Interview mit Rolf Steinhäuser„Es wird eine Probezeit für Kardinal Woelki geben“

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Steinhäuser mit Regionalzeitungen

Der apostolische Administrator Rolf Steinhäuser 

  • Während der Auszeit von Kardinal Woelki bis Aschermittwoch leitet Rolf Steinhäuser das Erzbistum Köln.
  • Was sagt er über seine Aufgabe – und was passiert nach Woelkis Rückkehr?

Wie geht es Ihnen im neuen Amt?

Ich komme mir wie jemand vor, der ins Wasser geschmissen wird und Schwimmen lernen soll und froh ist, wenn er die Nase über Wasser halten kann. Ich war immer fleißig, ich habe immer viel gearbeitet, aber diese Aufgabe übersteigt alles, was ich je gemacht habe. Auf Dauer ist das nichts für mich.

Kommen Sie da manchmal an Grenzen?

Alles zum Thema Rainer Maria Woelki

Ich habe auch mal auf der Bremse gestanden. Viele Leute denken, ich wäre über alles im Bilde und könnte sofort eine Entscheidung treffen. Das ist oft nicht so. Da brauche ich Rücksprache. Das ist für Mitarbeiter nicht immer leicht zu ertragen.

Wäre es da nicht besser, der Administrator käme von außen und sähe sich diesen Erwartungen nicht ausgesetzt?

Ich habe mit der Berufung eines Apostolischen Administrators nicht gerechnet. Für mich gab es zwei Varianten, entweder, der Erzbischof wird bestätigt – damit habe ich nach Kardinal Marx und Erzbischof Heße auch gerechnet –, oder er wird nicht bestätigt. Und in diesem Fall wäre ich immer auch für einen Nachfolger von außen gewesen. So eine Zwischenphase von viereinhalb Monaten hatte ich nicht erwartet. Für so eine kommt dann nur ein interner Kandidat in Frage. Bis ein Externer sich eingearbeitet hätte, wäre sie schon vorbei. Ich habe mich in Paderborn mit Weihbischof Manfred Grothe zusammengesetzt, der eine ähnliche Funktion im Bistum Limburg hatte (nach dem Rücktritt von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, d.Red.). Er sagte: „Ja, wir haben den gleichen Titel, aber meine Situation war komfortabler, ich konnte das irgendwann an einen Nachfolger weitergeben, der aber noch nicht gewählt war“. Bei mir ist es anders: Ich kenne meinen Vorgänger, ich kenne meine Amtszeit, ich kenne meinen Nachfolger.

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Sind Sie sicher, dass Ihr Vorgänger Rainer Maria Kardinal Woelki auch Ihr Nachfolger wird?

Ich gehe davon aus, aber ich sitze nicht auf dem Schoß des Heiligen Vaters.

Wie weit ist der Vorgänger und Nachfolger denn eigentlich weg?

Soweit ich weiß, macht er jetzt die Großen Exerzitien, und zwar in Eichstätt. Er ist definitiv nicht in Köln, und wir haben auch keinen Kontakt. Ich habe ihm zum Auftakt der Exerzitien eine freundliche SMS mit guten Wünschen geschickt, und er hat ebenso freundlich geantwortet. Das war es. Exerzitien sind Exerzitien, und würde mich nicht berechtigt fühlen, ihn in dieser Zeit anzusprechen. Was die Zeit nach Weihnachten betrifft, werden wir sehen. Es kann ja nicht sein, dass Kardinal Woelki an Aschermittwoch aus der Wundertüte steigt, und alle gucken. Da müssen wir vorher in einen Austausch kommen. Dafür gibt es aber noch keine Planung.

Aber das Alter Ego des Kardinals ist ja auch Ihr Delegat, die andere Hälfte des Ordinarius, also Generalvikar Markus Hofmann.

Der Generalvikar oder Delegat ist nicht die andere Hälfte des Ordinarius, sondern er muss „ad mentem“, im Sinne des Bischofs handeln. Ich bin sein Vorgesetzter.

Aber nun kommt nicht nur der Administrator aus dem Erzbistum selbst, sondern auch sein engster Mitarbeiter. Ist das gut?

