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Kommentar zu BoykottaufrufErdogans Spiel der Ablenkung

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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei

Istanbul – Der Boykottaufruf des türkischen Präsidenten Erdogan gegen Frankreich hat mehr mit der türkischen Innenpolitik und Wirtschaftslage zu tun als mit der angeblich anti-islamischen Haltung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Erdogan setzt einen solchen Appell nicht zum ersten Mal ein: Vor zwei Jahren hatte Erdogan während einer wirtschaftlichen Schwächephase zum Boykott amerikanischer I-Phones aufgerufen.

Boykottaufruf soll von eigener desolaten Wirtschaftslage ablenken

Damals wie heute ging es darum, von der schlechten Lage der türkischen Wirtschaft abzulenken und einen angeblichen Angriff des westlichen Auslands auf die Türkei zu beschwören. Vom I-Phone-Boykott redet in der Türkei heute niemand mehr. Und auch die Kampagne gegen Frankreich wird voraussichtlich nur so lange rollen, bis Erdogan ein anderes Thema gefunden hat.

Der Wirtschaftsboom in der Türkei in den ersten Jahren der Erdogan-Regierung ist bis heute das Fundament der Macht des türkischen Präsidenten. Erdogan bescherte weiten Bevölkerungsschichten einen Wohlstand, der vorher undenkbar schien. Damit verdiente er sich die Treue von Millionen von Wählern. Doch seit einigen Jahren kämpft die türkische Wirtschaft mit Problemen, die zum Teil hausgemacht sind, wie etwa die Einmischung der Regierung in die Entscheidungen der Zentralbank.

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Wirksame Gegenmaßnahmen, wie eine Stärkung der Zentralbank, würden Erdogans Macht beschränken – und das will der Präsident nicht hinnehmen. Lieber sucht er sich Sündenböcke, die er für Misserfolge verantwortlich machen kann. Vor zwei Jahren warf er den USA einen „Wirtschaftskrieg“ gegen die Türkei vor.

Ähnlich dürfte die türkische Reaktion auf mögliche Sanktionen der EU ausfallen, über die im Dezember entschieden werden soll. Eine Lösung der vielen Probleme zwischen Europa und der Türkei wird dadurch noch schwieriger.

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