Interview mit FDP-Fraktionschef Dürr„Wir sollten impfen, was das Zeug hält“

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Christian Dürr

Christian Dürr ist neuer FDP-Fraktionschef im Bundestag. 

  • Christian Dürr (44) ist neuer FDP-Fraktionschef im Bundestag.
  • Im Gespräch mit Rena Lehmann spricht der Nachfolger von Christian Lindner über Corona, Schulden und die AfD.

20 Abgeordnete der FDP wollen verhindern, dass die allgemeine Impfpflicht gegen Corona kommt. Haben die Ihre Unterstützung?

Die Debatte um die Impfpflicht ist keine entlang von Partei- und Fraktionsgrenzen. Deswegen ist es gut und richtig, dass jetzt aus der Mitte des Parlaments Initiativen entstehen. Genauso wie bei anderen medizinethischen Themen wie der Sterbehilfe werden wir eine breite Debatte führen. Ich selbst habe mich noch nicht entschieden, ob ich für oder gegen eine Impfpflicht bin. Es ist eine echte Gewissensentscheidung für jeden Einzelnen.

Sie haben sich als FDP immer klar gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Woher der Sinneswandel?

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Vor einem halben Jahr haben doch alle Parteien gesagt, dass eine Impfpflicht nicht ansteht. Jetzt hat sich die Debatte aber so weiterentwickelt, dass die Impfpflicht als Möglichkeit gesehen wird, die Pandemie so zu bekämpfen, dass sie zukünftig kein Problem mehr darstellt. Und das muss doch das Ziel von Politik sein, dass wir keine Freiheitseinschränkungen mehr haben. Es geht aber nicht um eine Impfpflicht für alle oder keine Impfpflicht. Es wird möglicherweise Abstufungen geben. Es ist nicht nur eine Frage von Ja oder Nein. Man muss es rechtfertigen, wenn man seine Auffassung dazu ändert.

Impfpflicht für Lehrer und Polizisten?

Angesichts der weiter großen Zahl von Impfverweigerern bringen die Grünen eine Corona-Impfpflicht für bestimmte Beamtengruppen ins Gespräch. „Was für das Gesundheitspersonal schon beschlossen wurde, kann grundsätzlich auch für Beamte mit Verantwortung für andere Menschen richtig sein“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Janosch Dahmen, der „Rheinischen Post“. Polizisten, Lehrer oder Feuerwehrleute könnten berufsbedingt oft keinen Schutzabstand halten. Im Vordergrund müsse aber die Überzeugung stehen, betonte Dahmen.

Der künftige CDU-Chef Friedrich Merz äußerte sich derweil ablehnend zu einer allgemeinen Impfpflicht. „Wir sollten erst klären, ob es einfachere, bessere, verhältnismäßigere Mittel gibt, um eine wesentlich höhere Impfquote zu bekommen“, sagte Merz den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. (dpa)

Dass Sie Impfen vernünftig finden, ist das eine, aber dass Sie eine Pflicht für richtig halten, ist doch ein Unterschied...

Wenn man Freiheitsrechte stark einschränkt, weil die Impfquote nicht hoch genug ist, muss man sich fragen, was das bessere Mittel ist. Wir haben gerade eine stark gestiegene Impfbereitschaft in Deutschland. Bevor wir jetzt eine Debatte über eine Impfpflicht führen, sollten wir die aktuelle Impfbereitschaft nutzen und impfen, was das Zeug hält. Wir haben europaweit die beste Booster-Kampagne überhaupt. Das darf auf gar keinen Fall jetzt abreißen. Deshalb sollten wir jetzt zuerst alles dafür tun, dass es in den kommenden Wochen und Monaten genug Impfstoff gibt. Angesichts von möglicherweise zu wenig Impfstoff in den kommenden Monaten wäre es richtig, erst im Frühjahr über eine Impfpflicht zu entscheiden. Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass die Schlangen vor den Impfzentren nicht abreißen.

Braucht man die Impfpflicht dann vielleicht nicht mehr?

Wenn wir es jetzt schaffen, durch Booster-Kampagnen das Virus einzudämmen, müsste man das ernsthaft überdenken. Um über eine Impfpflicht entscheiden zu können, brauchen wir mehr Wissen über die Omikron-Variante. Das Virus verändert sich. Und das muss man berücksichtigen, wenn man seine Entscheidung trifft. Wir sind gerade in einer Situation mit vielen Unbekannten.

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Gibt es jetzt wirklich mehr Abwägung in der Corona-Politik, weil die FDP mitregiert?

Wichtig ist doch, dass die Corona-Maßnahmen wirksam sind. Sie dürfen nicht einfach nur Freiheitsrechte einschränken à la Markus Söder nach dem Motto: Nur wenn möglichst viel beschränkt wird, ist es gut. Es hat vor einem Jahr Ausgangssperren gegeben und Schulschließungen, wir haben damals den Einzelhandel flächendeckend geschlossen. Das tun wir jetzt nicht – und ich hoffe, dass das so bleiben kann. Dafür tun wir alles.

Sprechen wir über ein anderes Thema: Haben Sie das Ziel der Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 aufgegeben?

Die Schuldenbremse tritt wieder in Kraft. Sie hat doch dazu beigetragen, dass wir überhaupt das Potenzial hatten, die Krise zu bekämpfen. Sie hat sich außerdem als ausreichend flexibel erwiesen. Wir wollen die Haushaltsnotlage so schnell wie möglich beenden. Mit den 60 Milliarden, die wir jetzt in den Klima- und Transformationsfonds überführen, regen wir die Wirtschaft an.

Die Union hält das für verfassungswidrig...

Wir bleiben in diesem Jahr im Schuldenrahmen, den die Große Koalition bereits beschlossen hatte. Wir überführen nur die Kreditermächtigungen in ein Sondervermögen mit dem zentralen Ziel, die Notsituation zu beenden. Die Union hat vor einem Jahr einen Nachtragshaushalt beschlossen, indem sie die Neuverschuldung erhöht hat. Und mit diesen Mehrschulden hat die Große Koalition dann ein Sondervermögen befüllt. Ich verstehe nicht, warum die Union da nicht zuerst mal gegen sich selbst klagt. Für 2022 wird die Neuverschuldung reduziert werden, um dann 2023 keine neuen Schulden mehr zu machen.

Zum Schluss: Ist es wirklich geboten, der AfD sämtliche Ausschussvorsitze, die ihr zustehen, zu verwehren?

Jede Partei hat Vorschlagsrechte für bestimmte Posten. Aber keine Partei hat ein Recht darauf, dass ihre Vorschläge auch gewählt werden. Als Vorsitzender eines Bundestagsausschusses vertritt man das Parlament auch nach außen. Wenn man aus jeder Pore ausstrahlt, dass man die parlamentarische Demokratie eigentlich ablehnt, dann ist das ein Problem. Zu einer wehrhaften Demokratie gehört auch, dass Parlamentarier das Parlament verteidigen. Das tun wir, indem wir die AfD-Leute nicht wählen, denen die persönliche Eignung fehlt.

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