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Porträt zu Olaf ScholzVom phönixhaften Aufstieg aus der SPD-Asche

Lesezeit 6 Minuten
Olaf Scholz Kanzler

Olaf Scholz (SPD)

Schon anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl begannen Olaf Scholz und seine Leute in Berlin eine Geschichte zu erzählen, die sie danach gebetsmühlenhaft wiederholten: Wenn dem Volk klar wird, dass wirklich ein Nachfolger für Angela Merkel gebraucht wird, dann wird seine Stunde schlagen. Kompetent, cool, erfahren, führungsstark: Annalena Baerbock? Armin Laschet? Pah, nur er kann der Regierungschefin das Wasser reichen. Er wird die neue Merkel in Rot.

Irgendwann wollte niemand die Geschichte mehr hören. Als der 63-Jährige auf dem SPD-Parteitag im Mai offiziell zum Kanzlerkandidaten seiner Partei gekrönt wurde und dabei ziemlich verklemmt auftrat, rauften sich auch Top-Genossen die Haare. „Wenn er hier die Rakete nicht zündet, dann war’s das“, sagte einer.

Zweieinhalb Monate später, Ende Juli, lag die SPD noch immer bei 15 Prozent. Und dann, tja, dann ging die Rakete plötzlich ab. So ziemlich alle im politischen Berlin schauten fassungslos zu – bis auf Scholz und seine Leute. Und heute wird der frühere SPD-Generalsekretär, ehemals Hamburgs Erster Bürgermeister, danach Finanzminister und Vizekanzler, im Bundestag tatsächlich zum neuen Regierungschef gewählt – als wohl unwahrscheinlichster Kanzler der Nachkriegsgeschichte. Wie konnte das passieren?

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Skandale perlen an ihm ab

Im Wahlkampfendspurt wurde Scholz noch von unerwarteter Seite heftig angerempelt. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück (seine Geburtsstadt!) schickte einen Trupp zur Razzia in sein Ministerium. Der Verdacht: Die ihm unterstehende Zoll-Spezialeinheit FIU habe eine illegale Millionentransaktion trotz Hinweisen der betreffenden Bank nicht gestoppt, eine Strafe vereitelt, womöglich mit Wissen von Ministeriumsmitarbeitern. Schon zuvor, im Wirecard-Skandal, hatte seine Anti-Geldwäsche-Behörde versagt.

Die Sache passte so gar nicht zum SPD-Wahlkampfslogan „Scholz packt das an“. Sie weckt eher Erinnerungen an den Steuerskandal der Hamburger Warburg-Bank, als Scholz dort Bürgermeister war, sich an die seinerzeitigen Treffen mit dem Bankchef aber lange nicht erinnern konnte – und an Gesprächsdetails bis heute nicht.

Doch der Versuch, Scholz mit solchen Themen nervös zu machen und so zu Fehlern zu verleiten, erwies sich als schier unmöglich. Statt auf die Provokationen aus den Reihen des bisherigen Koalitionspartners CDU/CSU zu reagieren, dankte Scholz seiner Chefin Merkel höflich für die gute Zusammenarbeit, ein Meisterstück im Ausweichen und ins Leere laufen lassen.

Seinen phönixhaften Aufstieg aus der SPD-Asche hat Scholz natürlich auch den Fehlern und Pannen von Laschet und Baerbock zu verdanken. Erst als die Zweifel an der Kanzlertauglichkeit des CDU-Manns und der Grünen immer größer wurden, wurde wahrgenommen, dass ja noch ein dritter Kandidat im Rennen ist. Interessante Fußnote: Eigentlich wäre Scholz lieber gegen Markus Söder angetreten.

Dass er seinen Mitbewerbern am Ende haushoch überlegen war, das ist aber kein Zufall, darauf hat er jahrelang hingearbeitet – und sich auch von der schmerzhaften Niederlage im Rennen um den SPD-Vorsitz im Dezember 2019 gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nicht vom Weg abbringen lassen. Zwei Wochen Urlaub genügten ihm damals, um den Glauben an sich selbst zurückzugewinnen.

Diskutieren, aber allein entscheiden

Die Scholz-Methode, die er schon als Hamburger Bürgermeister entwickelte, lautet: exzellente Denker um sich scharen, und zwar, wichtig, aus verschiedensten Lagern. Zuhören, diskutieren, dann aber allein entscheiden. Bei der Entscheidungsfindung lässt er sich – bisher zumindest – weniger als Vorgängerin Merkel von der allgemeinen Stimmungslage leiten als von der eigenen Überzeugung. Denn er hält sich stets für den Klügsten im Raum.

