Bonner Intensivmediziner zu Corona„Auch gute Gesundheitssysteme haben ihr Limit“

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Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 auf einer Aufnahme mit einem Elektronenmikroskop

  • Die Situation ist hierzulande laut dem Intensivmediziner glücklicherweise eine andere als beispielsweise in Italien.
  • An der Uniklinik Bonn hat jedes Intensivbett ein Beatmungsgerät.
  • Doch es gibt noch viel zu tun.

Bonn – Der Leiter der operativen Intensivmedizin an der Uniklinik Bonn, Christian Putensen, spricht mit der Redaktion über die Behandlung von Covid-19-Patienten und die künftige Lage.

Herr Putensen, sind Sie mit Blick auf eine mögliche Welle von Covid-19-Patienten angespannt?

Putensen: Momentan nicht. Aber jeder kennt natürlich die Bilder aus Norditalien, wo derzeit eine Katastrophensituation ist. Genau das versuchen wir ja zu vermeiden.

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Auf welche Lage stellen Sie sich ein?

Putensen: Hier werden natürlich alle Lagen durchgespielt. Auch der Katastrophenfall. Die Situation ist hierzulande glücklicherweise eine andere als beispielsweise in Italien. In der Lombardei hatte man vor der Krise 750 Intensivbetten für zehn Millionen Einwohner. Das bedeutet 7,5 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner. Großbritannien hat etwa acht, Frankreich auch. Deutschland hat 30. Da steht man schon anders da.

Kollegen in Italien stehen schlechter da

Die Kollegen in der Lombardei haben die Zahl der Betten nun um etwa 200 aufgestockt, also auf 10,5 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, doch das reicht nicht. Denn die Situation blieb dort viel zu lange unentdeckt. Anscheinend hat man in Italien auch viel zu spät damit begonnen, die Menschen zu testen. Die Dunkelziffer dürfte daher dramatisch höher sein.

Sie sprachen die Intensivbetten an, haben wir auch ausreichend Beatmungsgeräte?

Putensen: Hier an der Uniklinik Bonn haben wir an jedem Intensivbett ein Beatmungsgerät. Es gibt einige kleinere Krankenhäuser, die nur einen Teil der Betten entsprechend ausgestattet haben. Aber üblicherweise haben alle Krankenhäuser auch noch Reservegeräte, die man für etwaige Ausfälle bereithält.

Deutschland ist gut aufgestellt

Daher denke ich, dass Deutschland derzeit sehr gut aufgestellt ist. Aber man muss hier immer sagen: Auch die guten Gesundheitssysteme haben ihr Limit, wenn plötzlich exponentiell viele Patienten stationär aufgenommen werden müssen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will die Kliniken in der Krise entlasten. Für jede neue intensivmedizinische Behandlungseinheit mit künstlicher Beatmung sollen Kliniken nun 50.000 Euro Bonus bekommen. Was halten Sie davon?

Putensen: Das dürfte zu wenig sein. Wenn wir als Klinik zu normalen Zeiten sagen, wir möchten uns einen Intensivplatz hochrüsten, dann schreiben wir das aus und bekommen Angebote. In einer Krise ist der Markt jedoch ein gänzlich anderer als davor.

Das heißt, ich gehe davon aus, dass die Bettplätze deutlich mehr kosten, zumal man die Geräte überhaupt geliefert bekommen muss. Es ist ja nicht nur mit einem Beatmungsgerät getan. Man benötigt auch das entsprechende Monitoring, die Infusionsgeräte, etc.

Welche besonderen Vorkehrungen müssen denn für eine n Covid-19-Patienten getroffen werden?

Putensen: Die sind ähnlich wie bei Influenza-Patienten. Es gibt eine entsprechende Schutzausrüstung bestehend aus Schutzkittel, Mundschutz – Minimum FFP2 –, Augenschutz, Haarschutz, Handschuhe. Zudem sollten die Patienten möglichst in ein Isolationszimmer, also mit Schleuse und entsprechendem Raumluftmanagement.

Bis alle Isolationszimmer belegt sind

Das würden wir auch solange machen, bis die Isolationszimmer alle belegt sind. Danach würde man damit beginnen, Stationen zu kohortieren. Das heißt, ganze Stationen würden ausschließlich für Covid-19-Patienten reserviert werden.

Was passiert mit der Lunge, wenn man an Covid-19 leidet?

Putensen: In schweren Fällen kommt es zu einer Lungenentzündung, die zu einem akuten Lungenversagen führen kann.

