Rundschau-Debatte des TagesWaren Schulschließungen gar nicht nötig?

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Angesichts niedriger Inzidenzen sind viele Schulen zum Präsenzunterricht zurückgekehrt.

Angesichts niedriger Inzidenzen sind viele Schulen zum Präsenzunterricht zurückgekehrt.

  • Während der Corona-Pandemie haben viele Schüler ihre Schule und das Klassenzimmer monatelang kaum von innen gesehen.
  • Stattdessen galt in Deutschland bis vor Kurzem flächendeckend Homeschooling.
  • Doch war das wirklich eine notwendige Maßnahme der Politik?

Berlin – Nachdem die voraussichtlich letzte Corona-Hochphase in Deutschland weitgehend überstanden ist, wird wieder Kritik an der Schulpolitik der Länder laut. Auf Bild.de sagt der Direktor der Abteilung für Kinderkardiologie und Intensivmedizin im Klinikum Großhadern, Professor Nikolaus Haas: Schulschließungen hätten nicht sein müssen. Immerhin hätten nur wenige Kinder wegen einer Infektion mit dem Coronavirus auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Stimmt das?

Wenige erkrankte Kinder

Bereits im März hatte Kinderärztepräsident Thomas Fischbach im Interview mit unserer Redaktion gesagt: „Es gibt nur extrem wenige Kinder, bei denen das Virus zu einer Erkrankung geführt hat. Bei den Kindern bis fünf Jahre ist die Zahl nur zweistellig. Und bei nur einem Kind gab es ernsthafte Symptome.“

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Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie verzeichnet bis März dieses Jahres vier Fälle, in denen eine Infektion mit dem Coronavirus in Deutschland bei Kindern zum Tode geführt hatte. Wenn Kinder selbst also nahezu kaum gefährdet sind – inwieweit war es dann überhaupt gerechtfertigt, Schulen teilweise oder ganz zu schließen, um – wenn schon nicht die Kinder – die Lehrer zu schützen? Im Mai forderte Fischbach im Gespräch mit unserer Redaktion, Kitas und Grundschulen schneller zu öffnen – allerdings immer zusammen mit angemessenem Infektionsschutz. Fischbach kritisierte auch, dass die Ansteckungsgefahr durch Kinder nicht viel früher wissenschaftlich erhoben worden sei: „Seit Mitte März sind Millionen von Kindern von sozialen Kontakten ausgesperrt. Da muss man doch den Beweis antreten, dass das notwendig und sinnvoll ist.“

Probleme bei der Datenerhebung

Wie groß wäre also die Gefahr gewesen, wären die Schulen geöffnet geblieben? Dazu lässt sich nicht einfach beispielhaft ein Laborexperiment durchführen. Denn: Wer Versuche dazu machen, müsste Menschen absichtlich infizieren. Möglich sind also lediglich Beobachtungen von bekannten Ausbrüchen. Laut Quarks.de zeigen ausländische Studien, dass bei Ansteckungen in Schulen mehr Erwachsene als Kinder erkrankten. In einem Ferienlager in den USA beobachteten Forscher dagegen, dass sich auch Kinder in hoher Zahl anstecken können. Ein wahrscheinlicher Grund: Im Ferienlager hatten die Kinder erheblich engeren Kontakt zueinander als im durchschnittlichen Klassenraum.

Sind Kinder ansteckender?

Leiterin der Abteilung für Pädiatrische Pneumologie der Uni-Kinderklinik Bochum, Folke Brinkmann, ist an zwei Studien zu dem Thema beteiligt. Seriös lasse sich bislang nicht sagen, wie ansteckend jüngere Kinder sind, sagt Brinkmann dem ZDF. Es gebe jedoch klare Hinweise, dass sie bis zum Jugendalter weniger ansteckend seien, weniger Symptome zeigten und weniger Viruspartikel ausschieden.

Belastung für Familien und Therapiebedarf

Homeschooling und -Office haben viele Familien an ihre Belastungsgrenze gebracht. Der Alltag war plötzlich durcheinander gewirbelt und es mussten neue Aufgaben bewältigt werden. Das hat zum Teil gravierende Folgen für die Psyche der Menschen gehabt. „Die Selbstheilungskräfte scheinen bei vielen allmählich erschöpft zu sein“, sagt der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dietrich Munz. Die Nachfrage nach Psychotherapie nahm in der Pandemie stark zu, wie eine Umfrage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung ergab. Die Patientenanfragen stiegen demnach im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 40 Prozent. Nur jede vierte Patientin, jeder vierte Patient, erhalte einen Termin für ein erstes Gespräch. (dpa)

Forscher gehen allerdings aufgrund der schwachen Symptome bei Jüngeren von einer hohen Dunkelziffer erkrankter Kinder aus. Schulschließungen, erklärte der Epidemiologe von der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin gegenüber dem ZDF, seien daher geboten, denn der Infektionsdruck von außen könne so groß sein, dass auch Schulen als Verteilungsplattformen fungierten. Sie seien zwar kein Treiber der Pandemie, sagte Ulrichs dem ZDF, aber sie könnten dazu beitragen, dass sich das Virus noch weiter ausbreite.

Reduzierte Mobilität

Ein weiterer Aspekt der Schließungen: Schweizer Wissenschaftler zeigten, dass geschlossene Schulen die Mobilität der Menschen reduzierte und dadurch die Verbreitung des Virus' verlangsamen könne. Quarks.de fasste es so zusammen: Ausbrüche an Schulen waren in den zurückliegenden Monaten nie übermäßig groß. Wenn jedoch in der gesamten Gesellschaft viele Menschen infiziert sind, steigt auch an Schulen die Ausbruchswahrscheinlichkeit.

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