Porträt zur Bundestagswahl 2021Wie Philipp Amthor seine zweite Chance nutzen will

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Philipp Amthor

Philipp Amthor 

Berlin – Philipp Amthor hatte den Besuch lange versprochen. Es ist ein nicht ganz einfacher Termin um sieben Uhr früh im Seniorenpflegeheim „Pommern-Residenz“ in Ahlbeck auf der Insel Usedom. Der CDU-Abgeordnete, der seine Jugendlichkeit gern mit Seitenscheitel, Krawatte, Einstecktuch und Manschettenknöpfen konterkariert, trägt jetzt ein etwas zu enges oranges Polo-Hemd und weiße Hose – wie alle anderen, die hier arbeiten. Nur die feinen schwarzen Lederschuhe verraten, dass er eigentlich nicht dazu gehört.

Amthor macht „Wahlkreisarbeit“ und begleitet heute Pflegerin Heike in der Frühschicht. „Guten Morgen, ich bin Philipp Amthor und helfe hier heute ein bisschen.“ Im Bett liegt eine alte Dame und nimmt die Medikamente entgegen, die er ihr vorsichtig auf einem Löffel reicht. Schüchtern wirkt er dabei. Als sie verstanden hat, wer er ist, ist sie hellwach. „Es ist nicht in Ordnung!“, sagt sie mit fester Stimme. Was die Pflegerinnen hier leisten müssten und wie wenig Geld sie dafür bekämen. Immer werde viel versprochen „und dann passiert jahrelang nichts“. Philipp Amthor versucht, sie zu besänftigen, verweist auf die aktuelle Pflegereform. „Bleiben Sie gesund!“, sagt er freundlich zum Abschied. „Bin ich nicht und bleibe ich nicht“, keift die Dame zurück.

Pflegerin Heike bescheinigt dem CDU-Abgeordneten später, dass er sich ganz gut angestellt hat. Er sagt, er sei gekommen „um zu empfangen und nicht um zu senden“. Zuhören will er also, erfahren, wie es ist und war, Pfleger zu sein in der Corona-Pandemie oder Bewohner, der unter der Isolation der letzten Monate gelitten hat.

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Mehr als über Amthors Besuch freuen sich die älteren Leute an diesem Morgen über den von Herrn Seifert mit seiner Gitarre, der endlich wieder mit ihnen singen darf. Musiktherapie heißt das. Philipp Amthor sitzt mit im Stuhlkreis der älteren Menschen, die plötzlich alle ziemlich glücklich aussehen. „Pommernland, mein Sehnen ist Dir zugewandt...“ Es ist jetzt zehn Uhr morgens und Amthor singt mit. Er könnte auch der Enkel eines Bewohners sein. Dabei hat der „Spiegel“ ihn mal den „Schein-Alten“ genannt.

Erste Rede lässt aufhorchen

Es sind ganz sicher die Widersprüche seiner Person, die ihn in den vergangenen vier Jahren im Bundestag so bekannt gemacht haben, bei Freund wie Feind. Es beginnt damit, dass er als jüngster Unionsabgeordneter Anfang 2018 eine Rede zum Antrag der AfD-Fraktion für ein Burka-Verbot hält, die aufhorchen lässt und bis heute „viral“ geht – wie es neudeutsch heißt, wenn etwas im Internet von vielen zur Kenntnis genommen wird. „Hören Sie mir zu, dann können Sie nämlich noch was lernen über die Verfassung“, schmettert der damals 25-jährige Jurist den neuen Rechten im Bundestag selbstbewusst entgegen, um deren Antrag anschließend als handwerklich schlecht gemachten „Unfug“ zu zerlegen. Über zwei Millionen Aufrufe bei Youtube hat die Szene bis heute. „Muttis Bubi“ titelt die „Bild“ nach dem Auftritt.

Amthor wurde am 10. November 1992 in Ueckermünde geboren, wo er bis heute lebt. Er hat in Greifswald Jura studiert, nachdem Angela Merkel ihm persönlich riet, zum Studium besser nicht woanders hinzugehen, weil man „Politik am besten von Zuhause macht“. In seiner Freizeit geht er gern zur Jagd oder schreibt an seiner Doktorarbeit über „Staatswohl zwischen Regierung und Parlament“.

