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AsylklagenWie eine Kölner Richterin mit der Aktenflut umgeht

Lesezeit 4 Minuten
Kölner Richterin

Die Akten müssen abgearbeitet werden: Richterin Stefanie Seifert in ihrem Gerichtssaal.

Köln – Der Tag von Stefanie Seifert beginnt zweimal in der Woche um 6.30 Uhr im Bootcamp. Sie sprintet bei Wind und Wetter durch Köln, schwingt Seile, trainiert ihre Muskeln. „Dann bin ich nicht vor halb neun im Büro“, sagt sie. Eine halbe Stunde später als sonst. Eine halbe Stunde, in der sie sich nicht um Asylverfahren kümmert. Eine halbe Stunde, in der der Stapel der mehr als 1000 Akten nicht kleiner wird.

Montagfrüh am Appellhofplatz, im Zentrum von Köln. Das rötliche Justizgebäude aus dem Jahr 1911 teilen sich Finanz- und Verwaltungsgericht. Während der Nazidiktatur wurden hier mindestens 123 Menschen von „Sondergerichten“ zu Tode verurteilt. Eine kleine Tafel erinnert daran. Vielleicht müsste sie heute etwas größer sein.

Konkrete Schicksale der „Flüchtlingskrise“

Es gibt Menschen, die Urteile von Verwaltungsgerichten eher lästig finden. Sie sollten Stefanie Seifert besuchen. Auf dem Tisch von Seifert, Vorsitzende Richterin der 25. Kammer des Verwaltungsgerichts, landen die sehr konkreten Schicksale der „Flüchtlingskrise“. Erst musste das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) über die Asylanträge der vielen Flüchtlinge entscheiden. Jetzt sind es die Verwaltungsgerichte, die über die Entscheidungen des Bamf urteilen. Seiferts Kammer ist zuständig für Armenien, Aserbaidschan, Ex-Jugoslawien. Dürfen die Menschen bleiben? Müssen sie gehen? Im Gerichtssaal sitzen bloß sechs Menschen. Seifert. Ein Ehepaar aus Aserbaidschan, das gegen den abgelehnten Asylbescheid klagt. Eine Dolmetscherin. Ein Rechtsanwalt. Und eine Referendarin, die von Seifert lernen will.

Eine Stunde, vielleicht 15 Minuten mehr, hat die Richterin für die Verhandlung geplant. Aber es kommt wie eigentlich immer. Die Frau soll erzählen, warum sie geflohen ist. Sie kann sich kaum an etwas erinnern, nicht an Daten, nicht an Personen. Selbst jemand, der das Verfahren gar nicht kennt, bemerkt nach wenigen Minuten Widersprüche. Seifert zum Rechtsanwalt: „Wollen Sie vielleicht mal was mit Ihrer Mandantin klären?“ Rechtsanwalt winkt ab: „Nein, alles gut.“ Seifert: „Aber die Widersprüche bemerken Sie schon?“ Rechtsanwalt, nickt: „Jaja.“

Ein Verteidiger, der offenbar weder das Ehepaar noch seinen Fall kennt, soll dabei helfen, einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Wahrscheinlich wäre dazu mehr erforderlich, als sich bloß im Gerichtssaal aufzuhalten.

Stefanie Seifert, 50 Jahre alt, hat vor ihrem Jurastudium im Verwaltungsdienst eine Ausbildung gemacht und festgestellt: „Verwaltung macht Spaß.“ Das zweite Examen macht sie 1997, kurz danach ist sie Richterin am Verwaltungsgericht. Asylrecht gehörte zwar auch damals schon zu ihrem Job, aber heute macht es 75 Prozent der Verfahren aus. „Das ist halt so“, sagt sie. Mit einer anderen Haltung würde es schwer. Drei mündliche Verhandlungen hatte Seifert für den Tag angesetzt. Die erste muss sie verschieben, weil ein Anwalt nicht kann. Bei der zweiten kommt der Kläger nicht.

Probleme, Dolmetscher zu finden

Das einzige Verfahren, das wirklich verhandelt wird, zieht sich dafür hin. Nachdem sie die Frau vernommen hat, würde sie das Ganze gern wegen der vielen Widersprüche beenden. Aber der Rechtsanwalt besteht auf einem Urteil, Also befragt Seifert auch noch den Mann, „auch wenn es zwei Stunden dauert“, sagt sie. Der Anwalt guckt auf die Uhr, sagt, darauf könne man doch verzichten. Aber so läuft das nicht.

Eine der vielen brüchigen Stellen in den Asylverfahren sind die Dolmetscher. Es ist nicht ganz einfach, einen guten Dolmetscher für Aserbaidschanisch zu finden. Seifert erzählt, dass sie mal das Gefühl hatte, der Dolmetscher interpretiere das Gesagte etwas freier. Deswegen reist die Aserbaidschanisch-Dolmetscherin inzwischen aus Paderborn an. Seifert nimmt die Dinge, wie sie sind. Aber wenn sie einen Wunsch äußern könnte, dann würde sie gern Vertreter des Bamf in ihren Verhandlungen haben. Die Menschen verklagen die Bundesrepublik, aber die kommt nicht zum Prozess. Das Bamf hat zu wenige Mitarbeiter, die das könnten. Aber weil keiner kommt, kann Seifert Verfahren nicht einfach einstellen. Sie muss fast immer ein Urteil fällen. Und das hält auf. „Es ist ein mühseliges Geschäft“, sagt sie.

Die Verwaltungsgerichte in NRW haben vom Land ein paar Richter zur Unterstützung bekommen, sonst würde das alles nicht gelingen. Die Zahl der neuen Verfahren geht zwar leicht zurück, aber die Aktenberge werden kaum kleiner. „Wir bräuchten vermutlich doppelt so viele Richter“, sagt Seifert. Aber die gibt es nicht. Und deswegen hängt sie die halbe Stunde vom Frühsport abends dran. Die Akten müssen ja irgendwann mal weg.  

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