Julia Klöckner im Interview„Wahlkampf auf dem Rücken der Tiere“

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Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, spricht im Interview über Tierschutz.

Frau Klöckner, es wird nichts mehr mit dem Tierwohllabel in dieser Legislaturperiode. Der Bundestag zieht nicht mit. Damit ist eines Ihrer Kernprojekte gescheitert… Klöckner: Gerade in Sachen Tierwohl sind wir in dieser Legislaturperiode so weit gekommen, wie keine Regierung vor uns. Den Tierschutz habe ich intensiv vorangebracht. Wir sind weltweit die ersten, die aus dem Kükentöten aussteigen. Die betäubungslose Ferkelkastration haben wir verboten. Die Qualzucht von Hunden habe ich eingeschränkt. Ich könnte weiter aufzählen...

Bleiben wir beim Tierwohlkennzeichen, ein Projekt, für das Sie sehr geworben haben. Die SPD will Ihre freiwillige Kennzeichnung nicht und fordert ein Pflichtlabel.

Da wird auf dem Rücken der Tiere Wahlkampf gemacht. Die SPD weiß sehr genau, dass ein national verpflichtender Alleingang europarechtlich so nicht möglich ist. Deshalb haben auch die Niederlande und Dänemark ein Tierwohlkennzeichen eingeführt, so wie ich es vorgelegt habe. Die SPD und die Grünen lehnen es aus durchschaubaren Gründen ab, diese Taktik geht zulasten der Tiere und Tierhalter. Im Übrigen habe ich in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft den Grundstein für ein europäisches Tierwohlkennzeichen gelegt. Das wird kommen, dauert aber. Darauf sollten wir hier in Deutschland nicht warten. Die Bürger wollen eine staatliche Tierwohlkennzeichnung und die Tierhalter müssen höhere Standards finanziert bekommen. Der Umbau der Tierhaltung braucht Mut, Tatkraft und Verlässlichkeit.

Der Widerstand der SPD ist das eine. Aber auch aus der Union hat niemand so recht für Ihr Label gekämpft…

Ich kann schon verstehen, dass gerade Abgeordnete aus Intensivtierregionen beim Thema Tierwohl anderen Erwartungen ausgesetzt sind. Aber wenn die einen mir sagen, unser Label sei zu lasch, und die anderen mir sagen, es sei zu streng, dann können wir nicht ganz so falsch liegen. Als Ministerin kann ich weder auf die warten, die sich gegen jedwede Veränderung wehren. Noch kann ich in Kauf nehmen, dass nur Forderungen nach höheren Standards an Landwirte gestellt werden ohne sie ihnen zu bezahlen. Das wäre der Bankrott der landwirtschaftlichen Familien.

Nun gut, aber ohne Label kein Umbau der Tierhaltung. Entsprechende Pläne der Borchert-Kommission waren eng daran gekoppelt. Also weiter jahrelanger Stillstand im Stall?

Nein. Wir haben ein Momentum beim Tierwohl geschaffen, hinter das keine Regierung mehr zurückfallen kann. Es geht künftig nicht mehr darum, ob die Tierhaltung in Deutschland umgebaut werden soll. Es geht jetzt allein um das Wie. Ich habe alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um mehr Tierwohl zu erreichen, die sich aber auch für die Tierhalter rechnen: Es gibt einen Plan für das Label, einen Plan für den Umbau, für Verträge mit den Landwirten, und die Finanzierung ist jetzt auch rechtssicher möglich. Die Union wird im Wahlkampf darauf aufbauen.

Inwiefern?

Wir werden für eine Abgabe für Tierwohl werben. An der Kasse werden tierische Produkte dann ein bisschen teurer, dafür haben die Landwirte die finanzielle Sicherheit, die sie brauchen, um den Stall umzubauen. Das macht vier, vielleicht fünf Cent pro Mahlzeit aus. Das muss uns Verbrauchern mehr Tierwohl wert sein. Fleisch ist viel zu oft leider nur Ramschware. Das muss sich ändern. Und ich werde in Kürze einen Tierwohl-Mustervertrag vorstellen. Den sollen die Landwirte mit dem Staat schließen. Das bietet den Bauern langfristig die nötige Verlässlichkeit, wenn sie in Tierwohlställe investieren.

Was verwundert: Beim Tierwohllabel wollen Sie den europäischen Weg beschreiten. Gleichzeitig sehen wir aber, dass in Brüssel immer noch über die Agrarförderung der kommenden Periode gestritten wird.

Die Brüsseler Debatte gehört zum politischen Geschäft. Bei unserem Agrarrat vor wenigen Tagen in Lissabon haben wir 27 Mitgliedsstaaten deutlich gemacht, dass wir noch im Juni eine Einigung wollen. Dazu müsste sich auch EU-Kommissar Timmermans konstruktiver einbringen. Ich bin mir sicher, dass er weiß, dass Landwirte keine Landschaftsgärtner sind, sondern unsere Lebensmittel erzeugen.

