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Armin Laschet im Interview„Können nicht 80 Millionen rund um die Uhr kontrollieren“

Lesezeit 11 Minuten
Armin Laschet

Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen

  • NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) spricht im Interview über Corona, Kanzlerin Merkel und ihre Nachfolge
  • Das Gespräch führten Moritz Döbler und Maximilian Plück in Düsseldorf.

Das neue Jahr wird auch geprägt sein vom Ende der Ära Merkel. Wie groß sind die Fußstapfen für ihren Nachfolger? Armin Laschet Groß. Die Bundeskanzlerin hat dieses Land in ihren 16 Jahren Regierungszeit durch vier gewaltige, Krisen geführt: die Weltfinanzkrise, die Euro-Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise und jetzt die Pandemie. All dies zu bewältigen, gelingt nur einer ganz großen Persönlichkeit.

Kann man sich überhaupt jemanden vorstellen, dem die Schuhe passen?

Angela Merkel hat als erste Regierungschefin in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt entschieden, selbstbestimmt das Amt zu verlassen. Ein Novum. Die Aufgabe als Bundeskanzler ist immer eine große, aber dem, der Angela Merkel nachfolgt, muss es gelingen, vom ersten Tag an in das Amt hineinzuwachsen und es auszufüllen.

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Man kann wahrlich nicht sagen, sie hört auf, wenn es am Schönsten ist…

Nein, das wohl nicht. Aber sie entscheidet selbst – und das hat Größe. Sehen Sie sich als gesetzten Nachfolger?

Wenn man als CDU-Bundesvorsitzender bewirbt, muss man auch dazu bereit sein. Aber wer letztlich der Kandidat der Union für die Kanzlernachfolge wird, werden wir gemeinsam mit der CSU in Ruhe besprechen.

Am Samstag kommender Woche wird der neue CDU-Vorsitzende gewählt. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz des Wahlkampfes aus?

Der Begriff Wahlkampf scheint mir für diese Situation unpassend. Als ich mein Angebot gemeinsam mit Jens Spahn öffentlich gemacht habe, hatten wir am gleichen Tag den ersten Covid-Fall in Nordrhein-Westfalen. Da habe ich mich natürlich in erster Linie auf die Pandemiebekämpfung konzentriert. Meine Kandidatur unter Echtzeitbedingungen ist wohl auch etwas anders als die der Mitbewerber. Natürlich aber bin ich, gerade jetzt kurz vor dem Parteitag, in intensivem Austausch mit Delegierten, mit der Basis, vor allem digital.

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Auch jenseits von NRW?

Gerade da! Hierzulande habe ich ja durchgehend zu den Akteuren Kontakt. Hier wissen viele um den Erfolg unserer Arbeit. Die größere Aufgabe war es, diejenigen zu erreichen, die nicht jeden Tag die NRW-Landespolitik verfolgen und wissen, wie ich arbeite und führe.

Schmerzt es Sie, dass Merz meint, die ostdeutschen Bundesländer hinter sich zu haben, obwohl NRW sich oft für die Belange der dortigen Landesverbände eingesetzt hat?

Ich teile die Wahrnehmung nicht. Ich nehme von überall viel Unterstützung wahr, auch und nicht zuletzt aus ostdeutschen Landesverbänden.

In den aktuellen Umfragen liegen die anderen Kandidaten in Sachen Beliebtheit vor Ihnen. Ticken die Delegierten anders als der Wähler?

Es gibt solche und solche Umfragen. Mal sind andere vorne, mal wieder wie zuletzt ich. Ich bin mir aber sicher, dass die Delegierten nicht irgendwelchen Umfragen folgen, sondern sich vor allem überlegen, mit welchem Parteivorsitzenden die CDU die Erneuerung in der Regierung schafft und bei der Bundestagswahl erfolgreich sein kann. Ich habe in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass ich in schwieriger Lage eine Wahl gewinnen und eine Regierung führen kann. Angesichts der Stärke der Grünen müssten Sie sich dann aber doch beherzter für eine Kanzlerkandidatur in Stellung bringen. Es wird mir viel zu viel – auch von meinen Mitbewerbern – über die Grünen geredet. Es wird so getan, als sei Schwarz-Grün ausgemachte Sache. Wenn es eine rechnerische Mehrheit für Rot-Rot-Grün gibt, werden die Grünen das machen. Die CDU muss stark genug sein. Und die Liberalen auch.

