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Reportage aus dem Rust-BeltWie Trump-Anhänger die Zeit nach der US-Wahl erleben

Lesezeit 7 Minuten
Erie 2

William Mullen, der Sheriff von Pittsburgh. In den Tagen kurz vor und kurz nach der Wahl haben die Leute vor Mullens Büro Schlange gestanden, um Anträge auf das versteckte Tragen von Waffen (concealed weapons permits) zu stellen. Grund: Die Angst vor eventuellen Unruhen.

Washington – Ausverkauf im Westmoreland County. Leslie Rossi, eine der führenden Republikanerinnen in dem Landkreis östlich von Pittsburgh, rührt die Werbetrommel für die Restbestände, die gut sortiert in ihren Regalen liegen. T-Shirts, Mützen und Baseballkappen, alle mit dem Namen Donald Trumps versehen.

Manchmal klingt es unfreiwillig komisch, wenn Rossi ihre Ware anpreist. Sie habe noch drei Flaggenmotive auf Lager, wirbt sie, „Frauen für Trump, Keep America Great, Trump auf dem Panzer“. Sie sagt es in einem Ton, als wäre es völlig selbstverständlich, den Präsidenten der Vereinigten Staaten, in Heldenpose, mit einem Sturmgewehr in der Hand, auf einem Panzer abzubilden. Von einem Ausverkauf will die 47-Jährige, die im Hauptberuf mit Immobilien handelt, übrigens nicht reden.

So wie sie Joe Biden nicht den President-elect nennt. Für sie ist das Rennen ums Weiße Haus noch offen. Zwar haben die amerikanischen Fernsehsender Biden am 7. November zum Sieger in Pennsylvania erklärt, und damit zum Sieger der Wahl, doch in Rossis Augen bedeutet das nichts. Die Medien seien nicht die Schiedsrichter, erst wenn das Ergebnis amtlich bestätigt werde und alle Gerichte geurteilt hätten, sei sie bereit, es zu akzeptieren. Bis dahin, sagt Rossi, orientiere sie sich am Präsidenten. „Und was hat er neulich getwittert? Wir werden siegen!“ Den Spruch habe sie auf ihre Facebook-Seite kopiert.

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Trumps Anwälte klagen gegen Ergebnis

Rein juristisch gesehen, ist das Rennen in Pennsylvania tatsächlich noch nicht gelaufen. Anwälte Trumps haben mehrere Klagen eingereicht. Mal geht es um ein fehlendes Datum auf der eidesstattlichen Erklärung, die einem per Post eingesandten Stimmzettel beiliegt, mal um eine fehlende oder schwer zu entziffernde Adresse. Kein seriöser Experte glaubt, dass sich Amtsinhaber noch zum Erfolg prozessieren kann, dazu ist der Vorsprung seines Rivalen mit über 70 000 Stimmen zu groß. David Shribman, Kolumnist der Pittsburgh Post-Gazette, schildert die Stimmung wohl ziemlich treffend, wenn er schreibt, dass die Hängepartie den meisten nur noch auf die Nerven gehe. „Dieses Land ist, um es mit einem Wort zu sagen, erschöpft.“

Bei William Mullen stehen die Menschen Schlange. Der ehemalige Patrouillenpolizist ist der Sheriff des Allegheny County, eines Verwaltungsbezirks, der die einstige Stahlmetropole Pittsburgh und einige ihrer Vororte umfasst. Mullen hat zu beurteilen, wer eine Pistole versteckt tragen darf, verborgen unter der Jacke oder dem Anorak. Mit einer Waffe herumzulaufen, die jeder sehen kann, ist in Pennsylvania ohnehin längst erlaubt. Bei Mullen geht es um einen Schein, der dazu berechtigt, sie ständig dabei zu haben, ohne dass sie sichtbar ist. Mit anderen Worten, auf alles vorbereitet zu sein, ohne gleich als Waffennarr zu gelten.

Normalerweise, erzählt der Sheriff, hat er es pro Tag mit 80 Anträgen zu tun. Kurz vor dem Votum waren es plötzlich dreimal so viele, was er mit der Angst vor Unruhen erklärt. „Irgendwann gibt sich das wieder. Ich weiß nur noch nicht, wann.“ Im Übrigen steige auch die Zahl der verkauften Gewehre und Revolver steil an. „Die Leute glauben, ein Präsident Biden will den Handel mit Schusswaffen erschweren, da decken sie sich jetzt noch richtig ein.“

In Clairton stimmt es noch, das alte Bild von den rauchenden Schloten in den Tälern rings um Pittsburgh. In einer Flussbiegung des Monongahela River liegt die größte Kokerei Nordamerikas. Die Stimmung ist gereizt, man merkt es beim Schichtwechsel auf dem Bürgersteig vor einem Imbisslokal namens Backstreet Burgers. Man möge verschwinden, am besten gleich, mit Reportern rede hier keiner, ruft der Besitzer, dessen Basecap ihn als Fan des Boxers Canelo Alvarez ausweist.

