Interview zu Antisemitismus„In Sozialen Medien tauchen absurde Behauptungen auf“

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Protest gegen An­ti­se­mi­tis­mus: Mit­glie­der der Jüdischen Gemeinde zu Berlin bei einer So­li­da­ri­täts­kund­ge­bung unter dem Motto "Berlin trägt Kippa" im April 2018.

Felix Klein warnt im Gespräch mit Helge Matthiesen vor einem Erstarken des Antisemitismus. Er mahnt, dass jeder Diskriminierung und Gewalt entschieden entgegentritt. Denn für die Opfer sei das Schweigen und das Wegschauen der anderen genauso schlimm wie der Angriff selbst.

Die Juden und die Pest, das ist ein uraltes antisemitisches Thema: Welche Rolle spielen solche Verschwörungstheorien rund um die Corona-Krise?

In Krisenzeiten sind Menschen immer besonders anfällig für Irrationalität. Es ist erschreckend, aber nicht verwunderlich, dass in der jetzigen Coronakrise auf der Suche nach angeblich Schuldigen wieder alte antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet werden wie wir sie aus den Zeiten der Pestepidemien kennen.

Was beobachten Sie da genau?

In den Sozialen Medien werden derzeit völlig absurde Behauptungen in Umlauf gebracht. Die Rede ist etwa von jüdischen Gewinnen aus einem möglichen Impfstoff, von Israel entwickelten Biowaffen oder dem jüdischen Versuch, den Anteil von Muslimen an der Weltbevölkerung zu reduzieren.

Wie gehen Sie dagegen vor?

Wir müssen diese Falschmeldungen durch Gegenrede mit faktenbasierter Aufklärung entlarven. Die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle. Darüber hinaus rufe ich jede und jeden Einzelnen auf, derartige Inhalte den Betreibern der Plattformen zu melden sowie Anzeige zu erstatten. Sobald das geplante Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet in Kraft tritt, haben wir verbesserte Möglichkeiten, strafrechtlich dagegen vorzugehen.

Das Thema Antisemitismus ist nicht zuletzt nach dem Anschlag in Halle wieder im Fokus. Sind all die Bemühungen der zurückliegenden Jahrzehnte eigentlich gescheitert?

Ich glaube, wir haben in Deutschland zu lange gedacht, dass wir immun sind gegen solche Entwicklungen. Unsere Erinnerungskultur ist im internationalen Vergleich gewiss etwas Besonderes. Dennoch sehen wir gerade in der jüngeren Vergangenheit verstärkt, dass es eben nicht reicht. Wir können uns nicht ausruhen. Es bleibt eine fortwährende und immer wieder neue Aufgabe, an der Bekämpfung des Antisemitismus zu arbeiten. Insofern ist die Einrichtung meines Amtes 2018 schon ein Paradigmenwechsel. Es ist ein ehrliches Zeichen der Politik, dass es trotz aller Maßnahmen, die wir ergriffen haben, letztlich doch nicht genügte. Wir müssen unsere Ansätze überprüfen. Wir brauchen eine neue Gesamtstrategie gegen Antisemitismus. Daran arbeite ich jetzt.

Sie sprechen von der Rückkehr des offenen Antisemitismus. Wie ist es dazu gekommen?

Antisemitismus war nie wirklich verschwunden, nur verdeckt. Dass antisemitische Haltungen nun wieder offen geäußert werden, war ein schleichender Prozess. Es gibt zwei markante Ereignisse, die dies verdeutlichen. Da war zunächst die Beschneidungsdebatte im Jahr 2012. Da hat man in Leserbriefen und Diskussionsbeiträgen im Internet gesehen, wie stark der Antisemitismus noch vorhanden ist. Es äußerten sich plötzlich Menschen, die offenbar schon immer antisemitisch dachten, sich aber bis dahin nicht getraut haben, das auch öffentlich zu zeigen. 2014 begann die Israel-Gaza-Operation. Da kamen die Angriffe von islamistischer Seite. Es wurde ‚Juden ins Gas‘ in Deutschland auf der Straße gerufen, oft ohne dass die Polizei eingeschritten ist. Das sind die Hauptereignisse, die sich auch gegenseitig verstärkten. Die Grenzen des Sagbaren haben sich insgesamt verschoben.

Welche Rolle spielt die AfD, aus deren Reihen immer wieder antisemitische Töne kommen?

Die Angriffe führender Politiker der AfD auf die Erinnerungskultur haben sicherlich Antisemitismus ausgelöst. Dazu gehört die Relativierung des Holocaust und der NS-Herrschaft. Hinzu kommt, dass die AfD sehr problematische Positionen gegenüber dem jüdischen Leben vertritt. Das gilt zum Beispiel für das rituelle Schächten. Das will die AfD verbieten. Orthodoxen Juden würde es dadurch aber unmöglich werden, in Deutschland Fleisch zu essen.

Viele fragen sich, was sie tun können, um Antisemitismus zu begegnen. Was raten Sie?

Wenn jemand antisemitische, judenfeindliche Sprüche macht oder Verschwörungstheorien verbreitet, dann sollte jeder sich aufgerufen fühlen, das nicht hinzunehmen. Manchmal muss man auch den Mut haben, die Harmonie einer Feier zu stören und offen widersprechen. Campino zum Beispiel hat das großartig gemacht bei der Echo-Preisverleihung. Das andere ist, Interesse zu zeigen für das jüdische Leben. Man kann in die Synagoge gehen, Konzerte besuchen, Anteil nehmen am jüdischen Leben und damit die Vielfalt hier in Deutschland wahrnehmen. Bei einem Angriff muss man natürlich in jedem Fall etwas tun. Betroffene sagen, das Schweigen und Wegschauen der anderen sei genauso schlimm wie der Angriff selbst.

Zur Person

Felix Klein wurde in Darmstadt geboren. Der 52-Jährige studierte Rechtswissenschaften in Freiburg, Berlin und London. Von 1994 bis 1996 absolvierte er seine diplomatische Ausbildung beim Auswärtigen Amt in Bonn. Im Mai 2018 berief die Bundesregierung ihn zum Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. (nij)

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