Großbritannien stockt der AtemBoris Johnson auf Intensivstation – wie geht es weiter?

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Boris Johnson 270220

Boris Johnson

  • Boris Johnson liegt seit Montagabend auf der Intensivstation, infiziert mit dem Coronavirus.
  • Johnsons Ausfall kommt für die Briten zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.
  • Aus einem Land im Schockzustand berichtet Katrin Pribyl.

London – Es ist erst gut einen Monat her, als sich Boris Johnson während einer Pressekonferenz in seiner jovialen Art damit brüstete, weiterhin jedem die Hand zu schütteln – Coronavirus-Patienten im Krankenhaus eingeschlossen. Eine Ellbogen-Ellbogen-Begrüßung? Kam für den britischen Premierminister zunächst nicht in Frage. Damals verfolgten die Zuhörer im Raum noch pikiert seinen Ausführungen. Seit Montagabend herrscht im Königreich dagegen Bestürzung. Der Regierungschef liegt auf der Intensivstation, nachdem er vor knapp zwei Wochen positiv auf Covid-19 getestet wurde und am Sonntagabend ins Londoner St. Thomas‘ Hospital eingeliefert worden war.

Auf die Intensivstation verlegt

Sein Gesundheitszustand habe sich im Laufe des Montags verschlechtert, hieß es, sodass er am frühen Abend auf die Intensivstation transferiert wurde. Er erhalte zwar eine Sauerstoffversorgung, musste aber nicht an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden, hieß es gestern Mittag von einem Sprecher der Downing Street. Der Zustand des Premiers wäre stabil, er habe keine Lungenentzündung und sei „in guter Stimmung“. Es sind dieselben Beschwichtigungen, wie sie schon am Montag zu hören waren. Werden die Berichte über Johnsons Gesundheit geschönt, um die Bevölkerung zu beruhigen? Immerhin wurde bekannt, dass es dem 55-Jährigen bereits die ganze vergangene Woche schlecht ging, er unter hohem Fieber und Husten litt, aber trotzdem weiterarbeitete. Wie krank ist der Premier wirklich?

Unklarer Gesundheitszustand

Abgesehen von den behandelnden Ärzten und Schwestern sowie engsten Vertrauten weiß das derzeit niemand. „Wir beten für seine schnelle Erholung“, sagte Staatsminister Michael Gove und stimmte in den Chor der Sympathisanten ein. Wünsche für die rasche Genesung Johnsons kamen unter anderen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, US-Präsident Donald Trump und den britischen Ex-Premiers Theresa May und David Cameron. „Er ist ein sehr robuster, sehr widerstandsfähiger und sehr fitter Mensch, mit einer gewaltigen Lebenslust“, so Cameron.

Ausfall mitten in der Krise

Johnsons Ausfall kommt für die Briten zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Das Königreich steckt in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, der nationale Gesundheitsdienst NHS steht kurz vor dem Kollaps und täglich steigt die Zahl der Todesopfer massiv an. Bis gestern Mittag sind allein in den Krankenhäusern des Landes rund 6000 mit dem Coronavirus infizierte Menschen gestorben. Beobachter warnten, es dürfe nicht zur Situation kommen, dass Großbritannien führerlos durch diese Krise schlittert. Zwar hat Johnson am Montagabend Außenminister Dominic Raab gebeten, die Amtsgeschäfte bis zu seiner Genesung als De-facto-Stellvertreter zu übernehmen und die Pläne der Regierung für den Kampf gegen das Coronavirus voranzutreiben. Doch in Großbritannien gibt es keine geschriebene Verfassung, die solche Fälle regeln würde.

Offiziell keinen Stellvertreter

Offiziell hat Johnson bei der Regierungsbildung keinen Stellvertreter ernannt. „Die Vollmacht im britischen System hängt von der Unterstützung des Kabinetts ab“, sagte Bronwen Maddox, Direktorin der renommierten Denkfabrik Institute for Government, gegenüber Medien. Raab könne in seiner Position seine Autorität nicht überschreiten, sondern müsse den Beschlüssen folgen, die Johnson festgelegt habe, oder sich im Konsens mit den konservativen Kollegen im Kabinett auf notwendige Schritte einigen. Anders als beispielsweise in den USA wäre Raab auch im äußersten Notfall nicht automatisch Nachfolger von Boris Johnson. „Es ist ein glücklicher Umstand in einer zutiefst bedauerlichen und besorgniserregenden Episode, dass einige der großen Entscheidungen schon getroffen sind“, sagt Maddox.

