Helge Braun und Serap Güler„Es müssen sich alle, die es können, impfen lassen“

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Helge Braund und Serap Güler

Serap Güler und Helge Braun

  • Helge Braun stand in der Pandemie als Kanzleramtschef im Kreuzfeuer.
  • Jetzt will er mit der Kölnerin Serap Güler als Generalsekretärin die CDU führen.
  • Im Interview mit Rena Lehmann sprechen sie über ihre Pläne.

Herr Braun, Sie haben seit Beginn der Pandemie die Corona-Politik der Bundesregierung koordiniert. Hätten Sie damit gerechnet, dass es noch einmal zu einer solchen Notlage wie jetzt kommen würde?

Braun: Seit wir die Eigenschaften der Delta-Variante kennen, wurde von der Wissenschaft vor dem gewarnt, was wir jetzt erleben. Es war klar, dass wir eine hohe Impfquote brauchen, um einen schwierigen Winter zu vermeiden.

Warum haben Sie den Winter dann nicht besser vorbereitet?

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Braun: Wir haben schon Anfang September Auffrischimpfungen für alle Über-60-Jährigen beschlossen. Aber die Nachfrage war damals noch sehr gering. Bis die Zahl der Impfdurchbrüche stieg und jedem klar wurde, dass es die Auffrischimpfung wirklich braucht. Jetzt ist die Nachfrage plötzlich hoch und die Länder haben alle Hände voll zu tun, die Infrastruktur bereit zu stellen.

Sehen Sie eigene Versäumnisse?

Braun: Ich nehme für mich in Anspruch, im Herbst schon massiv vor einer solchen Entwicklung gewarnt zu haben. Wenn aber die aktuellen Zahlen noch niedrig sind, kriegt man dann Panikmache vorgeworfen. Jetzt müssen wir eben das organisatorisch schnell nachholen, was nicht rechtzeitig vorbereitet war.

Halten Sie die neuen Beschlüsse für ausreichend, um die vierte Welle zu brechen?

Braun: Wenn der Bundestag den Ländern den vollen Instrumentenkasten der epidemischen Lage wieder zur Verfügung stellt und die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz in den Ländern konsequent umgesetzt und kontrolliert werden, ja.

Ab einer Inzidenz von 350 gelten nun auch wieder Beschränkungen für Geimpfte. Bundesweit gilt außerdem 2G beim Einkaufen, unabhängig von der Inzidenz. Halten Sie das für vertretbar?

Braun: In dieser Situation, in der in mehreren Regionen Deutschlands Pflegekräfte und Ärzte auf überfüllten Intensivstationen am Rande der Erschöpfung arbeiten, ist es nicht nur vertretbar, es ist notwendig!

Ist es Zufall, dass die Notlage und die Übergangsphase in eine neue Regierung zusammenfallen?

Braun: Es ist kein Zufall, weil der erste Aufschlag der Ampel-Koalition am Beginn dieser enormen vierten Welle, die epidemische Lage zu beenden und die Zahl der Maßnahmen zu reduzieren, das völlig falsche Signal war. Es hat uns außerdem viel Zeit gekostet, dass die Ampel-Koalition erst ihr neues Infektionsschutzgesetz auf den Weg bringen wollte, bevor eine Ministerpräsidentenkonferenz stattfinden konnte.

Sie haben eine allgemeine Impfpflicht immer ausgeschlossen, jetzt nicht mehr. Ist es ein Fehler, in einer Pandemie irgendetwas auszuschließen?

Braun: Wenn wir den ursprünglichen Wildtyp des Coronavirus heute noch hätten, hätte die freiwillige Impfquote von 60 bis 70 Prozent ausgereicht, um die Pandemie zu beenden. Die Verbreitung des Virus wäre gestoppt worden. Mit der britischen und jetzt mit der Delta-Variante hat sich die Lage jeweils deutlich verschärft. Für den Ausweg aus der Pandemie ist deshalb eine enorm hohe Impfquote erforderlich. Es müssen sich alle, die es können, impfen lassen, damit wir aus dem wiederkehrenden Problem der Beschränkungen herauskommen. Bisher haben 5 Millionen Menschen in Deutschland die Erkrankung durchgemacht. Wenn die verbliebenen 15 Millionen Ungeimpften ihre Immunität durch Erkrankung und nicht durch Impfung erfahren, müssen wir noch drei Mal so viele Patienten und drei Mal so viele Todesfälle wie bislang in Kauf nehmen. Das halte ich für keinen guten Ausweg aus der Pandemie, ebensowenig wie die Beschränkungen. Deshalb muss man über die Impfpflicht neu nachdenken.

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Verliert die Politik nicht immens an Glaubwürdigkeit, wenn die Impfpflicht nun doch kommt?

Braun: Wir mussten in der Pandemie immer wieder dazulernen. Eine Impfpflicht kann zu weiteren gesellschaftlichen Spaltungen führen, wie wir sie jetzt schon erlebt haben. Aber eine nicht enden wollende Pandemie führt auch zur Spaltung der Gesellschaft. Deshalb finde es richtig, dass die Bundesregierung den Ethikrat bittet, eine abgewogene Stellungnahme dazu abzugeben. Es sollte keine Adhoc-Entscheidung werden, sondern von möglichst vielen Menschen akzeptiert und mitgetragen werden.

Frau Güler, wir wechseln das Thema. Ist die CDU bereit für eine Generalsekretärin mit Migrationsgeschichte?

Güler: Viele halten es für ein gutes Signal, dass ich kandidiere. Wir haben mittlerweile mehr Mitglieder mit Migrationsgeschichte, als zu der Zeit, als ich beigetreten bin. Das war 2009. Viele heutige Mitglieder mit Migrationsgeschichte wünschen sich, dass die CDU die Bevölkerung mehr abbildet. Und zur gesellschaftlichen Realität in unserem Land gehört, dass 25 Prozent der in unserem Land lebenden Menschen eine Einwanderungsgeschichte haben. Diese Vielfalt muss auch in einer Volkspartei sichtbar werden. Ich glaube, die meisten CDU-Mitglieder sind da weiter, als Sie mit Ihrer Frage vielleicht annehmen.

Als Generalsekretärin wären Sie für die Attacke der politischen Gegner zuständig. Wo würden Sie die Ampel jetzt schon kritisieren?

Güler: Die Achillesferse des Koalitionsvertrags ist die innere Sicherheit. Da wird Misstrauen gegenüber unseren Sicherheitsbehörden geweckt. Man hat den Eindruck, man müsste die Bürger vor der Polizei schützen und nicht, dass diese uns vor Kriminellen schützt. SPD, Grüne und FDP wollen jetzt erstmal eine Definition von Clan-Kriminalität erarbeiten. Ich würde mir wünschen, dass wir uns darauf konzentrieren, Clan-Kriminalität zu bekämpfen. Die Ampel konzentriert sich darauf, bestimmte Gruppen nicht stigmatisieren zu wollen statt die richtigen Mittel gegen organisierte Kriminalität einzusetzen.

Herr Braun, was muss der neue CDU-Chef als erstes angehen?

Braun: Der Sieger der Mitgliederbefragung muss noch vor dem Parteitag im Januar in Absprache mit den Landesverbänden ein Team zusammenstellen, vom Generalsekretär bis zum Stellvertreter und Präsidium, das unsere Partei in ihrer Breite abbildet. Alle Strömungen der Partei, Jung und Alt, Männer wie Frauen sollten repräsentiert sein.

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