Grünen-Chef Habeck„Corona hat uns gezeigt, dass wir rechtzeitig vorsorgen müssen“

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Grünen-Co-Vorsitzender Robert Habeck

  • Die Grünen-Parteizentrale ist derzeit eine Baustelle. Umbau für den bevorstehenden Wahlkampf.
  • Grünen-Co-Vorsitzender Robert Habeck über die Aussichten für Schwarz-Grün, die Flexibilität der Unionsparteien, Kutschfahrten einer Kanzlerin und ein Ende von Billigfleisch

Was ist Ihre bisher größte Lehre aus der Bekämpfung der Corona-Pandemie? Habeck: Es gibt drei Lehren. Erstens: Unsere Politik muss vorausschauender werden. Trotz Warnungen der WHO und Experten in Deutschland vor potenziellen Infektionskrankheiten sind wir von dieser Pandemie überrascht worden. Wir müssen unser Gesundheitssystem grundsätzlich besser auf Virenausbrüche vorbereiten und die Produktionskapazitäten für Schutzkleidung, Schutzmasken oder Beatmungsgeräte, aber auch medizinische Grundsubstanzen in Europa vorhalten. 

Zweitens: Eine Gesellschaft, die sich über Weg und Ziel einig ist, kann sich sehr viel schneller verändern, als sie das vorher für möglich gehalten hat. Und drittens: Wenn wir die Klimakrise eskalieren lassen und sie schließlich so bekämpfen wie anfangs Corona, also in dem Fall dann Wasser und Strom rationieren, Städte gegen Verkehr abriegeln oder Ausgangssperren verhängen, dann haben wir wirklich alles falsch gemacht. Corona hat uns gezeigt, dass wir rechtzeitig vorsorgen müssen. 

 Ist es konsequent, wenn Menschen in Deutschland zu Abstand angehalten werden, Fluggesellschaften aber voll besetzte Flieger nach Mallorca bringen und sich deutsche Touristen dann dort danebenbenehmen?

Habeck: Bei allem Verständnis, mal über die Stränge zu schlagen, sind die Bilder von der Partymeile am Ballermann verstörend. Man darf unterstellen, dass es Leute gibt, die dorthin reisen, um Grenzen zu überschreiten. Und die kommen ja auch wieder nach Deutschland zurück, treffen hier Familie und Freunde. Insofern ist die Reaktion der balearischen Behörden nur konsequent. 

Was ist los im Grün-regierten Stuttgart und im Grün-regierten Baden-Württemberg, wo eine junge Partyszene eine Innenstadt verwüstet und ihre Gewalt gegen Polizisten ungehemmt auslebt?

Habeck: Krawalle, wie die in Stuttgart, sind in keiner Weise akzeptabel. Die Täter müssen ermittelt und bestraft werden. 

Das hat der Stuttgarter Oberbürgermeister so recht harmlos formuliert. Sieht das nach Durchgreifen aus? Was sagen die Gewaltexzesse einer Partyszene für Sie über eine junge Generation aus, die Freiheit bislang als selbstverständlich erlebt hat?

Habeck: Die Auswüchse in Stuttgart waren extrem, keine Frage, die Gewalttäter stehen aber natürlich nicht stellvertretend für eine ganze Generation. In jeder Generation gibt es immer auch Menschen, die Regeln missachten oder gar gewalttätig sind, dagegen muss klar und eindeutig vorgegangen werden. Insgesamt aber hat sich die junge Generation während des Corona-Lockdowns sehr verantwortungsbewusst gezeigt.

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Was halten Sie von „Stammbaumforschung“ als Milieustudie?

Habeck: Natürlich muss aufgeklärt werden, wer die Tatverdächtigen sind, es darf jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Nationalität oder Herkunft und kriminellem Verhalten besteht oder hergestellt wird.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner will das Kükenschreddern nun doch gesetzlich verbieten. Sind Sie zufrieden? Damit macht sie doch deutlich, dass sie freiwillige Selbstverpflichtungen der Agrarlobby für Schall und Rauch hält.

Habeck: Frau Klöckner kann andere Gesetzentwürfe gleich noch dazulegen, etwa den zum Verbot betäubungsloser Ferkelkastration – da hat sie die Frist einfach um zwei Jahren verlängert -, Normen für die Putenhaltung, Normen für die Bullenmast, Normen für die Kälbermast. Weite Bereiche der Nutztierhaltung bieten unzureichenden oder gar keinen Tierschutz. Es ist überfällig, dass Frau Klöckner jetzt mit den Küken mal loslegt. Aber das ist nur eine Baustelle von vielen. Und ja, freiwillige Selbstverpflichtung in einem System, das unter gewaltigem ökonomischen Druck steht, funktioniert einfach nicht. Die Union hat das Bundeslandwirtschaftsministerium seit 15 Jahren in der Hand. 15 verlorene Jahre für den Tierschutz.

Die EU-Staats- und Regierungschefs ringen bei ihrem Gipfel um Zuschüsse und Kredite für Mitgliedsstaaten in Corona-Not. Was sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel den „sparsamen Vier“ – Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden – anbieten, damit diese einer Einigung zustimmen?

