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InterviewKarl Lauterbach über die Pandemie, Impfungen und das Wahljahr 2021

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Karl Lauterbach (SPD) 

  • Karl Lauterbach (SPD) blickte im Interview auf das vergangene Corona-Jahr zurück, sprach über Fehler im Umgang mit der Pandemie und blickte zuversichtlich ins Superwahljahr 2021.

Köln – Herr Lauterbach, wenn Sie mal zurückschauen auf das vergangene Jahr: Kann es noch schlimmer werden als 2020?

Lauterbach: Ich bin zuversichtlich, dass das Jahr 2021 deutlich besser werden wird. Wir werden jetzt die schlimmsten drei Monate der gesamten Pandemie mit hohen Infektions- und Todeszahlen vor uns haben. Dann ist aber Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Die Kombination aus mehr verfügbarem Impfstoff und besserem Wetter wird ab April hoffentlich für Entspannung sorgen.

Was war für Sie der schwärzeste Moment im zurückliegenden Jahr?

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Lauterbach: Der erste Lockdown. Da war nicht absehbar, wie lange er andauern würde. Es war nicht klar, wie ansteckend das Virus wirklich ist und ob es überhaupt jemals einen Impfstoff geben würde. Meine schlechteste Erinnerung an 2020 ist deswegen die Phase des Lockdowns im Frühjahr. Das war die Zeit der geringsten Kontrolle. Geholfen hat mir der tiefe Einstieg in alle Studien zum Thema. Da wurde mir früh klar, dass Impfungen gelingen würden. Ich gewann das Gefühl der Kontrolle zurück.

Wäre die zweite Welle, in der wir uns derzeit befinden, vermeidbar gewesen?

Lauterbach: Die zweite Infektionswelle wäre so oder so gekommen. Da dürfen wir uns keine Illusionen machen. Aber sie hätte längst nicht so dramatisch ausfallen müssen. Im Sommer haben die Regierungen von Bund und Ländern und zu viele Menschen in der Bevölkerung nicht umsichtig genug gehandelt, um die schlimmen Folgen der zweiten Welle abzuwenden, die derzeit zu großem Leid führen. Eine große Rolle haben dabei aber auch Wissenschaftler gespielt, die die bevorstehende Welle verharmlost haben, sowie die „Querdenker“-Bewegung.

Was war für Sie persönlich der schlimmste Moment des Jahres?

Lauterbach: Was mir sehr zu schaffen gemacht hat, waren die Bedrohungen gegen meine Familie und mich. Ich erfahre seit Beginn der Pandemie und meinen Äußerungen dazu leider täglich, wie abgrundtief Menschen hassen können. Das hätte ich vorher so nicht für möglich gehalten.

In mehreren Ländern wurden mittlerweile Mutationen des Coronavirus nachgewiesen. Ist diese Bedrohung so groß, dass man den Lockdown noch verschärfen muss?

Lauterbach: Ich halte es mittlerweile für gesichert, dass die neuen Varianten des Virus deutlich ansteckender sind. Alle bisherigen Erkenntnisse legen das nahe. Aus meiner Sicht bedeutet das, dass wir die Lockdown-Maßnahmen nicht verschärfen, aber deutlich verlängern müssen. Weil sich sonst diese Mutationen auch bei uns durchsetzen werden. Dann würde es sehr schwer werden, bis April aus dem Lockdown zu kommen. Dazu käme auch der enorme Druck, den Menschen verspüren würden, wenn sie sich demnächst noch sehr viel schneller anstecken könnten. Das würde demoralisieren.

Bis wann muss der Lockdown verlängert werden?

Lauterbach: In jedem Fall sollten wir bis zum einem bundesweiten Inzidenzwert von unter 25 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche herunterfahren. Nur dann gewinnen wir wieder wirkliche Kontrolle über diese Pandemie. Lockern wir früher, etwa wie jetzt offiziell angestrebt bereits bei einer Inzidenz von 50, riskieren wir unmittelbar den nächsten Lockdown.

Wann wird dieser Wert nach Ihren Berechnungen realisitisch sein?