Als ich zur Vorbereitung in Rom war, lautete meine erste Frage: Wenn ich diese „Mission impossible“ annehme, was habe ich für Instrumente? Kann ich den Generalvikar entlassen? Nicht dass ich das vorhätte, ich wollte nur den Maximalfall prüfen. Mein Gesprächspartner war Kardinal Marc Ouellet, sozusagen der Personalchef der Kirche, und der sagte: Nein, das geht nicht. Veränderungen beim Generalvikar oder den Bischofsvikaren gehen nur mit ausdrücklicher Genehmigung aus Rom. Ich war da nicht frei. Dazu muss ich noch sagen: Ich bin vom Titel her zwar Administrator, also Verwalter, aber von meiner ganzen Lebensgeschichte her Seelsorger. Das ist etwas ganz anderes als die Führung einer großen Verwaltung. Und hätte es Sinn gehabt, für jemand anders zu kämpfen, wenn ich davon ausgehen muss, dass der Kardinal wieder den früheren Amtsinhaber beruft? Zudem muss ich sagen: Markus Hofmann ist einer der loyalsten Menschen, die ich kenne.

Wem gegenüber loyal? Dem Erzbischof gegenüber oder Ihnen?

Der Kirche. Ich vertraue auch darauf, dass er mir gegenüber loyal ist, und ich habe keine gegenteiligen Erfahrungen gemacht. Sie kennen das alte Sprichwort: „Man muss mit den Ochsen pflügen, die man hat“. Es ist eine Grundentscheidung. Sage ich: Seht, ich mache alles neu, oder arbeite ich mit den Menschen, die da sind.

Aber wie soll dann ein Neuanfang aussehen, wenn das Führungspersonal bleibt?

Nun ja, Weihbischof Schwaderlapp ist nicht im Bistum. In meiner Zeit ist er kein Faktor, wie es dann weitergeht, kann ich nicht sagen. Weihbischof Puff hat seinen Dienst sehr behutsam aufgenommen. Er hat jeder Gemeinde, in die er etwa zu Firmungen reist, ein Gespräch angeboten, und er findet hohe Akzeptanz.

Sie wollen nicht verwalten, sondern gestalten. Was haben Sie vor?

Die Kirche im dritten Jahrtausend muss eine synodale Kirche sein. Und genau dazu möchte ich im Erzbistum Köln einladen und das ausprobieren. Ein anderer Umgangsstil, ein neuer Modus des Miteinander, und ich hoffe, dass der bleibt. Wissen Sie, ich könnte alle möglichen Dekrete erlassen, aber die könnte ein anderer wieder aufheben. Das würde nicht nachhaltig wirken, sondern die Polarisierung verstärken. Wir brauchen eine andere Haltung zueinander.

Sie haben vorhin gesagt, Sie müssen schwimmen lernen. Und wenn Sie dann den Freischwimmer haben, müssen Sie aus dem Becken steigen.

Der mediale Umgang mit mir ist ein doppelter. Die einen versuchen mich zu verzwergen, die kleine Urlaubsvertretung für den Kardinal. Andere versuchen, die Erwartungshaltung zu steigern. Aber erinnern Sie sich mal den Medienhype, als Kardinal Woelki kam. Es ist ja nett, wenn er mal auf dem Fahrrad fährt und Brötchen kauft und neue Bilder aufhängt. Aber was wurde darauf projiziert! Und dann ist die Stimmung nach zwei Jahren gekippt. Also muss auch ich ein gutes Erwartungsmanagement betreiben. Wenn Leute glauben, da kommt der neue Heilsbringer, ist das Unsinn. Ich muss schauen, dass ich an dem einen oder anderen Punkt zu Veränderungen komme und eine gewisse Akzeptanz für das finde, was mir wichtig erscheint. Am liebsten würde man mich zu Handlungen sozusagen verleiten, die den Kardinal so unter Druck setzen, dass es einen Sturm der Empörung gäbe, wenn er sie zurücknimmt. Mein Auftrag ist aber, dass mir Mögliche zu tun, um ihm einen Wiedereinstieg zu ermöglichen. Ob das geht, das vermag ich nicht zu sagen.

Aber wie nachhaltig können Sie dann arbeiten?

Ich kann und will bestimmt nicht alle Forderungen des synodalen Weges umsetzen, aber Veränderungen muss es geben. Es gibt inzwischen eine gute Gesprächsbasis mit Diözesanrat und Diözesanpastoralrat – mit mir. Das ist schon ein großer Unterschied. Ob das bleibt, kann ich nicht sagen. Ich bin da durchaus skeptisch: Wo immer ich war, habe ich versucht, etwas aufzubauen, aber nach kurzer Zeit haben die Nachfolger es anders gemacht. Was auch ihr Recht war. Aber was vielleicht bleibt, sind gewisse Haltungen, Erfahrungen, an die man anknüpfen kann.