„Wer Führung bestellt, bekommt Führung“: Auch dieser Spruch stammt schon aus Scholz’ Hamburger Zeiten. Nicht delegieren, sondern selbst für die Umsetzung dessen sorgen, was er für notwendig hält, das verkündete er auch beim Mega-Thema Klimaschutz. „Als Bundeskanzler werde ich im ersten Jahr für Tempo sorgen“, sagte er vor der Wahl im Interview mit unserer Redaktion und bereitete Gegner von neuen Windmühlen und Stromtrassen auf eine härtere Gangart vor: „Vor diesen Konflikten darf man sich nicht drücken, wenn Deutschland ein erfolgreiches Industrieland bleiben soll.“

Versöhnt mit der eigenen Partei

Die vielen „Leadership“-Ansagen klangen lange Zeit überheblich. Doch als es an die Wahlurne ging, trauten ihm die Wähler tatsächlich am ehesten zu, das Land zu führen. Auch, dass die SPD nun wie ein Mann und eine Frau hinter ihm steht, dass in der langen Zeit im Umfragetief keine Zweifel laut wurden, das ist eine bemerkenswerte Leistung. Vor knapp zwei Jahren hatte ihn die Partei als Vorsitzenden krachend abgelehnt, jetzt ist sie zu seinem Kanzlerwahlverein geworden.

Geschafft hat Scholz das durch eine dreifache Versöhnung. Im Wahlprogramm der SPD fanden sich alle Parteiströmungen wieder, der linke Flügel um Saskia Esken und Kevin Kühnert, aber auch die „Konservativen“ des Seeheimer Kreises. Mindestlohn, höhere Steuern für Reiche, Entlastungen für den Rest, Klimaschutz ohne Überforderung der Wirtschaft und ohne soziale Unwucht und somit als Fortschrittsprojekt. Die politischen Gegner haben keinen Keil gefunden, den sie zwischen Partei und Kandidaten treiben konnten, ganz anders als bei den letzten vergeigten Wahlen.

Versöhnt hat Scholz zweitens auch die Partei mit ihrer Kernklientel. „Respekt“ war sein großes Wahlkampfthema, es ist das Versprechen, dass sich der Vertrauensbruch der Nuller-Jahre – Stichwort Hartz IV – mit ihm als Regierungschef nicht wiederholt.

Bei der dritten Versöhnung geht es um ihn selbst. Aus dem arroganten „Scholzomaten“ und knausrigen Kassenwart („rote Null“) ist der Mann geworden, der in der Corona-Pandemie die Bazooka auspackte, der sogar einen Hauch von Charisma entwickelte und bei öffentlichen Auftritten eine ungeahnte Lockerheit offenbarte. Das alles hat die SPD selbst verwandelt, die zum ersten Mal seit Ewigkeiten mit sich selbst im Reinen erscheint.

Verrückt an der Sache: Neu erfunden hat Scholz sich nicht. Er müsse lauter werden, kämpferischer, aggressiver, sich zumindest ein klein wenig als Volkstribun versuchen, das wünschten sich viele Genossen. Lockerer, zugewandter ist er geworden, das schon, aber sonst? Inspiriert von einer US-Politserie kreierten seine engsten Berater schon vor Langem das Motto „Let Scholz be Scholz“. Bleib du selbst. Den Rat hat er befolgt.

Anflüge von Abgehobenheit

Vereinzelt gilt das auch im Negativen. Das sehr große Ego verleitet ihn doch ab und an zu Anflügen von Süffisanz und Abgehobenheit. Dass er Impfverweigerern vorwarf, Geimpfte als „Versuchskaninchen“ missbraucht zu haben, sollte witzig sein, stieß aber viele vor den Kopf. Zu seiner jetzigen Koalitionspartnerin und damaligen Konkurrentin Annalena Baerbock sagte er vor der Wahl, als Zweitplatzierte sei sie doch auch „ganz vorne“.

Angela Merkel reagierte zuletzt sichtlich genervt auf Scholz’ Versuche , sich als ihr Double zu inszenieren – bis hin zur „Raute“. Ob sich die beiden vom Charakter her wirklich so ähnlich sind, das sei mal dahin gestellt. Sein Ziel, als ebenso verlässlich und nervenstark wie die bisherige Regierungschefin daherzukommen, hat er inzwischen jedoch weitgehend erreicht.

Man könnte es auch umdrehen. Merkel, 18 Jahre lang CDU-Chefin, hat in ihrer Ära massiv von den Hartz-Reformen von SPD-Kanzler Gerhard Schröder profitiert. Und sie hat ihre roten Partner in drei Großen Koalitionen verzwergt, indem sie ihre eigene Partei sozialdemokratisierte. Die scheidende Kanzlerin zählt etwa den von der SPD erzwungenen Mindestlohns zu ihren großen Erfolgen. Ist es da nicht ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit, wenn nun ein echter Sozialdemokrat ihre Nachfolge antritt?

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