Lauterbach: Es gibt drei Unsicherheiten, die keine seriösen Prognosen zulassen. Erstens wissen wir nicht, wie viele Neuinfektionen durch vermehrte Kontakte an Weihnachten hinzugekommen sind. Zweitens wurde in den vergangenen Tagen weniger getestet, das Bild gibt also nicht die tatsächliche Lage wider. Und drittens haben nicht alle Gesundheitsämter Daten über die Feiertage geliefert, weswegen wir die Wirkung des Lockdowns bislang nicht ordentlich ablesen können. Das wird Anfang der Woche aber gelingen.

War Weihnachten nach Ihrem Eindruck ein Superspreading-Event?

Lauterbach: Ich bin leider nicht sicher, dass die Feiertage um Weihnachten zu einer deutlichen Zunahme der Infektionszahlen beigetragen haben. Ob es auch ein Superspreading-Event war, kann man noch nicht sagen.

Sollten Grundschulen und Kitas auch bei einer Verlängerung des Lockdowns über den 10. Januar hinaus öffnen können?

Lauterbach: Ich kann mir vorstellen, dass es epidemiologisch vertretbar wäre, Kitas und Grundschulen in der zweiten Januarhälfte zu öffnen. Voraussetzung wäre, dass alle anderen Klassenstufen geteilt würden und wechselnd Präsenz- und Digitalunterricht erhalten. Oder der Präsenzunterricht ganz ausgesetzt wird. Wenn alle Schulen wieder aufmachen wie vor den Ferien, laufen wir Gefahr, dass wir selbst den Inzidenzwert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche trotz Lockdowns gar nicht erst erreichen werden. Daher wäre das ein großer Fehler.

Es gilt als umstritten, wie stark Kinder tatsächlich zur Pandemie beitragen. Wie sehen Sie das?

Lauterbach: Anders. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind ganz klar: Kinder ab zwölf Jahren sind genauso ansteckend wie Erwachsene, sie können das Virus daher ebenso weitertragen.

Rechnen Sie damit, dass uns die Impfungen ein weitgehend normales Leben zum Ende des neuen Jahres ermöglichen werden?

Lauterbach: Das hängt entscheidend davon ab, ob und wann bei uns der Impfstoff der Uni Oxford und Astrazeneca zugelassen wird und wie wirksam er wirklich ist. Der Moderna-Impfstoff wird hier wohl zeitnah zugelassen, wird aber angesichts der sehr geringen Mengen keine große Rolle für Deutschland spielen. Davon wurden zu wenige Dosen bestellt.

Welche Defizite sehen Sie?

Lauterbach: Dass Europa so wenig von dem teuren amerikanischen Impfstoff von Moderna gekauft hat, ist sehr bedauerlich. Schon sehr früh war klar, dass der Moderna-Impfstoff sehr stark wirkt und in Hausarztpraxen verwendet werden könnte. Das wäre jetzt kein Nachteil. Jetzt muss man aber nach vorne blicken und reagieren und das Beste aus der Lage machen.

Was schlagen Sie konkret vor?

Lauterbach: Wir sollten prüfen, den Oxford-Impfstoff über die europäische Arzneimittelagentur, die EMA, zuzulassen. Zur Not wäre bei Verzögerungen hier ein deutscher Alleingang sogar vertretbar. Außerdem halte ich es für richtig, bei allen verfügbaren Impfstoffen zunächst mit einer Einmalimpfung zu starten. Damit würden wir wahrscheinlich sehr viele schwere Fälle in den nächsten zwölf Wochen abwenden können.

Ist das Versäumnis zu geringer Mengen auch bei Biontech-Bestellungen zu beklagen?

Lauterbach: Sagen wir mal so: Auch mehr Biontech-Impfstoff wäre nicht falsch gewesen. Man hat wohl zu sehr auf spätere und vielleicht preiswertere Impfstoffe noch gehofft. Wenn Deutschland selbst oder die EU von vornherein mehr Biontech-Impfdosen bestellt hätte, wären wir jetzt schon deutlich weiter.

Und das war schon im Sommer absehbar?

Lauterbach: Darüber möchte ich mich öffentlich nicht äußern. Wie gesagt: Wir müssen nach vorne blicken, weil wir mit dem Lockdown eine wichtige und funktionierende Alternative haben, die auch akut wirkt.

Rechnen Sie in diesem Jahr mit einer dritten Welle?

