MachtwechselNRW-CDU wählt neuen Parteichef unerwartet harmonisch

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Hendrik Wüst 

Bielefeld – Die Stadthalle in Bielefeld ist normalerweise ein Veranstaltungsort in Hauptbahnhof-Nähe, am Samstag jedoch fungierte sie vor allem als Heimstatt einer „Parallel-CDU“. Einen Monat nach dem Bundestagswahl-Debakel der Union vollzog die nordrhein-westfälische Landespartei ihren Führungswechsel in einer ganz eigenen Stimmungswelt: Häme, Hader und Uneinigkeit der Bundespartei ließen die Parteifreunde in NRW einfach nicht an sich heran. Sticheleien, Machtkämpfe und Kursdebatten sollten weit weg bleiben in Berlin.

„Wir sind anders. Wir sind einig, geschlossen und stark“, formulierte es beschwörend Verkehrsminister Hendrik Wüst, der dem gestrauchelten Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Vorsitz der Landespartei und im Ministerpräsidenten-Amt folgt. Die Partei stattete ihn mit einem sensationellen Votum von 98,3 Prozent aus. 645 Ja-Stimmen, 11 Gegenstimmen, keine Enthaltung. Der 46-jährige Wüst sprach von einem „gigantischen Ergebnis“ und Vorschusslorbeeren, die er rechtfertigen wolle.

Diese Deutlichkeit war kaum zu erwarten

Vor allem gemessen daran, dass Wüst nie ein Parteidarling war. Als raubeiniger Generalsekretär vor über zehn Jahren genoss er nicht den besten Ruf. Potenzielle Konkurrenten wie der populäre NRW-Innenminister Herbert Reul oder Heimatministerin Ina Scharrenbach konnten nur mit Mühe von einer Gegenkandidatur abgebracht werden. Die Sehnsucht nach Geschlossenheit war nach den Demütigungen der letzten Wochen eben groß. Nach all den parteiinternen Laschet-Söder-Gehässigkeiten der Vergangenheit formulierte Wüst den NRW-Anspruch so: „Wir dürfen nicht Anstand, Benehmen und Haltung verlieren.“ Erleichterter Applaus.

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Wüst wanderte bei seiner Bewerbungsrede mit offenem Hemdkragen und Headset wie ein Motivationstrainer auf der Führungskräftetagung über die Bühne. Doch der eher westfälisch bedächtig, mit manchmal unpassenden Denkpausen formulierende Münsterländer ist kein Einpeitscher und auch kein heiterer Redner wie Laschet. Wüst verordnete der NRW-CDU vielmehr leise Demut: „Wir müssen offen sein und zuhören.“ Die Landtagswahlkampagne soll mit „Du zählst“ überschrieben werden, was ein bisschen nach „Respekt“ des künftigen SPD-Kanzlers Olaf Scholz klingt. „Wir haben Lust auf Regieren, wir haben Lust auf Zukunft“, sagte Wüst.

Mit Weiter-so der SPD die Stirn bieten?

Die Umfragen sind sieben Monate vor der Landtagswahl katastrophal. Die SPD könnte nach dem Erfolg im Bund vor allem im Ruhrgebiet zu alter Stärke zurückfinden. Wüst beschwor die Regierungserfolge von CDU und FDP seit dem überraschenden Wahlsieg Laschets von 2017 und setzt nach seiner geplanten Kür zum Ministerpräsidenten am kommenden Mittwoch im Landtag auf ein personelles und programmatisches Weiter-so. Man will sich Abkoppeln von der Entwicklung in Berlin. Irgendwie.

Den Ton des Tages hatte der scheidende Chef gesetzt. Laschet gestattete sich eine lange Laudatio in eigener Sache. Er bilanzierte überraschend aufgeräumt seine exakt 3402 Tage im Vorsitz der NRW-CDU als eine Art Aufstiegsgeschichte aus den Trümmern der Landtagswahlpleite von 2012. Er verschenkte ausreichend Lob an seine Ministerriege, verortete NRW dank seiner Arbeit auf der Überholspur aller Bundesländer und präsentierte die Landespartei als Gegenentwurf zum aktuellen Erscheinungsbild der Union. Das klang mehr nach Bestenehrung als nach Abschied. Laschet verdichtete sein Wirken in NRW zu einer Erzählung aus Teamgeist, Vertrauen und Kompromissfähigkeit. Genau das, was ihm in der Union der vergangenen Monate nicht vergönnt war.

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Es funktionierte, gemessen an der desaströsen Lage der Partei, ganz gut. Laschets freundlich-plaudernder Redestil und seine entwaffnende Ironie, die in kleinen Sticheleien gegen Söders Bayern zuweilen Grenzen zur Büttenrede auslotete, kommt in der NRW-CDU selbst nach seinem Höllensturz auf die Hinterbank im Bundestag noch gut an. Man mag ihn hier, „den Armin“. Die Stimmung sollte an diesem Tag einfach besser sein als die Lage. Weshalb die Delegierten auch kräftig klatschten, als Laschet eine Spitze gegen seinen im Publikum sitzenden Tandempartner a.D. Jens Spahn setzte: Dessen Analyse, die CDU befinde sich in der größten Krise ihrer Geschichte, wischte er weg: „Tassen im Schrank lassen“. Es bringe nichts, fand Laschet, das Drama nach der Bundestagwahl auch noch „riesig zu bemalen“.

Sein Vermächtnis schärfte er dem Landesverband auch noch ein. „Bewahrt Euch diese Geschlossenheit“. Und: „Soziales Herz und Blick auf die kleinen Leute.“ Vor allem: „Nicht in Populismus und Ressentiments verfallen“. Loblieder und minutenlanges, rhythmisches Klatschen nahm Laschet am Ende sichtlich erfreut, aber doch routiniert entgegen. Er wusste wohl, dass es für lange Zeit die letzte warme Dusche sein dürfte.

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