Richter im Interview pro Legalisierung„Kein einziger Mensch stirbt an Cannabis“

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Cannabis Pflanze

Symbolbild 

  • Jugendrichter Andreas Müller macht sich für eine Legalisierung der Droge stark und kritisiert Polizeigewerkschafter Rainer Wendt scharf.

Herr Müller, seit Tagen führen Sie auf dem Kurznachrichtendienst Twitter eine Kampagne zur Cannabis-Legalisierung an. Wie läuft’s?

Sehr gut so weit! Ich saß vergangene Woche auf Juist und habe überlegt, wie kann ich Einfluss nehmen auf die Sondierungsgespräche der Ampel-Koalition in Berlin? Da kam ich auf die Idee, bei Twitter eine Welle loszutreten. Da sind ja die ganzen Politiker. Das hat gut geklappt.

Sie trenden damit, wie man so schön sagt …

„Legalisierung“ war Trend in Deutschland, „Richter Müller“ auch schon. Polizeigewerkschafter Rainer Wendt zwischenzeitlich auch.

Andreas Müller 

Andreas Müller 

Der hat sich vermutlich gefreut, dass er auch mal wieder öffentlich wahrgenommen wurde. Was mich freut: Ich lag in den Trends vor ihm. Der Sachverstand hat also über den Gewerkschaftsboss gesiegt, der keine Ahnung vom Thema hat.

Weil er die Gegenposition zu Ihnen eingenommen und sich gegen eine Legalisierung von Cannabis ausgesprochen hat. Es sei eine Einstiegsdroge …

Ach, der wollte doch nur mal wieder in die Medien kommen! Und dann verbreitet er Sachen, die Menschen Angst machen. Und das Märchen der Einstiegsdroge Cannabis ist so ein Fall. Kein Wissenschaftler vertritt diese Theorie der Einstiegsdroge. Bereits 1992 hat das Bundesverfassungsgericht das auch so festgestellt. Aber Herr Wendt behauptet das einfach stur weiter. Das sind Fake News.

Nicht nur Herr Wendt vertritt die Auffassung. Warum hält sich die Theorie so hartnäckig?

Das kommt noch aus der Zeit von Christiane F. Deren Geschichte kennen viele Millionen vor allem ältere Deutsche durch Buch und Film. Christiane ist ja als junges Mädchen mit dem Kiffen angefangen und hat sich später Heroin gespritzt. Das gab schlimme Bilder damals. Aber: Natürlich haben viele Heroinabhängige auch mal gekifft. Sie haben aber auch Alkohol getrunken. Das Argument von Herrn Wendt zieht nicht. Der sollte lieber dafür sorgen, dass seine Gewerkschaftsmitglieder ordentliche Arbeit machen. Es kann doch nicht sein, dass junge Menschen vor der Polizei Angst haben, dass sie sich nackt vor Polizisten ausziehen müsse, weil diese nach einem Gramm Cannabis suchen. Das passiert tagtäglich in Deutschland!

Sie halten das Verbot für verfassungswidrig …

Ja, natürlich ist es das. Es ist verfassungswidrig, weil es gegen das Gleichheitsgebot verstößt. 70000 Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen von Alkohol. Kein einziger Mensch stirbt an Cannabis! Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht vor nicht allzu langer Zeit ein wegweisendes Urteil gefällt und das Recht auf Selbsttötung bestätigt – auch unter Zuhilfenahme von Mitteln. Und dann soll der kleine Cannabis-Rausch verboten sein? Seit 2020 liegt in Karlsruhe eine Beschwerde von mir gegen das Verbot, insgesamt 140 Seiten. Mittlerweile haben sich weitere Amtsgerichte mir angeschlossen.

FDP und Grüne wären ja laut Wahlprogramm dafür. Allein die SPD ist da etwas zurückhaltender …

Die SPD will Modellprojekte… was soll das? Kanada, Niederlande, Kalifornien,… überall wird liberalisiert und legalisiert. Wieso muss man in Deutschland dann erst noch mal prüfen? Es funktioniert doch! Was die SPD will, ist Feigenblattpolitik, um die letzten Rentner unter den Wählern noch gnädig zu stimmen. Da wird die SPD nicht mit durchkommen! FDP und Grüne sind da deutlich weiter. Ich setze auf die Jusos in der SPD.

Gegenstimmen zur Legalisierung

Gegner einer Legalisierung, darunter die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU), verweisen unter anderem auf die Gefahr von Psychosen. Die Reifung des zentralen Nervensystems und Gehirns ist Experten zufolge mit 20 Jahren noch nicht abgeschlossen. Je früher, häufiger und intensiver Cannabis konsumiert werde, desto größer sei etwa das Risiko gerade für vorbelastete Menschen, an einer Psychose und Schizophrenie zu erkranken. Auch das Risiko für körperliche Leiden steige bei chronischem Cannabiskonsum.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) lehnt eine Legalisierung von Cannabis ebenfalls ab. „In der Schmerztherapie ist die Gabe von Cannabis möglich. Weitere Schritte zu Legalisierung halte ich für nicht sinnvoll“, sagte Holetschek dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Cannabis sei eine Einstiegsdroge und das müsse mit Blick auf die Suchtproblematik beachtet werden. „Ich wundere mich auch über die Prioritätensetzung von SPD, Grünen und FDP. Cannabis ist doch nicht das herausragende Thema unserer Zeit.“ (afp)

Woher kommt Ihr Drang, die Drogenpolitik zu reformieren?

Das ist tief in meiner Biografie verwurzelt. Mein Vater hat sich totgesoffen. Mein Bruder kam kurz darauf in ein Heim für Schwererziehbare nach Börgermoor, Hintergrund: Cannabis-Konsum. Später kam er für vier Jahre ins Gefängnis, weil er als junger Mensch Cannabis über die niederländische Grenze geschmuggelt hatte. In den Niederlanden hätte er vielleicht eine Ermahnung bekommen, in Deutschland wurde er weggesperrt. Das war die Initialzündung für mein Engagement. Das habe ich als Elfjähriger schon nicht verstanden: Warum darf der eine saufen, und der andere wird für ein bisschen Kiffen stigmatisiert?! Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

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