Lauterbach: Das kommt darauf an, mit welcher Geschwindigkeit wir impfen können. Denn wir haben die Mutationsfähigkeit des Virus unterschätzt. Gelingt es uns, eine Herdenimmunität herzustellen, bevor das Virus Varianten bildet, gegen die die Impfstoffe nicht wirken, bleibt eine dritte Welle aus. Auch deswegen wäre ein in großen Mengen verfügbarer Impfstoff von Oxford/Astrazeneca wichtig. Auf der Grundlage hat Großbritannien die Zulassung erteilt. Mir macht im Übrigen Sorge, dass die bislang gefährlichste Mutation in Südafrika aufgetaucht ist.

Warum?

Lauterbach: Weil es ein Land ist, in dem eine Infrastruktur für flächendeckende Impfungen wie bei uns nicht vorstellbar ist. Zudem sind die Impfstoffe von Biontech und Moderna für ärmere Länder wegen des hohen Preises und der komplizierten Voraussetzungen etwa an Kühlketten kaum von Bedeutung.

Warum sollte Geimpfte bei uns nicht von bestimmten Privilegien profitieren dürfen?

Lauterbach: Ich halte das für eine Luxusdebatte. Wir wissen wegen noch laufender Studien erst im Februar, ob Menschen, die den Biontech-Impfstoff erhalten haben, sich trotzdem mit dem Virus anstecken können oder nicht. Wäre das der Fall, wäre es sogar gefährlicher, Geimpfte ohne Maske und Abstand in Gaststätten oder Flugzeuge zu lassen, weil sie das Virus noch schneller weitergeben könnten. Es reicht also, wenn wir diese Debatte im Sommer beginnen. Außerdem könnte eine bessere Impfstrategie in der vorgezogenen Einmalimpfung mit späterer Zweitimpfung liegen. Ob die erste Impfung vor Ansteckung schützt, ist auch unklar.

Hat Deutschland bereits ausreichend von dieser Pandemie gelernt?

Lauterbach: Zumindest sehr viel. Davon bin ich überzeugt. Die Pandemiepläne werden ganz anders aussehen. Bestimmte Dinge werden nicht mehr so sein wie vorher.

Werden wir uns also an die Maske im Alltag gewöhnen müssen?

Lauterbach: Das denke ich nicht. Aber wir werden genauer überwachen, welche Viren global im Umlauf sind und beispielsweise die Medikamentenproduktion wieder stärker nach Deutschland zurückholen. Sehr wichtig wird es sein, die Voraussetzungen für eine noch schnellere Impfstoffentwicklung zu schaffen.

Werden wir Sie in diesem Jahr weiterhin in fast jeder Talkshow zum Thema Corona sehen?

Lauterbach: Ich werde mich natürlich weiterhin ausführlich mit der Pandemie beschäftigen, wissenschaftlich und politisch. Diesen Ehrgeiz werde ich auch in diesem neuen Jahr haben. Im Übrigen gehe ich gerne in Talkshows und sehe sie auch gerne. Sie sind ein wichtiger Baustein politischer Meinungsbildung, wenn es die Zeit zulässt.

Und mit diesem Ehrgeiz wollen Sie Gesundheitsminister im Kabinett von Olaf Scholz werden?

Lauterbach: Ich hoffe sehr, dass Olaf Scholz Kanzler wird. Wer dann Gesundheitsminister wird, bleibt abzuwarten. Für solche Debatten ist nun wirklich nicht die Zeit. Wir sind noch lange nicht im Wahlkampf. Die nächsten drei Monate werden auch darüber entscheiden, wie die politische Bilanz dieser Krise ausfällt.

Wir befinden uns nun aber in einem Superwahljahr mit sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl. Wären Sie der bessere SPD-Vorsitzende, um Ihre Partei zum Erfolg zu führen?

Lauterbach: Ich bin auf jeden Fall der Schlechteste, um das bewerten zu können.

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Und warum steht es so schlecht um die SPD derzeit?

Lauterbach: Ich bin bei dieser Frage mit Blick auf unsere sehr aktiven, zuverlässigen und kompetenten Ministerinnen und Minister in der Bundesregierung und Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wirklich ratlos. Ich hoffe, die Menschen werden das unterbewertete der SPD noch erkennen. Mit Blick auf die Auswahl bei der Konkurrenz bin ich da zuversichtlich.

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