Wo sehen Sie inhaltlich mehr Schnittmengen – bei den Grünen oder der FDP?

Deutlich mehr bei der FDP, mit der wir in ganz vielen Kernfragen der Politik ein ganz ähnliches Grundverständnis haben. Man kann auch mit den Grünen koalieren, aber das bringt größere und kompliziertere Grundsatzdebatte mit sich. Viele Klassiker der Union passen nicht in die Zeit, von der Schwarzen Null bis zur Schuldenbremse. Womit kann die Union neues Profil gewinnen? Etwa mit einer stärkeren Konzentration auf das soziale Profil?

Unser Kurs der Mitte sowie das gute Regierungshandeln findet große Zustimmung. Die muss sich auch in der Bundestagswahl niederschlagen. Deshalb ist es klug, nicht den Bruch mit Angela Merkel zu wählen, sondern die vielen Erfolge aus 16 Regierungsjahren gemeinsam selbstbewusst zu vertreten und trotzdem die Zukunftsfragen für die 20er Jahre zu beantworten – technologische, gesundheitspolitische, wirtschaftliche und haushaltspolitische. Und das soziale Profil war immer etwas, dass besonders die nordrhein-westfälische CDU stark in die Bundespartei getragen hat. Bleiben wir bei der Haushaltsfrage. Sollten die Besserverdiener zur Bekämpfung der Pandemie stärker herangezogen werden?

Die Vorschläge, die da jetzt durch den Raum geistern, träfen am Ende Menschen mit einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro – und das sind nicht die Superreichen, sondern Deutschlands Facharbeiter. Die Lehre der vergangenen zehn Jahre war doch, dass ohne Steuererhöhungen die Einnahmen höher ausfielen. Wir müssen wieder zurück zu wirtschaftlichem Wachstum kommen. Steuererhöhungen, die bei den meisten familiengeführten Unternehmen den Betrieb treffen, halte ich für falsch.

Die eindringlichen Appelle der Bundeskanzlerin – und auch von Ihnen – scheinen auf taube Ohren zu stoßen, jedenfalls sind die Infektionszahlen weiterhin hoch. Fehlt es an Kontrollen?

Wir können nicht 80 Millionen Menschen rund um die Uhr kontrollieren. Und ich sage auch: Das will ich nicht. Im autoritären China mag Pandemiebekämpfung so funktionieren. Die Wirkung der Appelle war im Frühjahr stärker, weil die Bilder von Bergamo noch präsent waren. Das wirksamste Mittel, um das Virus in den Griff zu bekommen, ist die Kontaktbeschränkung auf einen Hausstand und eine weitere Person. Und wir müssen die Menschen weiter gewinnen, dass sie sich an die Maßnahmen halten. Die eigene Überzeugung und das Verantwortungsbewusstsein leitet die meisten Menschen viel mehr als die Angst vor dem Ordnungsamt. Wie sehr schmerzen Sie Bilder von Autokolonnen in Richtung Winterberg?

Der Einzelne sagt sich, ich gehe ja nur mit meiner Familie auf einem Hügel rodeln. Das ist ja kein Partyevent. Wenn es aber so viel in so kurzer Zeit tun, wird es zum Problem. Deshalb jetzt die Kontaktbeschränkungen und die schärfere Hotspot-Regelung.

Der 15 Kilometer Radius um die Hotspots wird aber nicht ohne Kontrollen funktionieren.

Jede ergriffene Maßnahme muss kontrolliert werden. Das müssen die örtlichen Ordnungsbehörden tun. Wo offenkundig gegen die Regeln verstoßen wird, hilft auch die Polizei. Sie haben im Herbst gesagt, es brauche ein Leben mit der Pandemie ab dem 10. Januar; Wirtschaft und Gesellschaft könnten nicht mehr. Was hat sich daran geändert? Wir müssen ständig unter Unsicherheit Entscheidungen treffen – im Augenblick sogar noch mehr als bisher. Die tatsächlichen Infektionszahlen könnten in der Realität höher sein, weil zwischen den Festtagen weniger getestet wurde und die Ämter später gemeldet haben. Das RKI hat uns gesagt, dass man erst ab dem 17. Januar wieder ein realistisches Bild bekommt. Weil wir zudem nicht wissen, inwieweit sich das mutierten Virus aus Großbritannien bei uns bereit ausgebreitet hat, müssen wir jetzt nochmals besonders vorsichtig sein. Markus Söder stimmt die Menschen schon darauf ein, dass es auch bei der nächsten Beratung von Bund und Ländern am 25. Januar keine Lockerungen geben wird. Inwieweit teilen Sie diese Einschätzung?

