Abo

Banger Blick in die ZukunftAKW in Fessenheim geht vom Netz

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt

Beim Atomkraftwerk in Fessenheim geht der erste der beiden Druckwasserreaktoren vom Netz. 

  • Nach 43 Jahren geht der erste Reaktor des Atomkraftwerks in Fessenheim vom Netz.
  • Für die Gemeinde ist das Aus ein schwerer Schlag.
  • Für die Region ist jetzt ein deutsch-französischer Industriepark.

Fessenheim – Auch am Ende ist noch lange nicht Schluss. Nachdem wenn im AKW Fessenheim die Reaktoren längst heruntergefahren sind, werden in den 39 umliegenden Gemeinden weiterhin kostenlos Jodtabletten in den Apotheken verteilt, ist auf der Internetseite der Electricité de France (EDF) zu lesen.

Sie sollen bei einem Atomunfall in einem der Meiler verhindert, dass radioaktives Jod vom Körper aufgenommen wird. Mit dem Abschalten ist nach Einschätzung von Experten eine gefährliche Kernschmelze zwar nicht mehr möglich, doch die EDF will als Betreiberin des Atomkraftwerkes kein Risiko eingehen.

Der erste Druckwasserreaktor wird heruntergefahren

Vor 43 Jahren ging der 1800-Magawatt-Meiler ans Netz, doch am 22. Februar 2020 um 2.30 Uhr beginnt der Anfang vom Ende. Dann wird der erste der beiden Druckwasserreaktoren heruntergefahren, am 30. Juni folgt der zweite.

Alles zum Thema Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

Mindestens 20 Jahre wird der Rückbau der gesamten Anlage dann noch dauern. Ob bis dato die Wunden verheilt sind, die der Streit um das Atomkraftwerk bei den Menschen in der Region gerissen hat, ist mehr als fraglich.

„Das Atomkraftwerk Fessenheim hätte nie in Betrieb gehen dürfen“

In Fessenheim verläuft der Graben zwischen Gegnern und Befürwortern ziemlich genau entlang der deutsch-französischen Grenze im Rheintal. Auf der deutschen Rheinseite fordern Bürgerinitiativen und Politik seit Jahren vehement das Ende der Anlage. Für die Gefährlichkeit der Anlage wurden immer wieder die verheerenden Bilder aus Fukushima oder Tschernobyl angeführt.

„Das Atomkraftwerk Fessenheim hätte nie in Betrieb gehen dürfen“, sagt Stefan Auchter von der Umweltorganisation BUND. „So gesehen kommt die Abschaltung 43 Jahre zu spät.“

Atomkraftwerk nicht auf ewig festem Grund

Auch die grün-geführte baden-württembergischen Landesregierung hat sich für das Ende des ältesten französischen Reaktors stark gemacht, der ein „enormes Risiko für die ganze Region“ sei.

In Stuttgart wird argumentiert, dass bei einem schweren Unfall in Fessenheim das rund 30 Kilometer Luftlinie entfernte Freiburg komplett evakuiert werden müsste. Zudem stehe das Atomkraftwerk nicht auf ewig festem Grund - rechtsrheinisch liege die erdbebenstärkste Region Deutschlands. Gegen Erdbeben aber seien die Reaktoren nur unzureichend gesichert, ebenso wenig gegen einen Flugzeugabsturz oder einen terroristischen Anschlag.

Der Elsass kämpft für die Erhaltung

Im Elsass dagegen haben Politiker, Gewerkschaften und vor allem die Anwohner genauso erbittert für die Erhaltung des Kraftwerks gekämpft. Doch jetzt ist Schluss. „Non à la fermeture de Fessenheim!“ weht auch jetzt noch ein Banner am Zaun des Geländes.

Unzählige Hochspannungsleitungen prägen den Blick auf den Ort und das dahinterliegende Bergpanorama der Vogesen. Die meisten der über 1200 Mitarbeiter der Anlage schwanken zwischen Wut, Trauer und Verzweiflung. Für viele Familien heißt es, dass sie in den kommenden Jahren umziehen müssen.

Viele Angestellte sind schon versetzt worden

Über 200 EDF-Angestellte sind nach Angaben des Betreibers bereits an andere Standorte versetzt worden. Die meisten von ihnen verstehen die Entscheidung des französischen Staates nicht, die Reaktoren endgültig herunterzufahren. In ihren Augen stellt das Atomkraftwerk auch trotz seines Alters und der immer wieder aufgetretenen Störfälle keine Gefahr dar.

Viele waren stolz, in dem Meiler arbeiten zu können. Der Ingenieur Frédéric Simeoni schwärmt von dem brummenden Geräusch im Maschinenraum, wenn die Reaktoren Strom produzierten, der Wärme und dem leichten Vibrieren.

