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Frage des TagesMuss die Videoüberwachung in Deutschland ausgebaut werden?

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Videoüberwachung Köln

In Köln wurden in den vergangenen Jahr einige Kameras an öffentlichen Orten installiert.

Berlin – Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, fordert Verbesserungen bei der Videoüberwachung in Deutschland. „Beim Thema Videoüberwachung besteht aus Sicht der Strafverfolgung grundsätzlicher Handlungsbedarf“, sagte er. Wie viele Kameras bundesweit im öffentlichen Raum installiert sind, wird übrigens nirgendwo erfasst.

Was kritisiert Münch an der heutigen Praxis?

„Heute muss, beispielsweise bei Bundesländer-übergreifenden Fluchtbewegungen, vorhandenes Material zunächst bundesweit eingesammelt werden“, sagte Münch. „Es liegt dann in der Regel in ganz unterschiedlichen Formaten und auf den unterschiedlichsten Datenträgern vor.“ Vor der Sichtung seien Bearbeitungsschritte erforderlich. „Dies kostet häufig viel wertvolle Zeit. In anderen Ländern in Europa ist man durch zentrale Speicherung öffentlicher Videoüberwachung viel schneller und effizienter.“

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, räumte ein, die Auswertung des Materials bringe einen „gewissen Aufwand“ mit sich, insbesondere wenn es auch um Aufzeichnungen von Kameras privater Betreiber gehe. Aber „daran wird auf jeden Fall keine Aufklärung scheitern“.

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Was sagen Datenschützer zu dem Vorstoß?

Ulrich Kelber (SPD) ist Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Nach Angaben eines Sprechers lehnt seine Behörde eine anlasslose und flächendeckende Videoüberwachung ab, weil dadurch die Rechte der Bürger eingeschränkt werden könnten. Insbesondere spreche er sich gegen eine zentrale Speicherung und Auswertung von landesweit gewonnenen Daten aus der Videoüberwachung aus, wie sie BKA-Präsident Münch gefordert hatte.

Wie sieht es mit Überwachung der Region aus?

Rund um den Kölner Hauptbahnhof und im Gebäude wurde die Videoüberwachung nach den Silvester-Übergriffen 2015/2016 erneuert und  massiv ausgebaut. Aktuell gibt es rund um den Bahnhof, Dom und auf der Partymeile insgesamt 44 Kameras. 32 Kameras  wurden in den vergangenen Monaten am Ebertplatz, Neumarkt, Breslauer Platz und Wiener Platz montiert. Besonders am Ebertplatz ist erkennbar, dass sich die Drogendealer nach Installation der Kameras zurückgezogen haben. Die Polizei beobachtet die Lage, plant aktuell aber keine Ausweitung der Videoüberwachung.

In Bonn gibt es derzeit noch keine Videobeobachtung des öffentlichen Raumes. Die Bonner Polizei bereitet aber gerade ein Konzept dafür vor und hat zwei mobile Kameraanlagen angeschafft, die einen 360-Grad-Rundumblick bieten. Eingesetzt werden sollen sie im Rahmen der Gefahrenabwehr an neuralgischen Plätzen: Hofgarten, Friedensplatz, Bertha-von-Suttner-Platz, Brassertufer, voraussichtlich noch in diesem Jahr. 

Kommt automatische Gesichtserkennung?

Die Videoüberwachung wurde zuletzt heftig diskutiert, weil Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auch gesetzliche Grundlagen für die automatische Gesichtserkennung schaffen wollte. Die Pläne legte er dann aber wieder auf Eis. Die neuen Videosysteme sollen Menschen, deren Fotos in einer Polizeidatenbank gespeichert sind, sozusagen live erkennen.

Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, plädiert dafür, die Gesetzesgrundlagen für die Technik zu schaffen. „Wir suchen mit Gesichtserkennungssoftware schließlich dieselben Leute, die auch heute schon gerichtlich überprüfbar im polizeilichen Fahndungsbestand sind und aus Rechtsgründen gesucht werden.“ Auch Wendt wünscht sich das System.

Welche Einwände haben Kritiker?

Im Bundestag hatten sich FDP und Grüne vehement gegen die automatische Gesichtserkennung ausgesprochen. Auch Ulrich Kelber, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, lehnt sie ab.

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Neben den allgemeinen Datenschutz-Bedenken bietet auch die begrenzte Zuverlässigkeit Anlass zur Kritik: Bei einem Test am Berliner Bahnhof Südkreuz im Juli 2018 wurden in der ersten Phase 0,67 Prozent der gefilmten Personen falsch identifiziert, in einer zweiten Phase 0,34 Prozent. Rechnet man das auf einen großen Bahnhof wie den Kölner Hauptbahnhof (350.000 Reisende pro Tag) hoch, dann würden 1200 bis 2400 Menschen pro Tag fälschlich als Verdächtige identifiziert.

Das Innenministerium rechnet anders: Durch Kombination verschiedener Systeme lasse sich der Anteil falscher Treffer auf bis zu 0,00018 Prozent „und damit auf ein verschwindend geringes Maß reduzieren“, hieß es in einer Mitteilung zu dem Berliner Test. GdP-Vize Radek meint trotzdem, gegebenenfalls „sollte man mit dem Einsatz der Technik noch warten, wenn eine akzeptable Fehlerquote nicht sichergestellt werden kann“. Münch äußerte sich zu dem Thema nicht. Der DPolG-Vorsitzende Wendt lobte die Ergebnisse des Tests als „hervorragend“. Auch wenn jemand zu Unrecht als Verdächtiger herausgefiltert werde, „heißt das nicht, dass automatisch die GSG 9 kommt und die Leute zu Boden gerungen werden“. (dpa/ta/kmü)

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