Habeck: Deren vermeintliche Sparsamkeit kann Europa teuer zu stehen kommen. Ich erwarte auch von Herrn Kurz in Österreich oder von Herrn Rutte in den Niederlanden ein größeres historisches Bewusstsein und eine staatspolitische Haltung. Es geht hier nicht um einen Deal nach dem Motto: Ich mach‘ da nur mit, wenn ich etwas kriege. Die Lage ist so ernst, dass erst der Euro-Raum und dann Europa auseinanderfliegt, wenn jetzt nicht gemeinschaftlich gehandelt wird. Alle Mitgliedstaaten sollten sich dessen bewusst sein. Es ist vor allem im Interesse der exportorientierten Länder, dass der Euro-Raum und die Währung stabil sind. Deshalb müssen die Stärkeren bereit sein, gemeinsame Haftung für coronabedingte Schulden mitzutragen. Es ist in ihrem eigenen Interesse, in unserem Interesse. Der jahrelange Widerstand der Kanzlerin ist genau dieser Einsicht gewichen. Jetzt muss sie die konservativen Regierungen und ihre Partei davon überzeigen, dass das richtig ist. Uns hat sie dabei an ihrer Seite.

Sie haben gerade eine alte Grünen-Forderung recycelt: Tempolimit 130 Tempolimit auf Autobahnen. Sind die Vorkoalitionsverhandlungen mit der Autopartei CSU schon eröffnet?

Habeck: Ein solches Tempolimit ist einfach umzusetzen, weil es wenig kostet und schnell zu beschließen wäre. Es kann also gut eine der ersten Maßnahmen einer Bundesregierung unter grüner Beteiligung sein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aber natürlich geht die Aufgabe einer nächsten Regierung deutlich über solche Einzelmaßnahmen hinaus. Sie muss die Wirtschafts- und Konsumweise so verändern, dass wir nicht nachträglich immer die Schäden reparieren müssen, sondern dass diese gar nicht erst entstehen. Geschlossene Stoffkreisläufe, Besteuerung klimaschädlichen Verhaltens, neue Formen der Mobilität, ein anderes Verständnis von Wohlstand, dass nicht gleich eins zu eins dem BIP-Wachstum ist, das Dumpingsystem beim Fleisch beenden und den Verkauf von Lebensmitteln unter dem Erzeugerpreis unterbinden, massiver Ausbau und Einsatz der Erneuerbaren – das alles sind Bestandteile eines Systemwechsels. Diese Veränderungen werden anstrengend, aber sie werden neue Sicherheit und neuen Halt schaffen. Daran wird sich eine nächste Regierung messen lassen müssen.

Und die Union macht da mit?

Habeck: Die Union ist biegsam. Gemeinsame europäische Anleihen, Ausgaben des Staates fürs Binnenkonjunkturpaket und Klimaschutz, Einführung einer CO2-Steuer, selbst beim Kastenstand bei Schweinen, der auf Sicht beendet werden soll, haben wir uns durchgesetzt.

Ihre Umfragewerte gehen wieder nach unten, sehen Sie die Gefahr, dass die Union ihre Themen einfach mitmacht und damit Erfolg hat?

Habeck: Wir stehen aktuell wieder da, wo wir bei Europawahl waren, unserem historisch besten Ergebnis auf Bundesebene. Wichtiger als Umfragen ist allerdings, dass wir jetzt schon die Regierungsarbeit mitbestimmen, dass wir aus der Opposition wirksam sind und damit die Wirklichkeit verändern. So habe ich Oppositionsarbeit immer gewollt, nicht nur meckern, sondern auch selber sagen, wie es besser gehen kann. Wir sind die erfolgreichste Oppositionspartei in Regierung.

Es wird viel über Kanzlerkandidaten spekuliert. Werden die Grünen überhaupt mit einem solchen Kandidatin oder einer solchen Kandidatin in den Bundestagswahlkampf gehen?

Habeck: Wir analysieren, was in Europa und Deutschland passiert. Wir sehen die große Verantwortung, die unsere Partei auch trägt. Aus dieser Verantwortung heraus werden wir klug entscheiden.

Wann? Noch in diesem Jahr?

Habeck: Zu einem Zeitpunkt, den wir für richtig halten und selber festlegen.

Pferde sind in der Politik gerade hoch im Kurs. Sie haben gemeinsam mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther schöne Fotos mit Wildpferden geliefert. Wie könnte dieser Satz weitergehen: Das Glück der Pferde liegt…

Habeck: … darin, nicht bei Twitter zu sein.

Noch ein Satz: Wenn Markus Söder eine Kutschfahrt mit Angela Merkel macht, …

Habeck: …dann ist es ein Fortschritt, dass er nicht mehr Viktor Orbán eingeladen hat. 

Wenn Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin der Grünen wird, dann…

Habeck: …haben wir uns entschieden.

Mit dem Co-Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Robert Habeck, sprachen Kristina Dunz und Holger Möhle.

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