Pfingst-Interview mit Kardinal Woelki„Gottes Geist ist nicht mit Händen greifbar“

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Kardinal Woelki

Rainer Maria Kardinal Woelki

  • Für den Kölner Erzbischof ist die Kirche – trotz ihrer Schwächen und ihrer Fehler - eine göttliche Stiftung.
  • Und er begrüßt es, dass in Pandemiezeiten die Hauskirchen in einzelnen Familien neu entdeckt wurden.

Köln – Bertolt Brecht hat das Besondere von Pfingsten einmal so zu erklären versucht: Im Vergleich zu Weihnachten und Ostern sind die Geschenke zu Pfingsten am geringsten. So profan das klingt, aber beschreibt die Brechtsche Erfahrung nicht auch die Sonderstellung des Hochfestes?

Woelki: Das stimmt. Schon in der unterschiedlichen Einschätzung von Ostern und von Weihnachten zeichnet sich etwas Ähnliches ab: Ostern ist theologisch gesehen das höchste Fest der Christenheit. In der Praxis dagegen zeigt sich, dass Weihnachten am tiefsten in den Herzen der Menschen verankert ist. An Pfingsten zeigt sich dieses Phänomen noch deutlicher. Dabei ist es doc h ein Fest, an dem Gott uns ein großes Geschenk gibt – nämlich seinen Heiligen Geist.

Nicht zufällig heißt das Wort für „Geist“ in den Sprachen der Bibel zugleich „Atem, Wind, Sturm“: Gottes Geist ist wirkmächtig, aber unsichtbar. Insofern ist er nicht so konkret wie das neugeborene Kind zu Weihnachten. Aber wir wissen alle, wie wichtig es ist, dass zwischen Menschen ein guter Geist herrscht. Den Geist Gottes, der uns mit so vielen Gaben förmlich überhäuft, kann man nicht mit den Händen greifen, aber man spürt seine Wirkung.

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Haben wir deshalb so viele Pfingstbräuche, mit denen wir das Unfassbare irgendwie anschaulich und greifbar machen wollen?

Woelki: Vielleicht hat man tatsächlich versucht, den Menschen etwas Konkretes vor Augen zu stellen, etwa mit der Taube als späterem Symbol für den Heiligen Geist, wie wir es schon im Evangelium bei der Taufe Jesu hören. Aber ich finde, es gibt nichts Konkreteres, als die Wirkungen dieses Geistes zu erfahren. Wie eine Gemeinschaft tickt, welches Verständnis untereinander herrscht und welche Zuwendungen es gibt.

Ist Pfingsten vor diesem Hintergrund eine wichtige Erfahrung unserer Gesellschaft, der Zeit der Pandemie gut zu begegnen?

Woelki: Ich glaube ja. Genau darum dürfen wir die Kirchen nicht auf Gottesdienste reduzieren. Natürlich sind die wichtig; dort kommen wir zusammen und erleben Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Aber wir haben auch eine diakonische Aufgabe. Und die wird spürbar besonders durch das Wirken des Geistes; also dort, wo das Wort des Evangeliums in die Tat umgesetzt wird. Der heilige Paulus spricht in diesem Sinne vom „Glauben, der durch die Liebe wirkt“ (Gal 5, 6). Deshalb haben wir unser Priesterseminar geöffnet für Obdachlose, die dort eine warme Mahlzeit bekommen können oder einen Platz der Ruhe finden. Ganz zu schweigen von der Arbeit in den Gemeinden, wo sich sogenannte Corona-Engel kranken und alten Menschen zugewendet haben.

Die ehemalige thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hat dagegen der Kirche attestiert, in der Corona-Krise versagt zu haben und viel zu wenig bei den Leidenden gewesen zu sein.

Woelki: Das kann ich so überhaupt nicht teilen. Wir mussten uns natürlich an die Auflagen halten. Was hätten wir denn in der Öffentlichkeit zu hören bekommen, wenn möglicherweise ein Priester ein Virus in ein Senioren- oder Pflegeheim eingeschleppt hätte! Nein, wir haben versucht, mit den verfügbaren Möglichkeiten Kontakt zu den Menschen zu halten, was leider nur eingeschränkt machbar war. Und wir haben die Priester in unserem Bistum gebeten, in den offenen Kirchen für seelsorgerische Gespräche da zu sein.

Hat Kirche dadurch eine Funktion be kommen, über den Ort als heilige Messe hinaus?

Woelki: Sicherlich. In der Corona-Krise ist es bei uns noch einmal stärker in den Blick geraten, dass Kirchen auch Begegnungsorte sind und sein können.

Wird sich Kirche über die Pandemiekrise hinaus in diese Richtung weiterentwickeln können?

Woelki: Ich denke ja. Kirchen könnten stärker als bisher zu Orten der Begegnung werden in den Gemeinden. Dazu muss man nicht immer ein Pfarrheim haben. Wir sollten dabei allerdings nicht vergessen, dass die Kirchengebäude etwas umschließen, was der Volksmund in Anlehnung an die Bibel „heiligen Boden“ nennt. Eine Disco-Party beispielsweise, so schön sie auch sein mag, oder eine Podiumsdiskussion hätten in einer katholischen Kirche aus meiner Sicht keinen Platz.

Es gab und gibt ja in der Krise zahlreiche neue und ideenreiche Formen, miteinander zu beten, zu f eiern. Es ist sogar von einer heiligen Anarchie die Rede ...