All das sei nun Vergangenheit, sagt der 56-Jährige, der seit fast 30 Jahre in Fessenheim arbeitet. Seine Aufgabe wird es in den kommenden Jahren sein, die Meiler beim streng kontrollierten Rückbau zu überwachen.

Kraftwerk sollte schon 2016 abgestellt werden

Viele der Angestellten des Kraftwerkes halten die Entscheidung für politisch motiviert. Immer wieder fällt der Name des französischen Ex-Präsidenten Francois Hollande. Der habe im Wahlkampf um das Präsidentenamt 2012 Fessenheim für ein paar Stimmen von Umweltschützen und Atomkraftgegnern geopfert.

Atom-Nation

Frankreich setzt bei der Stromerzeugung auf Atomreaktoren. Im Moment sind 58 in Betrieb, die für über 70 Prozent der Stromproduktion im Land sorgen.

Klimaschutz

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron argumentiert, dass Atomkraft zum Klimaschutz beitrage, da sie keine Treibhausgase erzeugt. Sein erklärtes Ziel ist es, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen. Auf dem Weg dorthin sieht er die Atomenergie als entscheidende Übergangstechnologie.

Atomausstieg

Bis zum Jahr 2035 soll in Frankreich der Anteil der Atomkraft am Strommix auf 50 Prozent sinken. Dazu sollen insgesamt 14 Reaktoren abgeschaltet werden, darunter auch die beiden in Fessenheim.

Keine neuen AKW

Ursprünglich wollte Frankreich sechs neue Atomreaktoren bauen. Diese Pläne wurde aber nach dem Debakel um den Reaktor im nordfranzösischen Flamanville aufgegeben. Beim Bau des neuartigen Druckwasserreaktors gab es Mängel und massive Sicherheitsbedenken der Atomaufsicht in Paris. Die Kosten haben sich auf 12,4 Milliarden Euro nahezu vervierfacht. Nun heißt es, dass vorerst keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden sollen.

Allerdings brach der Sozialist dann sein Versprechen, die Anlage schon 2016 abzustellen, das übernimmt nun sein Nachfolger Emmanuel Macron. Aber auch ihm wird vorgeworfen, damit nur ein politisches Zeichen an die europäischen Nachbarn setzen zu wollen, dass es Frankreich ernst meine mit dem Ausstieg aus der umstrittenen Kernenergie, hin zu einer ökologischen Wende bei der Stromgewinnung.

Fessenheim als „politische Geisel“ 

Allerdings liegt der Atomanteil am Strommix in Frankreich auch nach dem Aus in Fessenheim noch deutlich über 70 Prozent. Anfangs hatte die Regierung in Paris vor, diesen Anteil bis 2025 auf 50 Prozent zu senken, doch dieses ehrgeizige Ziel wurde inzwischen wieder kassiert und um mindestens zehn Jahre nach hinten verschoben.

Auch Fessenheims Bürgermeister Claude Brender ist überzeugt, dass seine Gemeinde vom fernen Paris als eine Art „politische Geisel“ genommen wurde, um damit auf Stimmenfang zu gehen.

Er hält das Ende des AKW für unsinnig. Das Kraftwerk sei abbezahlt, höchst rentabel - und sicher. Die Angst der Menschen vor den Gefahren führt er auf „Falschinformationen“ zurück.

Das könnte Sie auch interessieren:

Viel gefährlicher seien Kohlekraftwerke mit ihren Emissionen, wie es sie in Deutschland zu Hauf gebe. Auf den Nachbarn ist Brender generell nicht gut zu sprechen. Die Berliner Energiewende hält er für ein Fiasko. Sinnvoller wäre es seiner Ansicht nach gewesen, zuerst aus der Stromproduktion durch Kohle auszusteigen und erst danach aus der Kernenergie.

Fessenheim von EDF abhängig

Der Zorn des Bürgermeisters ist durchaus nachzuvollziehen. Während auf der deutschen Rheinseite und in der Schweiz die Wirtschaft boomt, ist die 2400-Einwohner-Gemeinde von dem Arbeitgeber EDF abhängig.

Mit dem Ende des Kraftwerks gehen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren. Fessenheim fordert zum Ausgleich Millionenhilfen, dem Betreiber EDF hat der Staat bereits eine Abschaltprämie von 400 Millionen Euro zugesagt. 

Deutsch-Französischer Industriepark

Doch Präsident Macron hat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) andere Pläne für die Region geschmiedet. Aufgebaut werden soll ein deutsch-französischer Industriepark, der mit bis zu einer Million Euro Starthilfe gefördert werden soll.

Was sich dort ansiedeln könnte, um den Verlust des AKW für Fessenheim zu kompensieren, ist allerdings noch offen. Eine Solaranlage war im Gespräch oder eine Fabrik, die Windräder herstellt, das alles ist allerdings lediglich Zukunftsmusik. 

Rundschau abonnieren