Ich finde es richtig, dass Markus Söder wie alle Ministerpräsidenten in dieser Lage besonders vorsichtig sein möchte. Wir müssen weiter genau die Entwicklung des Infektionsgeschehens abwarten. Inwieweit die aktuellen Werte auch die tatsächliche Situation abbilden, kann niemand seriös sagen. Deshalb rate ich von übertriebener Schwarzmalerei genauso ab wie von übermäßigen Optimismus. Jeder Einzelne kann seinen Beitrag leisten, dass es uns gelingt.

Dieses Hangeln von Termin zu Termin zermürbt die Menschen. Wieso nehmen Sie nicht einfach den Zielwert von einer 50er Inzidenz und lockern dann?

Ich finde, der Begriff Lockern passt nicht richtig. Es geht um ein kluges Abwägen zwischen notwendigen Schutzmaßnahmen und verbrieften Grundrechten, Freiheiten, Chancen. Deshalb ist es Konsens, dass wir, sobald es möglich ist, als erstes Beschränkungen in den Schulen zurücknehmen, um Kindeswohlgefährdungen abzuwenden und Bildungschancen nicht zu gefährden. Ende des Monats werden wir hierfür hoffentlich einen Schritt machen können. In Bayern liegt die Impfquote um die Hälfte höher als in NRW, das nicht einmal den Bundesdurchschnitt erreicht. Was ist da los?

Die Zahlen sind ähnlich unsicher wie die Infektionszahlen. Wir haben deutlich mehr geimpft als in den gemeldeten Zahlen schon erfasst wurde. Deshalb müssen wir unser Meldesystem für das RKI auch noch einmal verbessern, damit auch unsere dezentralen Impfungen schneller im System erfasst werden. Das wird sich in den kommenden Wochen einpendeln. In Nordreihen-Westfalen bleibt es dabei, dass jetzt unser Fokus auf denen liegt, die jetzt besonders schnell Schutz brauchen: Menschen in Alten- und Pflegeheimen. Das ist auch eine Frage der Solidarität.

Ihr Team-Partner Jens Spahn ist im Zuge des Impfstarts stark in die Kritik geraten. Was ist Ihr Blick auf die Kritik?

Jens Spahn macht eine sehr gute Arbeit. Das wird auch breit geteilt. Die Grundentscheidung, europäisch zu beschaffen und einen Überbietungswettbewerb abzuwenden, war richtig. Wir haben keine Sicherheit bei uns, wenn in Deutschland zwar alle durchgeimpft sind, in Belgien und den Niederlanden aber nicht. Impfnationalismus wäre falsch. Dass es anfangs etwas holpern würde, war abzusehen.

Und die Kritik an Spahn vonseiten der SPD? Lassen sich da erste Risse im Koalitionsgefüge ablesen?

Es ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn ein Kabinettskollege Jens Spahn wie bei einem Untersuchungsausschuss einen vierseitigen Fragenkatalog auf den Tisch knallt. Olaf Scholz und die SPD waren bei allen Sitzungen des Corona-Kabinetts dabei. Warum hat er da seine Fragen nicht vorgetragen? Ich halte das zumindest für schlechten Stil. Selbstverständlich müssen berechtigte Fragen der Öffentlichkeit aufgeklärt werden, und das wird ganz sicher auch geschehen. Gleichzeitig merken die Leute auch sofort, wenn es um parteitaktische Spielchen geht. Das Verhalten der SPD wird dem Ernst der Lage nicht gerecht. Aber ist die Koalition so noch neun Monate handlungsfähig?

Ich rate allen Beteiligten, über die Pandemie keine Parteipolitik zu betreiben. Wenn man polarisiert und taktisch zuspitzt, geht nur unnötig Vertrauen der Bürger verloren. Darauf warten die Rechtspopulisten doch nur. Der Wahlkampf ist zumindest ungewöhnlich, wenn die Kontrahenten jeweils in Regierungsverantwortung sind.

