Veranstalter, die sich sehr deutlich von Hooligans, Reichsbürgern und Rechtsextremisten distanzieren müssen und von den Demonstrationen ausschließen sollen. Das heißt aber noch nicht, dass wir jeden Durchschnittsbürger, der an einer solchen Demonstration teilnimmt, zukünftig beobachten.

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Der Berliner Verfassungsschutz hat jüngst die Querdenker-Bewegung als Verdachtsfall eingestuft und folgt damit Bundesländern wie Hamburg, Baden-Württemberg, Bayern. Warum ist das in NRW noch nicht der Fall?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat vor wenigen Tagen nach Abstimmung mit den Verfassungsschutzbehörden der Länder, „Querdenken“ und andere Gruppierungen innerhalb dieser Bewegung als demokratiefeindliche und sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates eingestuft. Damit sind diese Bewegungen Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzbehörden.

Der NRW-Verfassungsschutz hat die Protestbewegung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen seit März 2020 intensiv im Blick, insbesondere die Versuche der Einflussnahme und Instrumentalisierung durch Rechtsextremisten. Aufgrund der zunehmenden Radikalisierung wird der Verfassungsschutz NRW wie das Bundesamt für Verfassungsschutz die demokratiefeindlichen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen innerhalb dieser Bewegung beobachten – und das auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Dazu ist zum Beispiel das Verhalten der „Corona-Rebellen Düsseldorf“ und der Querdenken-Bewegung in Nordrhein-Westfalen maßgeblich.

Es geht hier aber nicht nur um die isolierte Betrachtung einzelner Gruppierungen, sondern es müssen alle entsprechenden Gruppierungen in den Blick genommen werden: Sie vernetzen sich untereinander und teilweise auch mit Rechtsextremisten und es kommen immer wieder neue Personen und Gruppen hinzu. Diese Gruppierungen eint, dass sie mit ihrem Verhalten den Staat verunglimpfen und die Legitimität seiner Maßnahmen in Frage stellen. Deshalb ist es wichtig, dass der Verfassungsschutz weiter nah an der zukünftigen Entwicklung dieser Bewegung dran bleibt. Dabei geht es um eine ganzheitliche und umfassende Analyse.

Wo sind die Schwerpunkte der Querdenker-Bewegung in NRW zu verorten?

Die Aktivitäten dieser Gruppen finden derzeit in vielen Städten statt; Schwerpunkte mit größeren Aktionen sind die Ballungsräume in Nordrhein-Westfalen. Derzeit gibt es in mehreren Städten Autokorsos, beispielsweise im Ruhrgebiet, Ostwestfalen-Lippe und im Rheinland.

Ist damit zu rechnen, dass sich die Bewegung mit einem Abflauen der Corona-Pandemie zerstreut?

Es muss damit gerechnet werden, dass die aktuelle Anti-Corona-Bewegung sich jederzeit auch ein anderes Vehikel suchen wird, um die demokratiefeindliche und sicherheitsgefährdende Haltung gegenüber Staat und demokratisch legitimierten Einrichtungen und Institutionen zu zeigen. Auch Verschwörungsideologien wird es weiter geben. Diese bergen immer die Gefahr für antisemitische Gewalt und für Gewalt gegen politisch Verantwortliche in sich. Deshalb geht der Verfassungsschutz davon aus, dass die Beobachtung der verfassungsfeindlichen Delegitimierung des Staates eine längerfristige Aufgabe ist.

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