Kirchenrechtler„Kardinal Woelki wird am Nasenring von seiner Kurie vorgeführt“

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Kirche Kreuz Symbol dpa

Symbolbild

  • Das Erzbistum Köln solle die von einer Münchner Kanzlei erarbeitete Missbrauchsstudie zeitnah veröffentlichen, findet Thomas Schüller.
  • Mit dem Professor für Kirchenrecht an der Uni Münster sprach Raimund Neuß.

Köln – Die Professoren Jahn und Streng heben unter anderem hervor, die katholische Kirche dürfe Beweismittel, insbesondere Angaben aus Vernehmungen, aus ihren eigenen Strafverfahren nicht an staatliche Behörden weitergeben. Ist das wirklich ausnahmslos so? Also ein Kirchenrechtler erfährt per Vernehmung von einer auch nach staatlichem Recht erheblichen Straftat und muss das für sich behalten? Leider ist es nach deutschem Recht so, dass die Kirchen, die durch interne Untersuchungen von auch nach staatlichem Strafrecht möglicherweise sexuellen Straftaten erfahren, rechtlich (!) nicht verpflichtet sind, diese an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden zu melden. Die Sachlage verändert sich allerdings dann, wenn man von möglichen neuen sexuell motivierten Straftaten eines Klerikers erfährt, der bereits wegen vergleichbarer Delikte durch ein staatliches Gericht verurteilt wurde. Hier gehen immer mehr Staatsanwaltschaften dazu über, auch bei den Bischöfen Nachforschungen anzustellen und sie gegebenenfalls anzuklagen.

Kann, muss der Staat sich das bieten lassen? Ist das so eine Art Beichtgeheimnis?

Die Politik sollte wie in vielen anderen Staaten der Welt durch Änderung der Gesetze die Kirchen verpflichten, dieses interne Wissen auch an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben zu müssen und nicht nur in einer Art Selbstverpflichtung, wie sie jetzt in den aktuellen Leitlinien der DBK zu finden ist.

Andererseits gibt die Kirche ja durchaus Unterlagen an Staatsanwälte weiter – wieso darf sie das dann doch?

Inzwischen haben sich die deutschen Bischöfe, wie eben angeführt, darauf verständigt, jeden Verdachtsfall unverzüglich an die Strafverfolgungsbehörden in einer Art freiwilliger Selbstverpflichtung zu melden. Eine sehr späte Einsicht.

Wir hören ferner von einem eingeschränkten Legalitätsprinzip. Es sei weitgehend ins Ermessen des Ortsbischofs gestellt, ob er überhaupt Verfahren einleitet und wenn ja, ob dies Gerichtsverfahren sein müssen. Wie weit kann man einen Bischof und seine leitenden Mitarbeiter dann noch zur Verantwortung ziehen?

Das mehrfach überarbeitete Recht der letzten Päpste zu diesem Themenkreis verpflichtet die Bischöfe, bei einem Verdachtsfall unverzüglich kirchenrechtliche Voruntersuchungen zu beginnen und die Ergebnisse nach Rom an die Glaubenskongregation in Rom zu melden, die entscheidet, wie mit diesem Bericht weiter strafrechtlich in welcher Verfahrensart umzugehen ist.

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Ein Ermessen in diesem Bereich ist sachlich falsch wie das gesamte Gutachten deutlich die fehlende kirchenrechtliche Kompetenz der Autoren belegt.

Die Kirche ahndet bis heute den Umgang mit Sexualdelikten an Kindern im Zusammenhang mit der Würdigkeit eines Priesters, die Sakramente zu feiern. Ich weiß, Kirchenrecht ist immer sakramentales Recht – aber müsste man diese Ebene nicht von der eines normalen Verwaltungs- und Disziplinarrechts trennen, wie es jede andere große Organisation auch braucht?

Klare Delikte, die auch nach kirchlichem Strafecht Delikte sind, werden in kanonischen Strafprozessen, leider auch bei Reduktion der Verteidigungsrechte auch in Verwaltungsstrafverfahren behandelt und geahndet. Viele Fälle liegen aber unterhalb der staatlichen und kirchlichen Strafbarkeitsgrenze und indizieren doch einen problematischen Umgang in diesem Bereich. Es ist von daher zu begrüßen, dass die Deutschen Bischöfe hier an einen neuartigen disziplinarrechtlichen Verfahren arbeiten, um mit diesen Fällen sachgerecht umgehen zu können.

Wir haben jetzt ein Gutachten über ein anderes Gutachten, das aber selbst unter Verschluss bleibt, obwohl Fragmente daraus im Umlauf sind, in denen mehrere Personen scharf angegriffen werden. Wäre es da nicht um des guten Rufs dieser Personen willen nötig, das Originalgutachten jetzt mitsamt der Gegendarstellung der Genannten zu veröffentlichen?

Angesichts der polemischen Schärfe bei der heutigen Vorstellung des Gegengutachtens und dem darin zum Ausdruck kommenden Vernichtungswillen gegenüber der Münchener Kanzlei, ist es dringend geboten, dass das Erzbistum Köln das Münchener Gutachten zeitnah veröffentlicht. Nur so kann man sich ein eigenes Urteil bilden, was an den massiven Vorwürfen wirklich dran ist.

Keine juristische, eher eine historische Frage: Aus dem geheimen Münchner Gutachten ist die Wertung veröffentlicht worden, Kardinal Meisner habe mitbrüderliche Solidarität wichtiger genommen als die Sorge um die Opfer. Ist das aus den bisherigen Informationen nachvollziehbar?

Aus meinen Informationen zum Verhalten von Kardinal Meisner im Umgang mit Opfern sexueller Gewalt ist diese Information nicht nur plausibel, sondern sehr wahrscheinlich und nahe an der Realität.

Und was bedeutet das ganze Drama für den heutigen Kölner Erzbischof Kardinal Woelki?

Kardinal Woelki, der ernsthaft und aufrichtig eine schonungslose Aufklärung der Verantwortlichkeit wollte, hat sich im Gewirr und den Intrigen der noch lebenden Verantwortungsträger für Vertuschung von sexuellem Missbrauch und nicht sachgerechtem Umgang mit diesen Anzeigen sexueller Gewalt in der Kirche, verstrickt und wird jetzt am Nasenring von ihnen und seiner eigenen Kurie vorgeführt und blamiert. Dies wünscht man keinem Diözesanbischof.

Das Erzbistum Köln hat ein Gutachten der Münchner Kanzlei Westphal Spilcker Wastl verworfen – das Bistum Aachen will eines aus gleicher Quelle veröffentlichen. Wie bewerten Sie das?

Sowohl das Bistum Aachen wie auch das Erzbistum München-Freising vertrauen bisher der Münchener Kanzlei. Auch das Bistum Eichstätt hat bei der Aufarbeitung des Finanzskandals gute Erfahrungen mit dieser Kanzlei gemacht.

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