Interview mit Norbert Röttgen„Die Ukraine wird einen hohen Blutzoll entrichten“

Lesezeit 5 Minuten
Norbert Röttgen

Norbert Röttgen (CDU) 

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen plädiert in seinem neuen Buch „Nie wieder hilflos!“ für eine aktivere deutsche Außenpolitik. Im Interview mit Rena Lehmann kritisiert er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für zögerliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Sind dessen Gespräche mit Wladimir Putin wirklich schädlich?

Herr Röttgen, ist Kanzler Olaf Scholz der Befreiungsschlag nach wochenlangen Debatten über Waffenlieferungen gelungen?

Nach all den Versprechungen und Ankündigungen und Ausreden auf diesem Gebiet und nachdem bisher nichts an schweren Waffen geliefert wurde, ist es fair, wenn man die Bundesregierung nicht an Ankündigungen, sondern an den Taten misst. Dass jetzt, in den schwersten und verlustreichsten Wochen für die Ukraine, von der Bundesregierung nichts zu erwarten ist an Waffen, die sie gerade braucht, ist tragisch. Die Ukraine wird einen hohen Blutzoll entrichten, weil ihr ausgerechnet jetzt Artillerie-Waffen fehlen.

Alles zum Thema Olaf Scholz

Scholz hat gerade festgestellt, dass Deutschland mehr Waffen liefere als viele andere…

Ich bin ganz sicher, dass der Bundeskanzler sehr bewusst entscheidet, was er nicht macht und was er nicht sagt. Das sind keine Zufälligkeiten, sondern bewusste Politik. Zum Beispiel den Satz nicht zu sagen, die Ukraine müsse gewinnen. Er sagt aber nicht, was der Grund dafür ist. Seine Handlungen zielen insgesamt darauf ab, dass er nichts tut, was seine Gesprächsfähigkeit mit Putin ernsthaft beschädigt. Und das halte ich für einen schweren Fehler.

Sollte Scholz nicht mehr mit Putin telefonieren?

Nach der andauernden und eindeutigen Kriegsabsicht von Putin sind solche Telefonate nicht nur überflüssig, sondern schädlich. Es vermittelt immer wieder den falschen Eindruck, als gäbe es eine Basis, dass man mit Putin derzeit zu einer Verständigung kommen könnte. Der Fehler der deutschen Russland-Politik war über Jahre, dass wir uns von Wunschdenken und nicht von Realitäten haben leiten lassen. Damit sollte jetzt ein für alle mal Schluss sein.

Angela Merkel hat jetzt gesagt, sie hätte in ihrer Russland- und Ukraine-Politik nichts falsch gemacht…

Dass wir uns sehenden Auges in die Abhängigkeit von Energie aus Russland gebracht haben und dass wir die Kriegs- und Gewaltbereitschaft von Putin trotz der klaren Politik seinerseits unterschätzt haben, kann man heute eigentlich nicht mehr bestreiten. Wir haben die einzelnen Stufen der Politik Putins – 2008 der Georgien-Krieg, 2014 die Annexion der Krim, seine Intervention in der Ost-Ukraine 2014 und 2016 den Krieg in Syrien – nicht ernst genommen. Es hat daraus keine Konsequenzen gegeben. Im Gegenteil, wir haben die Abhängigkeit bei der Energie und die militärische Unzulänglichkeit vorangetrieben. Das ist doch der historische Befund.

Was war der Grund, so zu handeln?

Es war der bequemere Weg, sich an Wunschdenken und nicht an Realitäten zu orientieren. Es war nebenbei der enorme Druck der deutschen Industrie, den Zugang zu billiger Energie zu gewährleisten. Wenn man Putin so ernst genommen hätte, wie seine Taten es verdient haben, dann hätten wir das, was wir heute machen, schon viel früher machen müssen. Es wäre aber eine anstrengendere Politik gewesen.

Mehr als 100 Tage dauert der Krieg in der Ukraine und ein Ende ist nicht in Sicht. Was bewirken die Sanktionen?

Es sind die stärksten Sanktionen, die jemals von so vielen gegen ein so großes Land beschlossen worden sind. Nach und nach werden sie die russische Wirtschaft massiv schädigen. Aber es gibt eben auch Mängel, die Egoismen und kurzfristigen Interessen einiger Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, geschuldet sind. Das ist eine nicht zu vertretende Selbstschwächung beim Versuch, den Krieg zu beenden.

Haben Sie ein Beispiel?

Dass es bisher nicht zu einem großen Energie-Embargo gekommen ist, ist die größte Schwäche der Sanktionen. Ich würde es begrüßen, wenn man den Plan des italienischen Präsidenten Mario Draghi aufgenommen hätte, russisches Gas und Öl mit einem Preisdeckel zu belegen. Das wäre eine brillante Möglichkeit gewesen, Putin unter Druck zu setzen, die EU zum Akteur zu machen und die Preisentwicklung zu kontrollieren. Man sollte davon so schnell wie möglich Gebrauch machen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Für viele Menschen in Deutschland fühlt es sich angesichts gestiegener Energie- und Lebensmittelpreise an, als würden auch sie sanktioniert. Wie lange kann man das so fortsetzen?

Wenn der Westen sich richtigerweise entscheidet, nicht selbst Krieg zu führen, sondern sich für militärische Unterstützung und massive wirtschaftliche Sanktionen entscheidet, dann entscheiden wir uns für eine Außenpolitik, die zwingend auch ausgleichende Sozialpolitik einschließen muss. Allerdings haben die Preissteigerungen nichts mit einem verminderten Angebot oder einer gesteigerten Nachfrage zu tun. Die Preise sind reine Spekulation und natürlich eine Kriegsfolge. Ich stelle aber fest, dass das in der Bevölkerung bislang verstanden und akzeptiert wird, obwohl es manche sehr hart trifft.

Sehen Sie einen Hoffnungsschimmer für ein Ende des Krieges?

Alle wirklichen oder vermeintlichen Experten waren eigentlich der Auffassung, dass die Ukraine nach zehn Tagen erledigt ist. Der Widerstandswille der Ukrainer hat bewirkt, dass Putin politisch komplett gescheitert ist. Die Ukraine ist endgültig eine Nation geworden. Es gibt zwei neue Nato-Mitglieder mit Finnland und Schweden – und der Westen ist einiger denn je. Und aus dieser Einheit kann wieder Frieden und Freiheit in Europa entstehen.

Rundschau abonnieren