Aber Ihr Vorgänger ist Ihr Nachfolger. Der wird sich doch nicht grundsätzlich ändern.

Ich darf mein Bild von einem Menschen nicht so zementieren, dass ich ihm keinen Wandel zutraue – auch wenn ein Mensch Mitte 60 sich nicht „us der la Mäng“ neu erfinden kann. Ich bin bereit, ihm die Chance zu geben. Wozu er dann in der Lage ist, vermag ich nicht zu sagen.

Manche in der Kirche sehen so eine Art Damoklesschwert: Am Aschermittwoch, am 2. März, ist der Kardinal wieder da, dann kann sich alles ändern.

Das beschreibt die Stimmung ganz gut. Viele Menschen sind sehr unsicher, wenn sie an den 2. März denken.

Aber dann müssten Sie doch auf Woelki einwirken und sagen: Sie müssen sich grundlegend ändern.

Es ist meine Verantwortung, ihm eine Rückmeldung zu geben. Auch die Gremien sind da in der Pflicht. Wenn ich meinen Auftrag gut erfüllt habe, werden viele Leute zu Woelki sagen: wir sagen klar, was wir brauchen und wo wir stehen. Wir hören Dir sehr aufmerksam zu und schauen sehr genau, was Du tust. Meine Phantasie ist: Es gibt ein sehr enges Zeitfenster. Danach wird für viele Leute klar sein, welche Chance sie dem Kardinal geben, und dann werden sie sich positionieren.

Also eine Probezeit für Woelki?

Eine Probezeit wird es faktisch geben. Kirchenrechtlich gibt es die nicht. Rom wird auch genau hingucken. Hat Rom einen Plan B oder Plan V? Den habe ich nicht erkennen können.

Werden Sie Kardinal Ouellet eine Rückmeldung geben?

Eine ungeschönte Rückmeldung gehört zu meinem Auftrag, und ich werde auch andere Menschen dazu ermutigen.

Wie geht es inhaltlich weiter? Viele Menschen leiden zum Beispiel unter dem Umgang der Kirche mit Sexualität.

Das ist ein Problem, das weit über das Erzbistum Köln hinausgeht.

Aber die Konflikte kommen doch auf Sie zu. Im Februar ist wieder Vollversammlung des Synodalen Weges. Viele Gläubige wünschen sich, dass ihr Administrator den Reformbedarf artikuliert.

Dass Menschen sich immer freuen, wenn andere sie bestätigen, ist klar. Mein Wunsch ist, dass ich unabhängig davon, ob ich ein bisschen weiter links oder rechts stehe, so handeln darf, wie ich es mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Und dass auch, wer nicht die Mehrheitsmeinung vertritt, geschätzt und geachtet wird.

Aber Sie steuern in diesem Jahr auf 50 000 Austritte im Erzbistum Köln zu.

Ja, wenn das so weitergeht, stehen wir irgendwann allein. Wir haben das Risiko, dass Kirche sich- nicht theologisch, aber soziologisch zu einer Großsekte entwickelt. Es gibt Trends, die kehrt man nicht um, und wenn man sich auf den Kopf stellt. Das ist ein ähnlicher Säkularisierungsschub, wenn auch aus anderen Gründen, wie nach der Wiedervereinigung. Wenn Sie mal in die Niederlande schauen, sehen Sie, was auf uns zukommen könnte.

Die Evangelische Kirche sagt: wir müssen umsteuern, unser Engagement anders ausrichten, auch Leute akzeptieren, die uns ohne formale Mitgliedschaft akzeptieren.

Das teile ich uneingeschränkt. Wie es weitergeht, kann ich nicht prognostizieren.

Aber könnten Sie den Trend zum Kirchenaustritt bremsen, wenn Sie im Erzbistum Köln etwas ändern?

Das hoffe ich, aber es wird schwer. Schauen Sie sich unsere evangelischen Schwesterkirchen an, die viele der für uns kritischen Punkte nicht mehr haben und denen es nicht bessergeht. Dass wir allerdings im Erzbistum Köln noch ein Schüppchen draufgelegt haben durch die konkrete Situation, das ist sicher so. Wir müssen alles tun, um zu einem anderen Verhalten zu kommen, ohne darauf vertrauen zu können, dass wir damit den Trend brechen. Selbst wenn irgendwann alle anderen Forderungen des Synodalen Weges umgesetzt würden und Sie dann ehemaligen Katholiken sagen, kommt doch zurück, dann werden die antworten: Schön, dass Ihr das nach 150 Jahren endlich gemacht hat, aber warum soll ich da wieder mitmachen? Die Frage ist doch eher: Was macht Kirche einmalig? Das hat doch etwa mit Beheimatung zu tun, mit menschlichen Beziehungen.

