Frage des TagesLockern wir die Corona-Maßnahmen zu schnell?

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Desinfektionsmittelspender hängt im Johannes-Sondermann-Haus des AWO Altenzentrum, während im Hintergrund ein großes Herz zu sehen ist. (Symbolbild)

  • Während die Proteste gegen die Corona-Beschränkungen zunehmen, treten weitere Lockerungen in Kraft.
  • Vielerorts können Gläubige jetzt wieder Gottesdienste feiern.
  • Bereits vor dem Inkrafttreten weiterer Lockerungen ist eine der entscheidenden Voraussetzungen für diesen Kurs in Frage gestellt: Lockern wir zu schnell?

Es ist noch nicht lange her, da hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte einen Reproduktionswert von über 1 mit dem Hinweis übersetzt, dass dann das Gesundheitssystem im Oktober an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gelange. Am Wochenende meldete das Robert Koch-Institut (RKI): 1,1. Das bedeutet, dass im Schnitt zehn Infizierte elf andere Menschen mit dem Virus neu anstecken.

Wie bewertet das Robert Koch-Institut all das? Es handelt sich um ein Warnsignal dafür, dass die Infektionsrate sich von einem ständigen Sinken in eine erneute Wachstumsbewegung verändert haben könnte. Das RKI schränkte jedoch ein, dass es sich um eine Schätzung handele. Wegen statistischer Schwankungen könne nicht sicher vorhergesagt werden, ob es in den nächsten Tagen tatsächlich zu einem Wiederanstieg der Fallzahlen kommen werde.

Wie sieht die Politik die Problematik? Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte voraus, dass das „exponentielle Wachstum zurückkehren“ werde. Die Lockerungen seien unzureichend vorbereitet worden und die Landkreise mit der ihnen übertragenen Verantwortung für die Pandemie-Bekämpfung überfordert.

Alles zum Thema Robert Koch-Institut

Was ist die Vorgabe von Bund und Ländern? Am Mittwoch hatten sich die Regierungschefs von Bund und Ländern darauf verständigt, die Lockerungen insgesamt einzuführen, ihren Fortbestand jedoch von den örtlichen Entwicklungen abhängig zu machen. Wenn in Landkreisen über sieben Tage hinweg mehr als 50 Infektionen je 100 000 Einwohner zu verzeichnen wären, müsse in der jeweiligen Region der Status wieder zurückgeschraubt werden. Das galt in Nordrhein-Westfalen vor allem für den Kreis Coesfeld, nachdem in einem dortigen Fleischbetrieb in der vergangenen Woche Corona unter zahlreichen Mitarbeitern ausgebrochen war. Daneben reißen die Kreise Rosenheim, Greiz, Sonneburg und Steinburg die Marke.

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Wie sah das Muttertags-Wochenende aus? Es war geprägt von vermehrten Besuchen am Muttertag, von gefüllten Parks und Innenstädten und von zahlreichen Demonstrationen. Dabei machten Tausende von Teilnehmern ihren Protest gegen staatliche Hygiene-Auflagen in teils provokanten Auftritten deutlich. Allein in Stuttgart versammelten sich rund 5000 Menschen auf dem Cannstatter Wasen, in München strömten etwa 3000 auf dem Marienplatz zusammen. In Berlin sprach die Polizei von „großer Aggressivität“ bei einem Teil der Protestteilnehmer und berichtete von knapp 130 Festnahmen. Ein Treffen von bis zu 200 Menschen am Elisenbrunnen in Aachen wurde von der Polizei am selben Tag aufgelöst. Die Sicherheitskräfte warfen den Teilnehmern vor, auch eine genehmigte Demonstration gestört zu haben. Über die Vorgänge in Köln siehe die Seite 3.

Wie läuft nun die politische Debatte? Sie dreht sich nun darum, wie die regionale Verantwortung für den weiteren Umgang mit dem Coronavirus durch bundeseinheitliche Regeln unterstützt werden kann. Die Grünen erarbeiteten ein Eckpunktepapier, nach dem ein System mit fünf Corona-Warnstufen geschaffen werden soll. Die höchste Warnstufe entspreche einem „Hotspot“, in der niedrigsten Stufe gebe es so gut wie keine Fälle. Je mehr Fälle in einer Region aufträten, desto mehr Tests müssten stichprobenartig auch an solchen Personen vorgenommen werden, die noch über keine Symptome klagten. Als Voraussetzung für das Funktionieren des Systems müsse der Bund zusammen mit den Ländern ein System schaffen, in dem die Verfügbarkeit von Tests regional schnell hochgefahren werden könne.

Standpunkt

Für Empörung und Kritik auch aus den eigenen Reihen sorgte Thüringens Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) mit der Teilnahme an einem Protest gegen Corona-Maßnahmen in Gera. „Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz“, schrieb FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter. Er habe für die Aktion „kein Verständnis.“ Kemmerich entschuldigte sich später dafür, dass er die Hygienevorschriften missachtet habe.

Gibt es weiter gehende Überlegungen? Die FDP überlegt, im Bundestag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Es zeichneten sich schon jetzt erhebliche Versäumnisse von Bundes- und Landesregierungen insbesondere in der Frühphase der Pandemie ab, die intensiv analysiert und bewertet werden müssten.

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