Rundschau-Debatte des TagesIst die Gefahr einer Hungerkrise gebannt?

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GEtreide

Symbolbild 

Brüssel – Die Vereinten Nationen setzen große Hoffnungen auf Russlands Zusicherungen, angemeldete Getreidetransporte durch das Schwarze Meer nicht anzugreifen. Ein Blick auf die Zahlen zeigt allerdings, dass die ursprünglichen Ziele weit verfehlt werden dürften – trotz aller Bemühungen, auch andere Transportrouten auszubauen. Im Mai hatte die EU-Kommission gewarnt, innerhalb von weniger als drei Monaten müssten 20 bis 25 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine exportiert werden. Bislang war es nur ein Bruchteil.

Welche Bedeutung hat die Ukraine für die weltweite Ernährung?

Die Blockaden der ukrainischen Exportwege durch Russlands Angriffskrieg haben erhebliche Auswirkungen auf die globalen Nahrungsmittelmärkte. In Ländern des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas ist bereits jetzt die Ernährungssicherheit bedroht. Nach Angaben der EU-Kommission war die Ukraine bis zum Beginn des Kriegs der weltweit größte Exporteur von Sonnenblumenöl, der drittgrößte Exporteur von Rapssamen und Gerste, der viertgrößte von Mais und der fünftgrößte von Weizen.

Gestohlene Fracht?

Die Ukraine wirft Russland vor, gestohlenes Getreide mit einem Frachter nach Syrien zu liefern. Die unter syrischer Flagge fahrende „Laodicea“ habe Gerste sowie Mehl geladen, teilte das Außenministerium in Kiew mit. Das Getreide stamme aus von Russland besetzten Gebieten im Osten der Ukraine. Nach Angaben aus dem Libanon hat das Schiff den russischen Hafen Kawkas bereits vor gut einer Woche verlassen. Der Website Marinetraffic zufolge steuerte es am Donnerstag den Mittelmeerhafen Tartus in Syrien an. (dpa)

Wie viel Getreide wurde seit dem Neustart der Transporte exportiert?

Bislang verließ erst ein einziges Frachtschiff die Ukraine. Die „Razoni“ mit 26000 Tonnen Mais soll am Sonntag den Libanon erreichen. Mehrere weitere Schiffe warten im Hafen von Odessa auf die Erlaubnis, ebenfalls Getreide ausführen zu dürfen. Zuvor waren Transporte übers Schwarze Meer mehr als fünf Monate blockiert. Zum Vergleich: 2021 exportierte die Ukraine nach einer Studie des US-Instituts Ifpri pro Monat vier Millionen Tonnen Getreide (Weizen, Mais und Gerste) und 430000 Tonnen Sonnenblumenöl. Über die Schwarzmeerhäfen wurden nach EU-Zahlen rund 90 Prozent dieser Ausfuhren abgewickelt.

Was ist mit dem Transport über andere Routen?

Laut EU-Kommission konnten im Juli 2,8 Millionen Tonnen Getreide, Ölsaaten und verwandte Erzeugnisse auf anderen Wegen ausgeführt werden – etwa doppelt so viel wie noch im April. Stark genutzt wurden Transportwege nach Rumänien und Polen. Über Routen zu Häfen in den baltischen Ländern oder der Adria liefen rund zehn Prozent der Ausfuhren.

Warum verlassen Agrarprodukte das Land nicht auf anderem Weg?

Dafür fehlt es an Infrastruktur und Transportmitteln. Laut EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean gibt es nicht genug Güterwaggons und Binnenschiffe. Zudem mangelt es an Kapazitäten für die vorübergehende Lagerung. Beim Schienentransport spielt eine Rolle, dass die ukrainische Bahn eine Spurweite von 1520 Millimetern hat, während der EU-Standard 1435 Millimeter beträgt. In den meisten EU-Staaten können ukrainische Waggons darum nicht eingesetzt werden. Güter müssen auf Waggons nach EU-Standard umgeladen werden.

Gibt es weitere Probleme beim Export des Getreides?

Der Transport etwa nach Afrika wird durch den Mehraufwand und die längeren Wegstrecken teurer. Fachleute weisen darauf hin, dass über andere Routen zuletzt vor allem Viehfutter ausgeführt wurde. Über Polen und Rumänien seien im Juni nur 138000 Tonnen Weizen exportiert worden, so der CDU-Agrarexperte Norbert Lins. In Drittstaaten gehe davon wohl fast nichts.

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Wird am Ausbau von Alternativstrecken gearbeitet?

Ja. Da es schwierig werde, die Ausfuhrmenge über die Schwarzmeerhäfen sofort wieder auf Vorkriegsniveau zu bringen, blieben andere Transportwege von entscheidender Bedeutung, erklärte ein Beamter der EU-Kommission. Jede exportierte Tonne zähle. Indem man Kapazität und Flexibilität erhöhe, könne man dazu beitragen, die Nahrungsmittelversorgung in armen Ländern zu sichern.

Was droht, wenn die Bemühungen scheitern?

Die steigenden Energie- und Düngerpreise könnten nach UN-Prognosen acht bis 13 Millionen Menschen zusätzlich in den Hunger treiben – vor allem in Afrika, im Nahen Osten und in Asien. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Ukraine mit den Exporten ihre Lagerbestände loswerden muss, um Platz für die neue Ernte zu schaffen. (dpa)

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