Wie werden die Patienten behandelt?

Putensen: Das kommt darauf an, in welchem Zustand sie sind. Wir hatten vergangene Woche einen begründeten Covid-19-Verdachtsfall, der aber wegen eines Unfalls eingeliefert wurde. Covid-19 stand erst einmal nicht im Vordergrund. Manche Patienten, die wegen Covid-19 kommen, entwickeln fünf bis zehn Tage nach Beginn der Symptome ein respiratorisches Versagen.

Dann kommt ein Beatmungsheld zum Einsatz

Dann werden sie auf der Intensivstation aufgenommen, und es wird eine unterstützende Beatmung vorgenommen, bei einer milden Form eine nicht-invasive Beatmung.

Das geht mit einer Art Beatmungshelm, andere Kliniken machen das mit speziellen Masken. Bei moderatem bis schweren akutem Lungenversagen muss man auf einen Beatmungsschlauch zurückgreifen. Bei sehr schweren Fällen muss das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert beziehungsweise das Kohlendioxid entfernt werden.

Berichte aus Italien besagen, dass dort beatmungspflichtige Covid-19-Patienten etwa eine Woche auf der Intensivstation liegen. Ist das realistisch?

Putensen: Covid-19 ist eine Virus-Pneumonie. Wenn Sie Patienten haben, die nur ein bisschen Sauerstoff brauchen, dann kann das mal so sein. Die, die ein akutes Lungenversagen entwickeln, sind aber sicher zwei bis drei Wochen auf der Intensivstation – oder länger. Das ist im Übrigen auch bei der Influenza so.

Warum werden die Intensivpatienten in Italien auf den Bauch gelegt?

Putensen: Bei moderatem bis schwerem akuten Lungenversagen kann durch die Bauchlagerung das Verhältnis von Ventilation, also Belüftung, und Perfusion, Durchblutung, der Lunge verbessert werden.

Die Kliniken vor Ort sind überlastet, Patienten werden mitunter nach dem Triage-System, das in Notlagen greift, eingeordnet. Können Sie kurz erklären, wie das genau funktioniert?

Putensen: Wenn es zum Beispiel einen sehr schweren Unfall mit sehr vielen Verletzten gibt, dann kategorisiert man diese Patienten nach schweren Fällen, leichten Fällen oder auch hoffnungslosen Fällen, bei denen auch die Medizin an ihre Grenzen kommt. Man versucht also die Patienten zuerst zu behandeln, die voraussichtlich auch den größten Nutzen davontragen werden. Sie werden bevorzugt.

Man kann also zu krank oder zu schwer verletzt sein für die Intensivstation?

Putensen: Ja.

Herr Putensen, Sie als Arzt und die Krankenpfleger sind derzeit besonders systemrelevant. Was könnte man noch konkret und rasch verbessern, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern?

Putensen: Was ganz schnell geschehen muss, ist, dass wir die Kurve der Fallzahlen abflachen. Dazu wird ja auch schon viel gemacht. Das müssen wir konsequent weiterverfolgen. Ein anderer Punkt: Wenn wir die Kapazitäten in der Intensivmedizin erhöhen wollen, muss d ie Politik jetzt ganz klar und transparent sagen, wie das erfolgen soll. Denn momentan haben wir noch die Möglichkeit zu agieren und nicht zu reagieren.

Es müssen zusätzliche Intensivbetten her

Diesen Zeitvorsprung sollte man nutzen. Ich würde zum Beispiel gerne wissen, wie der Ausbau organisiert beziehungsweise umgesetzt werden soll? Also müssen wir uns für 20 zusätzliche Intensivbetten bei den Firmen anstellen oder macht das das Land? Der Bund hat ja zum Beispiel 10.000 Beatmungsgeräte bei einem Hersteller geordert. Derlei Fragen sind bisher ungeklärt.

Gibt es noch etwas, das Sie den Menschen sagen möchten?

Putensen: Ich verstehe viele, die im Moment Angst haben. Aber wir sind hier in Deutschland noch in einer guten Situation. Das vergisst man manchmal, wenn man die Bilder aus Italien sieht.

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Wir haben die Fälle frühzeitig detektiert, und wir haben das System, das mehr Kapazitäten hat. Wichtig ist aber, dass jeder sich an die Regeln hält, dam it die Kurve der Fallzahlen abflacht.

Philipp Jacobs führte das Interview.

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