Das Wort zum Sonntag„Im Elenden den eigenen Bruder sehen“

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In Köln beziehen viele Obdachlose Quartier in den Eingängen der geschlossenen Geschäfte.

Bonn – Es war genau heute auf den Tag vor 168 Jahren. Da wurde in Bonn ein Haus eingeweiht, das Geschichte schreiben und Maßstäbe setzen sollte: Die „Herberge zur Heimat“. Eine Art Sozialstation für Wandergesellen. Junge Männer damals am Rande der Gesellschaft, gefürchtet und als Landstreicher verspottet. Das Haus bot 24 Betten, Essen und Trinken sowie medizinische Grundversorgung und wollte ein wenig Heimat bieten als Ersatz für die Familie.

Begründer ist der Jurist und konservative Politiker Clemens Theodor Perthes. Mitglied der kleinen evangelischen Gemeinde in Bonn, die sich Nächstenliebe schon länger auf die Fahnen geschrieben hatte. „Im Elenden den eigenen Bruder sehen“, fasst Perthes sein Programm zusammen. Ein frommes Programm, das auch dem Leben der Kirche mehr missionarische Strahlkraft geben wollte.

Menschen brauchen Hilfe ohne Vorbehalt und jeder kann etwas tun. Das ist das Motto von Perthes. Erwarte nicht, dass der Staat alles regelt. Perthes, politisch und gesellschaftlich bestens vernetzt, sammelt europaweit Spenden für sein Projekt, über alle Konfessionsgrenzen hinweg. Mit Erfolg. Bis 1914 entstehen nach Bonner Vorbild deutschlandweit 450 solcher Häuser mit 18000 Betten.

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Die Herberge nahe des Hauptbahnhofs wird mit großen Teilen des Handwerkerviertels im Zweiten Weltkrieg zerstört. Über ihren Standort führt heute eine Autostraße. Die Geschichte scheint über sie hinweggefahren zu sein. An die Stelle von Handwerksgesellen sind inzwischen Arme und Obdachlose getreten, Geflüchtete und Vertriebene. Jede Zeit hat ihre eigene Not. Gut, wenn Menschen auch heute aufmerksam hinschauen. Gut, dass sich die Kirchen mit ihren Hilfswerken Caritas und Diakonie – ganz oft auch gemeinsam – gerade diesen Menschen annehmen, ihnen eine „Herberge zur Heimat“ anbieten.

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