Papst zu Besuch in KanadaWas bleibt von Franziskus’ „Bußreise“?

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Suche nach Verbindungen: Mit Vertretern der indigenen Bevölkerung Kanadas betete Papst Franziskus unter anderem am Lac Ste. Anne, einem Wallfahrtsort.

Suche nach Verbindungen: Mit Vertretern der indigenen Bevölkerung Kanadas betete Papst Franziskus unter anderem am Lac Ste. Anne, einem Wallfahrtsort.

Ottawa/Rom – Der Besuch des obersten Katholiken in Kanada endet bemerkenswert: Papst Franziskus nennt das erlittene Unrecht der Indigenen eine Form von „Völkermord“. Seine Reise bezeichnet er als „Pilgerfahrt der Buße“.

Bei seinen Treffen mit Vertretern der „First Nations“ bedauerte der 85-Jährige „kulturelle Zerstörung“ und „physischen, verbalen, psychologischen und geistigen Missbrauch“. Seine Bitten um Entschuldigung waren seit langer Zeit erwartet worden. Viele Indigene begrüßten die Worte des Papstes, von „emotionaler Befreiung“ war die Rede. Immer wieder beklagten jedoch auch Indigenen-Vetreter, sie hätten mehr von Franziskus erwartet.

Wie klar hat sich der Papst zum Leid der Indigenen geäußert?

Rückblickend auf den Besuch fand Franziskus abermals deutliche Worte zu den Auswirkungen des früheren staatlich-kirchlichen Internatssystems Kanadas auf die indigene Bevölkerung. „Es ist wahr, es war Völkermord“, bekannte er. Leider sprach er das Wort erst aus, als er Kanada schon verlassen hatte – auf der Pressekonferenz im Flugzeug zurück nach Rom. Dass er auf den Begriff verzichtet hatte, war ihm auf seiner Reise durch das zweitgrößte Land der Erde mehrfach vorgeworfen worden.

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Den technischen Begriff „Genozid“ habe er zwar bisher nicht benutzt, räumte der Papst in der Nacht zu Samstag ein. Er habe ihn aber treffend beschrieben: „Kinder wegnehmen, die Kultur, Mentalität und Traditionen verändern.“ Mehrmals habe er um Vergebung für dieses Unrecht gebeten. Ihm sei das Wort „Völkermord“ in Kanada nicht in den Sinn gekommen, doch dabei handle es sich um einen klar definierten Begriff – und was er beschrieben habe, „ist sehr wohl Völkermord“, so Franziskus.

Welche Vorgeschichte hatten die Bitten um Vergebung?

Nach jahrelangen Forderungen von Ureinwohnern und Politik hatte das Kirchenoberhaupt die indigene Bevölkerung wiederholt um Entschuldigung für das Leid gebeten, das ihr in dem System der „Residential Schools“ angetan worden war. Diese Internate waren Teil kolonial-europäischer Anpassungspolitik.

Kritik am Umgang des Papstes mit Woelki

Zum Reformprozess der deutschen Katholiken wollte Franziskus nach seiner Kanada-Reise nicht erneut Stellung beziehen.

Er habe zum „sogenannten Synodalen Weg“ bereits 2019 in einem Brief alles, was er habe sagen wollen, mitgeteilt. Die kürzlich veröffentlichte Erklärung, die mit Blick auf den Synodalen Weg vor einer „Bedrohung der Einheit der Kirche“ gewarnt hatte, habe das vatikanische Staatssekretariat verfasst. (kna)

Rund 150000 indigene Kinder mussten diese unter Zwang besuchen; unter den desolaten Bedingungen dort starben laut Expertenschätzungen 4000 bis 6000 Kinder. Die Entdeckung von 1300 anonymen Gräbern hatte eine Schockwelle ausgelöst. Bei vielen Überlebenden hält das Trauma aufgrund von Misshandlungen und Missbrauch bis heute an.

Was hat Franziskus zur Schuld der Kirche gesagt?

Franziskus verurteilte während seiner Reise die Taten von „vielen Mitgliedern der Kirche“ und „von Ordensgemeinschaften“, auch bei der Kolonialisierung und Zwangsmissionierung – die Institution „römisch-katholische Kirche“ jedoch nicht. Dies genau hatte neben den Indigenen auch die vom Staat beauftragte Aufarbeitungskommission gefordert. Kanadas Premierminister Justin Trudeau merkte das bei einem Treffen mit dem Kirchenoberhaupt durchaus an – neben Lob und Dank.

Wie bewerten die Betroffenen den Besuch des Papstes?

Viele Indigene zollten Franziskus ihre Anerkennung. Bei den meisten von ihnen überwog die Erleichterung über diesen so wichtigen Schritt auf dem Weg der Verarbeitung. Denn neben den vielen Überlebenden selbst leiden ebenso ihre Angehörigen und Gemeinschaften bis heute unter den Traumata durch das Schulsystem. Mit ihnen suchte der Pontifex an den Stationen seiner Reise – Edmonton, Quebec und Iqaluit im hohen Norden des Landes – das verbindende Element.

Er besuchte die erste indigene katholische Pfarrei Kanadas, betete an einem See, der den Indigenen heilig ist und zugleich bedeutender Wallfahrtsort für Katholiken. Einigen Vertretern der „First Nations“ gingen die Worte und Gesten des Papstes aber nicht weit genug. Sie forderten etwa die Rückgabe von Kunstgegenständen der Ureinwohner, die seit Jahrzehnten im Vatikan aufbewahrt werden, oder Zugang zu den Archiven der Internatsschulen.

Wie geht es in der Aufarbeitung der Geschichte nun weiter?

Ein erster Schritt sei diese Reise gewesen, das war Konsens – bei Franziskus, Indigenen wie Politikern. Zugleich war sie aber auch Anstoß zu einigen konkreten Schritten, wie sie viele Kanadier bislang vermissen.

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So arbeiten laut Medienberichten kanadische Bischöfe mit dem Vatikan an einer Erklärung zur sogenannten „Entdeckungsdoktrin“ der katholischen Kirche, die Europas Kolonialherrschern einen Vorwand lieferte, indigene Völker zu entrechten.

Und was ist mit einem möglichen Rücktritt des Papstes?

Auf dem Rückflug kündigte Franziskus an, er wolle wegen seiner gesundheitlichen Beschwerden weniger reisen oder andernfalls „beiseite“ treten. „Ich glaube nicht, dass ich das gleiche Reisetempo wie zuvor beibehalten kann“, sagte er. Der 85-Jährige leidet an Schmerzen im rechten Knie, stützt sich seit Monaten auf einen Gehstock oder sitzt im Rollstuhl. Das hatte die Spekulationen über einen möglichen Amtsverzicht befeuert. Diese Tür bleibe „offen“, sagte Franziskus nun. „Aber bis heute habe ich diese Tür nicht aufgestoßen.“ (kna/mit afp)

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