Woelki: ... „Anarchie“ bezeichnet im gängigen Sprachgebrauch meist etwas Zerstörerisches. In der Corona-Zeit dagegen spielt sich nach meiner Wahrnehmung bei den Gläubigen etwas sehr Konstruktives ab. Ich würde eher sagen, dass so etwas wie die Hauskirche neu ins Bewusstsein gekommen ist. Die wurde ja schon im Zweiten Vatikanischen Konzil sehr betont. Jetzt habe ich den Eindruck, dass die Hauskirchen in einzelnen Familien neu entdeckt wurden. Das finde ich sehr gut. Wir sollten das auch stärken. Allerdings ist dabei eine Eucharistiefeier nicht möglich.

Aber eine Eucharistie ist doch auch in einer Hauskirche möglich?

Woelki: Das setzt voraus, dass ein geweihter Priester mitfeiert. In diesem Fall wäre das durchaus möglich, und das hat es in der Geschichte der Kirche auch immer wieder gegeben. Dennoch: Die Kirche bleibt der Ort, an dem sich Menschen versammeln, die sich Christus zugehörig fühlen – unabhängig von Alter und sozialer Schicht. So wichtig mir Hauskirchen als kleine, lebendige Zellen innerhalb der Pfarrgemeinden sind, so wenig würde ich Vereinzelung oder gar Zerfall begrüßen.

Pfingsten zählt mit der Ausschüttung des Heiligen Geistes ja auch als die Geburtsstunde der Kirche …

Woelki: … Christus und der Heilige Geist bilden eine Einheit – so sehr, dass der Apostel Paulus einmal an die Gemeinde von Korinth schreibt: „Der Herr [Jesus Christus] aber ist der Geist“ (2 Kor 3, 17). Insofern ist der Geist sozusagen die Seele der Kirche, er wirkt in ihr und leitet sie. Die Kirche ist also die Form, in der Christus den Menschen begegnen will und ihnen dort gegenwärtig sein möchte. Der Kirchenvater Augustinus hat einmal sehr pointiert formuliert, man habe in dem Maße den Geist, in dem man die Kirche liebe.

Gerade in der Corona-Krise und den vielen Formen christlicher Begegnung kann man den Eindruck gewinnen, dass Kirche zu sehr zu einer festgefahrenen Institution geworden ist.

Woelki: Ob etwas festgefahren oder lediglich fest gefügt ist, liegt oft sehr im Auge des Betrachters. Kirche ist immer eine lebendige, eine vom Geist bestimmte Gemeinschaft.

Das war eine der ganz großen Botschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils: Ähnlich wie Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, so setzt sich die Kirche aus geistlichen und verfassten, unsichtbaren und sichtbaren, göttlichen und menschlichen Elementen zusammen. Die Kirche lebt nie aus sich, sondern immer aus Christus. Wenn das nicht so wäre, wäre sie nichts anderes als ein geistloser Verein. Sie bedarf auch der Institution, um wirken, um arbeiten zu können. Es ist wohl bekannt, dass ich Fußballfan bin: Wenn man die Regeln, Vorgaben und Strukturen des Fußballspiels aufhöbe und sich nur noch auf die Inspiration der Spieler verließe, wäre dieser wunderschöne Sport am Ende.

Muss man sich manchmal auch die Frage stellen, ob Jesus diese Kirche, wie sie sich 2000 Jahre entwickelt hat, so gewollt hat?

Woelki: Wir glauben, dass die Kirche nicht aus sich selbst existiert, sondern vom Heiligen Geist geführt wird und von Gott gewollt ist – trotz ihrer Schwächen und ihrer Fehler. Sie ist eine göttliche Stiftung. Unser Sprachgebrauch ist da manchmal verräterisch – etwa wenn wir gemeinhin von „unserer Kirche“ sprechen. Das klingt dann so, als könnten wir die Kirche so gestalten, wie wir wollen oder wie wir sie uns denken. Doch mit Gottes Kirche können wir das so nicht. Darum glaube ich, dass Kirche, so wie sie sich zeigt, von Gott gewollt ist. Solange Menschen, von denen keiner ohne Sünde ist, zur kirchlichen Gemeinschaft gehören, werden Sie immer auch Schwächen , Fehler und sogar Verbrechen in ihr finden. Zudem nimmt die Kirche natürlich in verschiedenen Zeiten unterschiedliche Ausdrucksformen an.

Ist Glauben auch außerhalb von Kirche möglich?

Woelki: Auf jeden Fall. Aber: Bei allem Versagen und aller Sünde ist die Kirche der Ort, an dem sich Jesus verbindlich festgemacht hat. Erfahrbar bleibt er aber auch außerhalb der Kirche und wirkt dort, wo Menschen füreinander da sind, wo sie Gott bewusst oder unbewusst suchen und redlich ihrem Gewissen folgen.

Wird Kirche nach der Pandemie – wann auch immer das sein wird – eine andere sein?

Woelki: Krisen bieten immer die Chance, dass sich etwas verändert. Es tut der Kirche heute gut, wenn sie erneut ihre missionarische und evangelisierende Kraft wiederentdeckt. Der Heilige Geist bringt Bewegung in das Ganze, und das scheint mir heute dringend erforderlich. Men schen verlangen nach Antwort zum Sinn ihres Lebens. Da ist Kirche gefordert.

Wie viele Kirchen im Erzbistum werden zu Pfingsten wieder Gottesdienste feiern – unter den strengen Hygienevorschriften?

Woelki: Wir geben jetzt zu Pfingsten die Anweisung heraus, dass in jedem Seelsorgebereich Gottesdienst zu feiern ist. Das war ja Anfang Mai schon möglich, und ich war davon ausgegangen, dass dies überall auch geschieht. Daher war ich schon ein wenig erstaunt und irritiert darüber, dass manche Gemeinden sich entschlossen haben, damit noch zu warten. Aber es kann ja jetzt sinnvoll sein, das Pfingstfest für den Neubeginn zu nutzen. Lothar Schröder führte das Interview.

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