Rundschau-Debatte des TagesSoll die Herkunft von Tätern genannt werden?

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Reul mit Polizisten

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (M, CDU) spricht am Landtag mit Polizeibeamten.

Düsseldorf – Seit der Kölner Silvesternacht 2015 werde der Polizei   vorgeworfen, beim Thema Ausländerkriminalität nicht die Wahrheit zu sagen, so das Innenministerium. Eine Transparenz-Offensive soll dem  entgegenwirken.  Doch wie wichtig ist die Kenntnis der Nationalität von Tätern?

Im Düsseldorfer „Rheinbad“ ist gerade eine außergewöhnlich ruhige Hauptsaison angebrochen. Wegen strenger Corona-Vorschriften gibt es aktuell nur geordnetes „Zeitfenster-Schwimmen“ mit vorheriger Terminvereinbarung und persönlicher Registrierung. Vor zwei Jahren hatte das Freibad im Norden der Landeshauptstadt noch mit Tumulten eine bundesweite Debatte ausgelöst, die bis heute die Regierungskoalition von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) beschäftigt.

Nach Ausschreitungen, an denen vorwiegend Jugendliche mit Migrationshintergrund beteiligt gewesen sein sollen, musste das Bad 2019 dreimal mit Polizei-Hilfe geräumt werden. Auch wenn es zur tatsächlichen Bedrohungslage höchst unterschiedliche Einschätzungen gab, war der öffentliche Aufschrei groß. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte damals eine neue Transparenz in der Polizei-Kommunikation an: In Pressemitteilungen werde fortan die Nationalität von Tatverdächtigen grundsätzlich genannt. Dies sei das beste Mittel gegen „politische Bauernfängerei“, so Reul.

Grundsätzliche Nennung

Der Innenminister sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Polizei verschweige „unangenehme Wahrheiten“. Zum Beispiel, dass die Rheinbad-Randale vor allem auf das Konto junger Männer mit nordafrikanischen Wurzeln gegangen sei. Die AfD versuchte Reul überdies vorzuführen, indem sie eine parlamentarische Anfrage zu den Vornamen der Tatverdächtigen stellte. So ließ sich Abdul leicht von Alexander unterscheiden.

Fremdheitsdiskurs nach Kölner Silvesternacht

Die Kölner Silvesternacht im Jahr 2015 markiert für viele das Ende der Willkommenskultur. Den anschließenden Sicherheits- und Fremdheitsdiskurs sehen Forscher heute kritisch. Die Nacht bezeichnet einen Wendepunkt in der Flüchtlingsdebatte. Viele sprachen vom Ende der Willkommenskultur, es folgte ein monatelanger Sicherheits- und Fremdheitsdiskurs. Nach Erkenntnissen des Sozialpsychologen Andreas Zick kam es dabei zu einer Überbetonung von Kriminalität durch Migranten, „die nicht übereinstimmte mit der Kriminalstatistik, insbesondere bei der Frage: Welche Gruppen sind anfällig für Straftaten?“ Umfragen hätten gezeigt, dass als Folge davon Polarisierungseffekte in der Bevölkerung eingetreten seien. So sei die Zustimmung zu dem Satz „Wir sollten stärker darauf achten, nicht von Migranten überrannt zu werden“ von 28 Prozent im Jahr 2014 auf 42 Prozent 2016 gestiegen, so Zick. Der Berliner Migrationsforscher Wolfgang Kaschuba sieht es ähnlich: Das Thema der sexuellen Gewalt habe durch die Silvesternacht ein „Framing“, eine Einbettung, bekommen – es sei nun in erster Linie mit Fremden verknüpft worden. Erst durch die MeToo-Bewegung sei das wieder zurechtgerückt worden. (dpa)

Das Problem: Auch fast zwei Jahre nach den Ereignissen ist von Reuls Nationalitäten-Erlass nichts zu sehen. Die meisten Polizeibehörden informieren noch immer auf Basis eines Erlasses von 2011. Darin heißt es: „Auf die Zugehörigkeit zu einer Minderheit wird in der internen und externen Berichterstattung nur hingewiesen, wenn sie für das Verständnis eines Sachverhalts oder für die Herstellung eines sachlichen Bezugs zwingend erforderlich ist.“

Das Innenministerium versichert auf Anfrage, dass Reul weiterhin von der grundsätzlichen Nennung der gesicherten Nationalität eines Tatverdächtigen überzeugt sei. „Derzeit steht aber noch nicht fest, wie genau dies geschehen soll. Der Minister befindet sich dazu in Abstimmung mit dem Justizminister und dem Integrationsminister“, erklärt ein Sprecher. Seit der Kölner Silvesternacht 2015 werde der Polizei immer wieder vorgeworfen, beim Thema Ausländerkriminalität nicht die Wahrheit zu sagen, so das Innenministerium. „Dies führt nach Beobachtung des Ministers zu einem steigenden Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen. Er ist der Überzeugung, dass man diesem am besten mit einer möglichst weit reichenden Transparenz begegnet.“

Reul könnte seinen Polizei-Erlass ohne weitere Rücksprache in der Landesregierung sofort auf den Weg bringen. Auch in anderen Bundesländern wird die Nationalität von Tatverdächtigen schließlich genannt. Das NRW-Innenministerium versucht zudem selbst längst, in Parlamentsvorlagen so transparent wie möglich bei Straftaten einen etwaigen kulturellen Hintergrund auszuleuchten.

Frühe Bedenken

Reuls Absicht, die Nationalität von Tatverdächtigen grundsätzlich in die Polizei-Pressemitteilung zu schreiben und deren Gewichtung dann der Berichterstattung zu überlassen, stößt innerhalb der Landesregierung jedoch auf Kritik. Justizminister Peter Biesenbach (CDU) hatte früh Bedenken angemeldet und auf datenschutzrechtliche Hürden hingewiesen.

Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) konnte sich allenfalls eine weitere Annäherung an den Pressekodex vorstellen. Man könne die Herkunft von Tatverdächtigen immer dann nennen, wenn sie einen objektiven Erklärungswert für die Straftat habe. „Wenn es beispielsweise um Taschendiebstähle geht, die von einer ganz bestimmten Gruppe, aus einer Nationalität heraus, begangen werden“, so Stamp. Groß ist eben die Sorge bei Integrationspolitikern, ganze Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren.

Reul will den Nationalitäten-Erlass für die Polizei dennoch bis zum Ende Legislaturperiode durchdrücken.

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