Klar ist: In der Agrarförderung wird sich einiges ändern, aber von Blühstreifen alleine werden wir Menschen uns nicht ernähren können.

Zurück zur Bundespolitik: Die Grünen haben realistische Chancen, der nächsten Bundesregierung anzugehören. Müssen die Bauern Angst haben?

Der Blick ins grüne Wahlprogramm zeigt: Die Grünen unterteilen die Landwirtschaft in gute und schlechte Bauern. Das halte ich für hochproblematisch. Wir müssen weg von diesen Schubladen. Innovationen, Forschung, Digitalisierung bringen uns weiter - beim Tierwohl, bei der Reduktion von Pflanzenschutz- oder Düngemitteln. Diesen Innovationen versperren sich die Grünen, wenn sie etwa neue Züchtungsmethoden für klima- und schädlingsresistente Pflanzen ablehnen. Man kann doch nicht immer nur höhere Ziele formulieren, aber den Landwirten die Instrumente zu deren Erreichung aus der Hand schlagen. Das geht so nicht, das ist nicht im Sinne des Klimaschutzes.

Nehmen wir mal an, die Union gewinnt die Wahl… würden Sie als Agrarministerin weitermachen wollen?

Das wäre anmaßend gegenüber den Wählerinnen und Wählern, jetzt Ministerposten zu verteilen oder zu beanspruchen. Als stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU will ich einen Beitrag dazu leisten, dass Armin Laschet Bundeskanzler wird und die Union unser Land modern, sicher und verlässlich weiter regieren kann.

Würden Sie denn noch mal mit der SPD regieren wollen? Es gab ja eigentlich keinen Punkt, bei dem Sie mit dem Koalitionspartner nicht aneinandergeraten sind.

Über die künftige Regierung entscheiden die Wähler. Aber: Ich sorge mich um den Zustand der SPD. Viele in der Sozialdemokratie haben sich von dem normalen Lebensalltag der Arbeiter, der Familien weitestgehend verabschiedet, sie wollen lieber grüner als die Grünen sein. Für die wenigsten ist doch aber etwa eine gendergerechte Sprache das drängendste Problem. Ich halte das für gefährlich, wenn der Eindruck entsteht, dass die wirklich wichtigen Anliegen kein Gehör mehr finden. In der Mitte der Gesellschaft müssen wir in jeder Hinsicht eine verständliche Sprache und den Lebensalltag ansprechen, sonst verlieren wir Bürgerinnen und Bürger an die extremen Parteien.

Muss dieser Prototyp-Bürger, den Sie skizzieren, sich weiter den Urlaubsflug nach Mallorca leisten können?

Wer malocht, soll auch Urlaub machen dürfen. Und wer nach Mallorca fliegen will, soll das auch. Wer bin ich denn, das jemandem verbieten zu wollen? Dass ich Flüge, die 19 Euro kosten, für einen Fehlanreiz mit Blick auf das Klima halte, das steht auf einem anderen Blatt. Grundsätzlich sollten wir den Bürger mehr zutrauen als zu glauben, nur die Politiker wüssten alles besser und müssten die Supernanny geben.

Auf dem Land verbreitet der Wolf Angst und Schrecken. Kürzlich rissen wohl Wölfe eine Kuh. Unmittelbar daneben spielen normalerweise die Bauernkinder. Ist das die neue Realität auf dem Land, mit der man sich abfinden muss?

Mit einer solchen Realität wollen und werden wir uns als CDU nicht abfinden. Im fünften Stock einer Großstadt findet man es vielleicht ganz schön, wenn der Wolf sich ausbreitet. Aber fragen Sie doch mal die Dorfbewohner, über deren Straßen Wölfe streifen, die Angst um ihre Kinder haben. Die Reform des Bundesnaturschutzgesetzes, die Lex Wolf, hat nicht gereicht. Das habe ich von vornherein gesagt, aber mit der SPD in der Regierung ging nicht mehr. Jetzt kriege ich Briefe von SPD-Politikern aus Niedersachsen, die Gegenmaßnahmen fordern. Da kann ich nur sagen: Ruft doch mal bei Eurer Genossin Svenja Schulze im Umweltministerium an. Deren Blockadehaltung halte ich für weltfremd.

Was wäre denn Ihr Vorschlag?

Wir nehmen die berechtigten Sorgen der Betroffenen ernst. 2019 hatten wir durch Wolfsrisse bereits fast 3000 tote oder verletzte Nutztiere. Wo soll das enden, wenn man es einfach laufen ließe? Der gute Erhaltungszustand beim Wolf ist in einigen Bundesländern, darunter Niedersachsen, erreicht. Deswegen setzen wir uns für ein regionales Bestandsmanagement ein. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um die Ausrottung des Wolfes. Es geht auch darum, die Weidetierhaltung weiterhin zu ermöglichen.

Ist der Wolf eine Gefahr für den Menschen?

Ich will keine Ängste schüren. Wenn Pferde und Kühe schon gerissen werden, kann ich sehr gut nachvollziehen, dass Eltern um ihre Kinder besorgt sind. Das nehme ich sehr ernst.

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