Stimmung im Keller

Die schlechte Laune hat damit zu tun, dass der Betreiber der Fabrik einen Sparkurs fährt. Im Mai vor einem Jahr kündigte U.S. Steel noch 1,5 Milliarden Dollar an Investitionen an, um sowohl die Kokerei als auch ein Stahlwerk in der Nähe zu modernisieren. Seit ein paar Tagen scheint klar, dass daraus so bald wohl nichts wird. Ob es bedeutet, dass sich die von Trump so blumig beschworene Renaissance der amerikanischen Stahlindustrie nur als kurze Episode entpuppen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist die Stimmung im Keller. Ein Trump-Anhänger namens Karl Pitassi will dann doch reden. Er will erklären, warum er einem Präsidenten nachtrauert, an dessen Abwahl er im Übrigen keinen Zweifel hat. Pitassi hält große Stücke auf Trumps Zollpolitik. „Wenn Importe teurer werden, kaufen die Leute amerikanische Waren. Nun bin ich nicht supergebildet, aber was kann daran schlecht sein? Du musst dir selbst helfen, bevor du dem Rest der Welt hilfst.“ 

Union City ist mit seinen rund dreitausend Einwohnern in Wahrheit ein Dorf, im Nordwestzipfel Pennsylvanias gelegen, im Erie County, das politisch so hart umkämpft ist wie kaum ein anderer Landstrich des Bundesstaats. Die Main Street lässt an eine Geisterstadt denken, an einem Freitagnachmittag ist sie menschenleer. Im Wahlkampf war das anders, da skandierten Anhänger Trumps und Bidens vor den Büros beider Parteien, die auch noch direkt nebeneinander lagen, pausenlos Sprüche. Die Schreiduelle, sagt Marylou Rose, werde sie so schnell nicht vergessen. Wochenlang Krach, und zwar direkt vor ihrem Geschäft für Haushaltswaren. Rose hat Trump den Zuschlag gegeben. Es war weniger ein Votum für ihn als eines gegen Biden, den sie für zu alt hält, um der Dauerbelastung des Jobs im Oval Office gewachsen zu sein. Nun, da Biden gewonnen hat, will sie nur noch, dass der Verlierer ihm zum Sieg gratuliert. Es sei gelaufen, „gebt endlich Ruhe“. So tief gespalten wie jetzt, sagt Rose noch, habe sie ihr Land noch nie erlebt. Ob der Neue im Weißen Haus die Kluft überbrücken könne? „Ich bin mir nicht sicher, ob sich diese Brücke überhaupt noch bauen lässt.“

Trumps Auftritt in Erie überzeugte nicht

Im Schaufenster des demokratischen Parteibüros in Erie hängt ein Poster, das in großen Worten für die Wahl Bidens wirbt: „Heal America and the World. Remove Trump“. Joel Hobson, von Beruf Klempner, hat sich für den ehemaligen Vizepräsidenten entschieden, nachdem er 2016 zu Hause geblieben war. Es hat auch damit zu tun, dass Biden im Wahlkampf nach Erie kam, statt wie Hillary Clinton vor vier Jahren einen Bogen um die Stadt zu machen. Auch Trump kam, in der dritten Oktoberwoche, ein paar Tage nach seinem Kontrahenten. Noch immer redet man in Erie von seiner Kundgebung, was allerdings eher an einem Schnitzer liegt, den er sich leistete. Vor der Coronakrise, als er wie der sichere Sieger ausgesehen habe, rief Trump den Versammelten zu, wäre er gewiss nicht nach Erie gereist. „Ich brauchte das nicht zu tun. Aber dann traf uns die Seuche. Und ich musste zurück an die Arbeit. Hallo, Erie, kann ich bitte eure Stimme bekommen.“ Es gibt Beobachter, die in dem Auftritt, der wie eine Pflichtübung wirkte, den Grund für seine hauchdünne Niederlage im Erie County sehen.

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Robert Schiffbauer ist froh, wenn er mal über andere Themen als die Wahl reden kann. Der Bürgermeister von South Union Township, ein Mann mit deutschen und italienischen Vorfahren, hat den Fußball in seine Stadt gebracht. In eine Stadt, auf deren Sportplätzen bis dahin American Football und Baseball dominierten. Jetzt will er eine alte Lagerhalle so ausbauen lassen, dass man auch im Winter gegen das runde Leder treten kann. Mit dem Stolz des Organisators, bei dem die Fäden zusammenlaufen, lädt Schiffbauer zur Besichtigung eines Radwanderwegs ein, den sie dort angelegt haben, wo früher die Gleise der Pennsylvania & Reading Railroad verliefen. „Wer immer in Washington regiert, wir mache hier unser eigenes Ding“, sagt er und redet dann doch, zurück an seinem Schreibtisch, nur noch über den anstehenden Machtwechsel in Washington.

Schiffbauer, zeitlebens Demokrat, hat Trump gewählt. So wie das Fayette County, der Landkreis, in dem seine Gemeinde liegt, mit klarer Mehrheit für den Republikaner votierte, noch klarer als 2016. Damals kam er auf 64 Prozent der Stimmen, diesmal holte er knapp 67 Prozent. „Wer für Trump ist, der hält ihm die Treue“, kommentiert Schiffbauer den Ausgang. „Die Leute mögen ihn, weil er nicht dem klassischen Politiker-Muster entspricht. Und weil ihn die Globalisten nicht vereinnahmen konnten.“ Mit den Globalisten sind Befürworter von Freihandelsabkommen gemeint, mit denen man im Fayette County den eigenen wirtschaftlichen Abstieg verbindet. Nun aber, schiebt Schiffbauer hinterher, gehe die Ära Trump zu Ende, auch wenn er das persönlich bedauere. Ohne dass bürgerkriegsähnliche Zustände drohten, wie manche es prophezeit hätten. „Gewiss, ein paar Verrückte wird es immer geben. Aber die meisten von uns sehen es so: Schluck’s runter und mach weiter in deinem Leben.“ 

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