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So hat Johnson bereits vor mehr als zwei Wochen den Lockdown des Landes verordnet und auch wirtschaftliche Rettungspakete wurden geschnürt. Die Kritik, man habe in der Pandemie zu spät gehandelt, dazu noch mit einem Zickzackkurs, wiesen Johnson wie auch andere Regierungsvertreter stets zurück. Man sei allein den Empfehlungen der medizinischen Experten gefolgt und habe in jenem Moment mit strikten Maßnahmen reagiert, als die Fachleute zu diesen rieten.

Keine leichte Aufgabe für Raab

Nun müssen sie weiterhin umgesetzt werden, „ein Albtraum für das Kabinett“, wie ein Kommentator schrieb. Und keine leichte Aufgabe für Raab, der als loyaler Unterstützer von Johnson gilt. Kann der Chefdiplomat die Rolle des Chef-Krisenmanagers einnehmen? Ausgerechnet der überzeugte Europaskeptiker, der während der Regierungsjahre von Theresa May im Amt des Brexit-Ministers unter viel Spott lernen musste, dass das Königreich auch geografisch eine Insel ist, der Ärmelkanal deshalb große Bedeutung für die hiesige Wirtschaft hat. Der 46-Jährige, in der südenglischen Grafschaft Buckinghamshire als Sohn einer anglikanischen Mutter und eines jüdischen Vaters geboren, begann seine Karriere nach einem Jurastudium an den Elite-Universitäten Oxford und Cambridge als Rechtsanwalt in einer Londoner Kanzlei, bevor er im Jahr 2000 in den diplomatischen Dienst eintrat. „Dom“, wie er von Freunden und Kollegen genannt wird, arbeitete einige Zeit in Den Haag, wo er die Verfolgung von Kriegsverbrechern unterstützte, sowie im Außenministerium.

Wichtige Entscheidungen müssen getroffen werden

2006 folgte dann der Wechsel in die Politik. Der begeisterte Kampfsportler – er boxt gerne und trägt den schwarzen Gürtel im Karate – schaffte 2010 den Sprung ins Unterhaus, wo er seine Ansichten zunehmend den eigenen Karriereaussichten anpasste. Es ist noch nicht lange her, da schlug er vor, das widerspenstige Unterhaus notfalls zu suspendieren, um den EU-Austritt durchzusetzen. Zusammenfassend kann man ohne Untertreibung sagen, dass die Zahl der Kritiker des Außenministers auf der Insel äußerst groß ist.

Dabei „bahnen sich einige wichtige Entscheidungen an“, sagt die Politologin Maddox. Wie lange noch bleiben Schulen, Geschäfte und Unternehmen geschlossen? Wie sieht die Exit-Strategie der Regierung aus? Welche Tests sollen für den NHS beschafft werden? „Viele Leben und Existenzen hängen davon ab.“ Bislang aber scheint es keinerlei Hinweise auf Pläne zu geben, wie und wann das Land den Weg aus dem Lockdown zurück in den Alltag finden könnte.

Sorge auch um seine Verlobte

Etliche Beobachter sorgen sich derweil nicht nur um Johnson, sondern auch um seine schwangere Verlobte Carrie Symonds, die ebenfalls Symptome gezeigt und deshalb eine Woche im Bett verbracht hat, jedoch nicht in der Downing Street, sondern in ihrer Wohnung in Süd-London. Auf Covid-19 getestet wurde die 32-Jährige nicht, wie sie selbst am Wochenende per Twitter bekannt gab. Ihr ginge es aber bereits besser. In Großbritannien fehlt es nicht nur an persönlicher Schutzausrüstung, sondern vor allem an Tests, weshalb die Regierung alle Bürger angehalten hat, sich in Selbstisolation zu begeben, sollten sie oder Angehörige im selben Haushalt unter den typischen Covid-Symptomen leiden. Getestet wird in der Regel nur, wer so schwer erkrankt, dass er oder sie im Krankenhaus behandelt werden muss.

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