Es ist ein Wahlkampf wie nie zuvor. Eine Regierungspartei mit dem Vizekanzler als Spitzenkandidat signalisiert, dass sie diese Regierung nicht mehr weitermachen will. Die SPD ist von einer Sehnsucht nach Opposition erfasst, obwohl die Große Koalition gut gearbeitet hat. Zugleich wird die Union mit einer anderen Persönlichkeit antreten als der Amtsinhaberin, auch das ist ein Novum. Insgesamt eine sehr spezielle Situation, in der nicht Regierung gegen Opposition steht, sondern sich alles neu ordnet. Dies bietet die Chance eines sachlichen Wahlkampfs. Wie ist der weitere Impffahrplan für NRW?

Die mobilen Teams impfen noch einige Wochen in den Alten- und Pflegeheimen. Ab Mitte Januar gibt es ein Impfangebot an die Ärzte, Schwestern und Pfleger, die in unseren Krankenhäusern um das Leben der Covid-Erkrankten kämpfen. Noch im Januar werden die 80-Jährigen von uns angeschrieben und erfahren, wann sie wie einen Termin für ihr Impfangebot vereinbaren können. Danach folgen dann die über 70-Jährigen. Unsere Impfzentren sind seit Mitte Dezember startklar, wir sind im Land sehr gut vorbereitet. Israel führt gerade einen digitalen Impfpass ein, der den Zugang zu kulturellen Veranstaltungen und ähnlichem gewähren soll. Gutes Modell?

Nein. Eine Impfpflicht, und sei sie nur indirekt, gefährdet die Akzeptanz. Außerdem ist die Debatte doch absurd. Wir haben gerade Millionen Menschen, die sich impfen lassen wollen, aber es gibt noch nicht ausreichend Impfstoff in großen Mengen. Lasst uns doch erstmal mit dem Impfen vorankommen. Wenn wir 50 Prozent der Bevölkerung geschafft haben und die Herdenimmunität sich einstellt, ist es gut. Wenn nicht, müssen wir noch mal neu denken. Schon jetzt stehen rund 50 Prozent der Pflegekräfte den Impfungen skeptisch gegenüber. Das muss sie besorgen.

Millionen andere Menschen wollen es aber doch. Man muss hierzulande auch sagen dürfen, dass man sich nicht impfen lassen will. Wir können nur appellieren und erklären. Ich werbe dafür, dass sich jeder impfen lässt. Der Impfstoff hat trotz kurzer Zeit ein geordnetes und seriöses Test- und Zulassungsverfahren durchlaufen.

Müsste die Politik eingreifen, wenn Firmen ihre Leistungen an einen Impfnachweis koppeln?

Das gibt es im Augenblick nicht. Man muss die Frage beantworten, wenn sie sich stellt. Werden die Wirtschaftshilfen angesichts des verlängerten Lockdowns ausreichen oder müsste man über weitere Maßnahmen reden – etwa eine zusätzliche Verlängerung der Insolvenzantragsfrist?

Schwer zu sagen. Wir machen ja jetzt die scharfen Maßnahmen, um schnell mit den Zahlen herunterzukommen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Hilfen des Bundes nun endlich fließen. Wenn zusätzlich zum Bund eigene Landeshilfen nötig werden sollten, dann werden wir auch weitere, eigene Konjunktur- oder Hilfsprogramme auflegen – wie etwa in der Vergangenheit bei den Soloselbstständigen. Aber im Augenblick sehe ich die Notwendigkeit dank der Überbrückungshilfe III zunächst nicht. Viele Wirtschaftsforscher machen uns ja auch Hoffnung, dass das Jahr 2021 nach dem Lockdown noch wirtschaftlich gut laufen könnte.

Benötigen wir einen zentralen Gedenktag für die Pandemieopfer?

Ich bin da zurückhaltend. Wir sind noch inmitten der Bekämpfung der Pandemie. Ich halte es für viel zu früh, eine solche Frage abschließend zu beantworten. Wir werden sicher ein angemessenes Gedenken finden. Aber wir sollten bei aller Dramatik der Pandemie nicht vergessen, dass viele Menschen auch an anderen Krankheiten versterben, etwa an Krebs. Der Schmerz derer, die einen geliebten Angehörigen verlieren, ist nicht kleiner. Die dürfen wir bei all unseren Coronadiskussionen nicht vergessen.  

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