Schlagfertig und versiert im Umgang mit sozialen Medien

Amthor hat etwas, dass der CDU lange fehlte. Er besteht schlagfertig einen TV-Auftritt bei Jan Böhmermann, der ihn als „Shooting-Star der deutschen Politik-Szene“ begrüßt. Er hat mehr als 90000 Freunde bei Instagram und versteht das Medium für sich zu nutzen wie kaum ein anderer in seiner Partei. Und dann ist da natürlich sein unkonventionelles Auftreten: Einerseits entspricht er dem Klischee des Junge-Union-Karrieristen, der schon mit 16 Krawatte trug, andererseits ist da die ihm eigene Selbstironie und der Witz. Als er im September 2019 in der Satire-Show „Chez Krömer“ zu Gast ist, fragt Kurt Krömer: „Sag’ mal, Philipp, zeitlich gesehen, ganz schön spät, wa? Sandmann ist ja schon durch.“ Amthor pariert: „Ich hab’ vorher gewettet, ob jetzt der erste Joke schon ein Altersjoke ist. Aber well done, geschafft.“ Es gibt im Netz die „Philipp Amthor Ultras“. Manche lachen mit ihm, manche über ihn.

Bei Twitter ist er allerdings auch der Politiker, der am häufigsten beleidigt wird, noch vor AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Was macht das mit ihm? Amthor sagt: „Ich gehöre nicht zu den Politikern, die die Lebensrealität mit einer Twitter-Timeline verwechseln. Wo Kritik ernsthaft und sachlich ist, setze ich mich mit ihr auseinander.“

Näher bei Merz als bei Merkel

Wer mit ihm über Politik spricht, erlebt einen gebildeten wie reflektierten Menschen. Er gilt in seiner Partei als Konservativer, näher bei Friedrich Merz („wir schätzen uns sehr“) als bei Angela Merkel. Er sagt, die AfD zu beschimpfen, sei nicht ausreichend. Die CDU müsse auch mit richtigen Lösungen in der Sache überzeugen.

Philipp Amthor ist Spitzenkandidat der CDU in Mecklenburg-Vorpommern und Hoffnungsträger seiner Partei im Kampf gegen eine starke AfD. Und das ist nach den Ereignissen des letzten Sommers keine Selbstverständlichkeit. Damals droht seine junge Karriere jäh zu enden. Der „Spiegel“ enthüllt, dass Amthor seine Tätigkeit als Abgeordneter nutzte, um für das US-Unternehmen Augustus Intelligence beim Bundeswirtschaftsministerium zu werben. Er erhielt Aktienoptionen und einen Direktorenposten. Hinzu kamen kostspielige Luxusreisen. Über mehrere Wochen hängt seine politische Zukunft am seidenen Faden.

Wer hoch steigt, kann tief fallen

Der erfahrenere Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Landesvorsitzende Eckhard Rehberg (CDU) sagt damals: „Vielleicht muss Philipp Amthor als ganz junger Abgeordneter lernen, dass diese schillernde Glitzerwelt in Berlin rund um den Reichstag, dass man da auch eine gewisse Vorsicht haben muss.“ Rehberg hatte Amthors raschen Aufstieg skeptisch gesehen: „Wenn die Medien einen sehr schnell hochschießen, dann kann es sehr schnell wieder runtergehen.“

Nach einer Untersuchung durch den Bundestag ist Amthor strafrechtlich nichts vorzuwerfen, Ermittlungen werden eingestellt. Was bleibt, ist der moralische Makel, der Zweifel an der Integrität – für einen Politiker nicht minder schwerwiegend.

Amthor sitzt jetzt im Restaurant der Seniorenpension und greift zu einem Mettbrötchen, das ihm, wie er sagt, immer lieber sei als ein Quinoa-Salat in Berlin-Mitte. Er betont: „Glauben Sie mir: Am meisten habe ich mich selbst darüber geärgert. Ich habe einen falschen Eindruck erweckt und mich politisch angreifbar gemacht.“ Er gehe heute keiner Nebentätigkeit mehr nach. „Wenn bereits der falsche Eindruck von Mandatsausübung entsteht, dann zahlt das negativ auf das Gesamtkonto des Vertrauens in die Politik ein“, stellt er fest.

Seit der Affäre ist es ruhig geworden um Amthor. Keine launigen Talkshow-Auftritte mehr, lieber mal im Pflegeheim aushelfen und zuhören. Er sagt heute: „Man muss auch mal einen Schritt zurücktreten können. Das hat auch mir nicht geschadet.“

Bei der Bundestagswahl steht er jetzt auf Listenplatz eins in Mecklenburg-Vorpommern. Dort stand seit 1994 immer der Name Angela Merkel. Es hätte schlechter laufen können nach dem letzten Sommer. Philipp Amthor bekommt seine zweite Chance.

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