Interview zu Flüchtlingskriminalität„Wir brauchen mehr Personal, aber das Geld fehlt“

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Jugendliche Flüchtlinge

Sprachkurse, Sportangebote: Laut einer Studie von Kriminologen verringern solche Angebote die Gefahr, dass Flüchtlinge gewalttätig werden.

Eine neue Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums kommt zu dem Ergebnis: Je schlechter die Zukunftschancen für Flüchtlinge in Deutschland, desto höher das Potential für Gewalttaten. Ein Interview mit Manfred Nowak, dem Vorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt Berlin-Mitte.

Herr Nowak, die Kriminologen Christian Pfeiffer, Dirk Baier und Sören Kliem haben in einer Studie herausgefunden, dass Asylsuchende in Deutschland, die keine Chance auf ein Bleiberecht haben, eher straffällig werden. Deckt sich das mit den Erfahrungen aus Ihrem Arbeitsalltag?

Manfred Nowak: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Es ist richtig, dass junge Asylsuchende häufig versuchen, ihr Geburtsdatum nach unten zu korrigieren. Das bekommen die Menschen oft schon von den Schleppern eingeredet. Jugendliche bekommen schließlich einen Vormund und mehr Geld. Erwachsene Flüchtlinge dagegen müssen in Gemeinschaftsunterkünften leben. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied.

Zur Person

Manfred Nowak (74) ist Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt in Berlin-Mitte. Der Verein betreibt seit den 90er Jahren Flüchtlingsunterkünfte in der Hauptstadt. Derzeit sind es zwölf. 2015 wurde eines der Heime von Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht. Dort entstanden die inzwischen berühmt gewordenen Selfies von Merkel mit Flüchtlingen.

Und werden nun Flüchtlinge aus Kriegsgebieten wie Syrien oder Afghanistan weniger häufig straffällig als Asylsuchende aus nordafrikanischen Ländern, wie es in der Studie heißt?

Das ist mir zu pauschal. Solche Erfahrungen haben wir bislang nicht gemacht. Wir führen dazu allerdings auch keine Statistiken. Vereinzelt gibt es natürlich Straftäter, die in unseren Unterkünften leben. Aber nach meiner Erfahrung kann man in dieser Hinsicht keinen klaren Unterschied ausmachen zwischen Flüchtlingen aus Syrien und Menschen aus den Maghreb-Staaten. Es gibt solche und solche aus allen Regionen der Welt.

Ist die Perspektivlosigkeit in der Altersgruppe zwischen 14 und 30 Jahren, besonders groß, weil die jungen Männer damit rechnen müssen, schnell wieder in ihre Heimat zurückgeschickt zu werden?

Auch das ist mir zu allgemein. Jugendliche können aufgrund der geltenden Rechtslage nicht abgeschoben werden, Erwachsene natürlich schon. Und wenn es zu Abschiebungen kommt, dann sind alle Menschen, egal woher sie kommen, verunsichert. Vor allem afghanische Flüchtlinge haben wegen der unsicheren Lage in ihrer Heimat besonders große Sorgen und Angst, wenn sie abgeschoben werden sollen.

Was machen Sie praktisch, um gegen die Langeweile in den Unterkünften anzugehen? Gibt es bei Ihnen Sprachkurse, Praktika oder andere Angebote, die für Zeitvertreib sorgen?

Wir legen viel Wert auf Kontakte zu Sportvereinen, vor allem aber viel Wert auf Sprachunterricht. Wenn Flüchtlinge schnell Deutsch lernen, dann findet auch schneller ein Austausch zwischen ihnen und den Nachbarn der Flüchtlingsunterkünfte statt. Das beugt Protesten vor, die wir auch schon hatten. Zweimal gab es sogar Brandsätze in Unterkünften.

Müsste es mehr solcher Angebote geben und hätten Sie Geld dafür?

Erstens: ja, zweitens: nein. Natürlich brauchen wir viel mehr Angebote. Wir haben zum Beispiel zwei Gärten, in denen Flüchtlinge arbeiten können. Das wird gut angenommen. Mehr solche Angebote wären auf jeden Fall hilfreich. Man kann auch nicht alles auf ehrenamtliche Helfer abwälzen. Wir brauchen also mehr Personal. Aber das Geld dazu fehlt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Union und SPD in ihren Gesprächen über eine Regierungsbildung das jetzt zum Thema machen würden und am Ende auch mehr Geld für die Flüchtlingsbetreuung herauskäme.

Nach Pfeiffers Studie ist es ein großes Problem, dass Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland häufig in reinen Männergruppen leben müssen. Es fehlt der ordnende Einfluss von Frauen. Stimmen Sie zu?

Absolut. Das ist ein Problem. Andererseits geht es manchmal auch nicht anders. Wir können ja nicht Frauen, die während ihrer Flucht Opfer von männlicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen geworden sind, mit Männern zusammenleben lassen. Wir versuchen zumindest, Familien nicht zu trennen.

Gelingt das?

Nicht immer. Die räumlichen Bedingungen in Berlin sind – wie in allen Großstädten - sehr problematisch. Es ist nicht einfach, bezahlbaren Wohnraum für Flüchtlingsfamilien zu finden. Das sind ja auch häufig Großfamilien. Und man darf nicht vergessen, dass es zwar immer noch viel ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge gibt, aber auch immer noch Menschen, denen das Schicksal der Flüchtlinge egal zu sein scheint. Man hört dann schon auch Sätze wie: Denen gebt ihr die Wohnungen, die wir uns nicht leisten können. Dagegen hilft nur, den Kommunen mehr Geld zu geben, und das ist Sache der Bundesregierung.

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