Annalena Baerbock oder Robert HabeckSpitzenkandidaten der Grünen im Redaktionscheck

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Robert Habeck und Annalena Baerbock beim digitalen Bundesparteitag der Grünen.

Robert Habeck und Annalena Baerbock beim digitalen Bundesparteitag der Grünen.

Berlin – Bei der Union fliegen die Fetzen, bei den früher so streitlustigen Grünen herrscht reine Harmonie. Zumindest vor den Kulissen. Am Montag um 11 Uhr wollen Annalena Baerbock und Robert Habeck verkünden, wer von beiden als Spitzenkandidat für die Wahl im September antritt. Was spricht für sie, was für ihn? Stärken und Schwächen der Grünen-Spitzen im Vergleich:

Popularität

Ob Umfragen wichtiger sind als Kompetenz und Charaktereigenschaften, darüber schlagen sie sich bei CDU und CSU gerade fast die Köpfe ein. Aber auch bei den Grünen wird natürlich akribisch beobachtet, wer das beste Zugpferd wäre. Robert Habeck war zweieinhalb Jahre lang der Sonnyboy der Umfragen. Noch vor kurzem hieß es: Mit Habeck ist das Potenzial, über die grüne Kernwählerschaft hinaus Stimmen zu holen, erheblich größer als mit Baerbock. Intern war von einem Habeck-Effekt von mindestens plus fünf Prozent die Rede. Das wäre ein sehr gewichtiges Argument gewesen.

In den vergangenen Wochen haben sich die Kurven verschoben: Die Co-Vorsitzende ist plötzlich aus dem Schatten des Co-Vorsitzenden herausgetreten. Ihre zackigen Talkshow-Auftritte, ihre Auf-den-Punkt-Kritik an der Corona-Politik (die ihr nicht konsequent genug ist), haben dazu beigetragen.

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2019 lag Habeck bei der K-Frage in der Gesamtbevölkerung noch mit rund 40 zu 10 vorn. Anfang der Woche ergab eine Umfrage für den „Spiegel“: 32 Prozent für Habeck, 25 Prozent für Baerbock. Bei den Grünen-Wählern lag Baerbock mit 45 zu 35 vorn. Und an diesem Freitag dann der „Deutschlandtrend“: Unter allen Wählern steht es jetzt 24 zu 22 – für Baerbock! Und in der eigenen Partei liegt Habeck mit 35:50 im Hintertreffen.

Charisma oder Merkel II.

Mit seiner positiven persönlichen Ausstrahlung hat Habeck nahezu ein Alleinstellungsmerkmal unter Deutschlands Spitzenpolitikern. Der Mann kommt sympathisch daher, als stünde er über den zermürbenden Streitigkeiten des Alltagsgeschäftes. Allerdings hat er die Image-Pflege übertrieben. Spätestens die inszenierten Pferde-Fotos im vergangenen Sommer erweckten den Eindruck von Eitelkeit und realitätsferner Selbstverliebtheit. So wurde das unbestreitbare Charisma zur Hypothek, macht ihn trotz aller Erfahrungen als Vizeministerpräsident von Schleswig-Holstein für den Verdacht anfällig, er sei ein politisches Leichtgewicht. Das bietet dem politischen Gegner Angriffsfläche. Wenn CDU-Mann Thomas de Maiziére den 51-jährigen Habeck als „Philosophen“ anredet, will er Habeck als Kuschel-Intellektuellen abstempeln.

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Baerbock kann mit ihrem Temperament zwar Parteitage rocken, ist alles andere als spröde, steht in Sachen Charisma aber hinter Habeck zurück. Die 40-Jährige kniet sich in die Detail-Arbeit, kann schroffer wirken, hat immer auch wieder etwas Unterkühltes an sich. Nicht strahlen, sondern Aufgaben lösen: Nicht wenige sehen in Baerbock eine Angela Merkel in Grün. In Krisenzeiten wie diesen muss das kein Nachteil sein.

Härtegrad

In Debatten und TV-Diskussionen ist Baerbock nicht die Butter vom Brot zu nehmen. Eine harte politische Feuerprobe musste die Völkerrechtlerin, die an einer britischen Elite-Uni studierte und seit 2013 im Bundestag sitzt, bislang aber nicht bestehen. Dass Baerbock jede Regierungserfahrung fehlt, ist sicher ihr größtes Manko.

Habeck war sechs Jahre lang stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, regierte in einer Jamaika-Koalition mit CDU und FDP, war Ressortchef für die Schlüsselzukunftsthemen Umwelt und Landwirtschaft. Dass er damals den viel besungenen „Muschelfrieden“ zwischen Fischern und Umweltschützern hinbekam, reicht als Zeugnis fürs Kanzleramt indes kaum aus. Zudem hat Habeck Schwierigkeiten, Attacken an sich abperlen zu lassen. Die Häme etwa, die sich über seine Pferde-Bilder ergoss, setzte ihm ebenso zu wie gehässige Überschriften, er sei ein „Homo Laber“. Hört man sich in der Partei um, wer der taffere der beiden Spitzen-Grünen sei, fällt stets der Name der Frau.

Visionär-Faktor

Habeck ist der Erfinder der Grünen-Strategie, Wähler nicht durch Streit, Attacken und Verbote zu verprellen, sondern auf den Wohlfühlfaktor zu setzen und es – ganz politik-untypisch – mit positiven Botschaften zu versuchen. Ecken und Kanten? Sucht man vergeblich. Statt politischer Nahkampf die gemeinsame Gesellschaftsziele in den Fokus rücken: Mit dem Alleinstellungsmerkmal traf Habeck einen Nerv, damit waren die Grünen extrem erfolgreich, bis der Corona-Frust über das Land hereinbrach. Womöglich zieht die Vision einer freundlichen Politik wieder, wenn alle geimpft sind.

Visionär ist Habeck aber auch auf einem anderen Feld. Er entwarf das Investitionskapitel im Grünen-Wahlprogramm. 50 Milliarden Euro will die Partei im kommenden Jahrzehnt in die ökologische Modernisierung des Landes pumpen, finanziert vor allem durch Kredite.

Der Aufschlag ist deutlich kühner als der der SPD, stützt sich aber auf die Einschätzung führender Ökonomen, wonach der Staat mehr Geld in die Hand nehmen muss, und Schuldenbremsen zum Handicap für spätere Generationen werden würden.

Baerbock übernimmt im Grünen-Spitzenduo den Part der Realpolitikerin. Sie hat das Internationale übernommen, sie hat – etwa mit ihren sicherheitspolitischen Positionen – auch manchen Basis-Grünen irritiert. Nicht visionär, aber auch nicht ideologisch. Sollte es nicht für das Kanzleramt reichen, vielleicht ja für das Außenamt.

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