Aber es wäre besser, wenn der amtierende Chef nicht zugeben müsste, er sei der Chef der Täterorganisation Erzbistum Köln.

Natürlich wäre ich heilfroh, wenn es nicht so wäre …

Aus anderen Bistümern und auch aus der Evangelischen Kirche hört man, die Kölner Vorgänge zögen alle anderen in Mitleidenschaft.

Wir haben viele Dinge schlechter gemacht als andere, das glaube ich auch. Aber ich wäre vorsichtig. Manche sind ja auch ganz froh, wenn sie auf uns zeigen können. Ich stelle nicht in Abrede, dass die Vorgänge bei uns auch andere in Mitleidenschaft ziehen.

Aber was sind die konkreten Fehler? Sie haben beim Bußgottesdienst erklärt, Sie hätten die Dinge falsch eingeschätzt. Das konnte Ihnen als Stadtdechant in Düsseldorf passieren. Aber als Mitglied der Kirchenleitung?

Weihbischöfe sind, wenn Sie so wollen, ornamentale Verzierungen. Sie haben keine Macht. Ich will mich nicht rausreden, aber mit ganz vielen Dingen war ich nie befasst. Die Bistumsleitung besteht genau genommen aus Erzbischof und Generalvikar.

Aber Sie sind als Weihbischof Mitglied der Personalkonferenz. Wurden Sie da nicht informiert, dass hier einen Pfarrer etwas zur Last gelegt wird und der Generalvikar ein bestimmtes Vorgehen vorschlägt?

Das läuft nicht so. Da erfahre ich nur, dass der und der Pfarrer beurlaubt ist.

Aber um Himmels willen, warum macht man dann überhaupt so eine Konferenz? Sollten Erzbischof und Generalvikar da nicht eher kollegialen Rat einholen?

Sie haben recht. Der aufgeklärte Absolutismus ist nicht das Zukunftsmodell. Deshalb trete ich ja für Synodalität ein. Es geht nicht um Parlamentarismus und Parteiendemokratie, aber die gegenwärtige Form der Machtausübung sollte nicht die Zukunft sein.

Ein zentraler Vorwurf lautet, das Erzbistum habe die Vorgänge zwar juristisch aufklären lassen, aber es fehle die moralische Dimension. Man müsste doch mal nicht nur über Rechtspflichten, sondern auch über ethische Standards sozusagen im Management der Kirche reden. Das machen ja sogar gewinnorientierte Unternehmen.

Das verstehe ich gut.

Angesichts der schweren Fälle von sexualisierter Gewalt haben Sie einen Bußgottesdienst zelebriert, als Amtsträger, der nur viereinhalb Monate in dieser Funktion ist. Daran gab es viel Kritik.

Dass ich den Gottesdienst zelebriert habe, fand ich schon stimmig. Ich hätte es besser gefunden, Kardinal Woelki selbst hätte das in der Fastenzeit gemacht. Aber ich habe mich nicht entscheiden können, den Gottesdienst abzusagen. Egal wie ich es gemacht hätte, wäre es falsch gewesen. Ich hätte ein anderes Format, auch eine andere Bezeichnung bevorzugt. Die Marke Bußgottesdienst ist theologisch falsch. Aber sie ließ sich nicht mehr ändern. Was ist denn ein Bußgottesdienst? Da geht der Rheinländer hin, wenn er“ nit bichte jonn will“. Beichte light sozusagen. Am Ende ist alles vergeben. Aber hier konnte es doch nur um Schuldgeständnis gehen, um Gedächtnis der Betroffenen, um Bitten. Ich habe in dem ganzen Gottesdienst nicht um Vergebung gebeten. Nicht, weil ich nicht von Herzen wünschen würde, dass Menschen einander vergeben. Aber ich kann das doch nicht erwarten. Hier sind Menschen so tief verletzt worden, dass sie gar nicht vergeben können. Das habe ich zu akzeptieren. Aber der Ablauf des Gottesdienstes als solcher stand fest. Wofür ich gesorgt habe, war, dass die Betroffenen sich ungeschminkt äußern können. Ich habe auf den Gottesdienst sehr viele differenzierte und positive Stellungnahmen gehört, aber ich weiß auch, dass es für viele Leute schwer war, sich auf meine Worte einzulassen.

Aufgezeichnet von Raimund Neuß

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