Treffen mit PutinWelche Rolle Erdogan und seine Helfer im Ukraine-Krieg spielen

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Erdogan kritischer Blick

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei 

Istanbul – Recep Tayyip Erdogan kostet seinen Triumph aus. Das Getreide-Abkommen von Istanbul sei ein bedeutender diplomatischer Erfolg für die Türkei, sagte der Präsident nach einer Kabinettssitzung vor einigen Tagen in einer landesweit übertragenen Fernsehansprache. Erdogan richtet seinen Blick nun auf höhere Ziele. An diesem Freitag reist er als erster Staatschef eines Nato-Landes seit Kriegsbeginn zu einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin nach Russland. Als Vermittler im Ukraine-Krieg will Erdogan die Möglichkeiten für einen Waffenstillstand ausloten. Dabei verlässt sich der 68-jährige auf sein Gespür – und ein Berater-Trio.

Außenpolitische Erfolge kann Erdogan derzeit gut gebrauchen. Zehn Monate vor den nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen steht seine Regierung wegen der Wirtschaftskrise in der Türkei mit dem Rücken an der Wand. Mit seiner zentralen Rolle bei den Bemühungen um eine Entschärfung des Ukraine-Konfliktes kann Erdogan von hoher Inflation und Arbeitslosigkeit ablenken und sich den Wählern als Staatsmann von Weltrang empfehlen. Wie seine nationalistischen Anhänger ist er überzeugt davon, dass die Türkei ein entscheidender Akteur ist, ohne den im Großraum Europa-Asien-Afrika wenig läuft.

Erdogan will einen Waffenstillstand aushandeln

Das Inkrafttreten des Istanbuler Getreide-Abkommens hat Erdogans internationales Prestige zuletzt gesteigert. Deshalb traut sich der Präsident jetzt zu, Putin zu einem Waffenstillstand mit Kiew zu bewegen. Er arbeitet seit Jahren eng mit dem russischen Präsidenten zusammen. Im Westen wird die enge Kooperation misstrauisch verfolgt, doch Erdogan fühlt sich durch seine Erfolge bestätigt.

Getreidefrachter zur Inspektion in Istanbul

Nach seiner Ankunft in Istanbul soll das erste mit ukrainischem Getreide beladene Frachtschiff seit Beginn des russischen Angriffskriegs an diesem Mittwoch inspiziert werden, bevor es seine Fahrt in Richtung Libanon fortsetzen kann. Die mit rund 26000 Tonnen Mais aus der Ukraine beladene „Razoni“ war am Dienstag vom Schwarzen Meer in die Meerenge Bosporus eingelaufen, die durch Istanbul verläuft. Dort ging der Frachter um kurz nach 21 Uhr Ortszeit vor Anker. Für die Inspektion gehen nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums Vertreter der Ukraine, Russlands, der Türkei und der Vereinten Nationen an Bord. Die Inspektionen sollen unter anderem sicherstellen, dass keine Waffen an Bord sind. (dpa)

Dabei ist der Präsident kein geborener Außenpolitiker. Er spricht keine Fremdsprachen und hält nicht viel von diplomatischer Zurückhaltung. Als er sich beim Nato-Gipfel von Madrid im Juni mit den Regierungschefs von Finnland und Schweden zu einem Gespräch über die türkische Veto-Drohung gegen den Nato-Beitritt der beiden Länder zusammensetzte, eröffnete er das Treffen etwa mit der Bemerkung: „Eigentlich will ich nicht mit Ihnen reden.“

Im Ukraine-Konflikt fährt Erdogan einen Mittelkurs. Die Türkei liefert Kampfdrohnen an die Ukraine, beteiligt sich aber nicht an westlichen Sanktionen. Putin hat sich damit arrangiert. Bei seinem jüngsten Treffen mit Erdogan vorige Woche in Teheran fragte der Kremlchef halb im Scherz sogar, ob auch Russland türkische Drohnen haben dürfe, wie Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin im Fernsehsender Kanal 7 berichtete. Kalin kennt solche Anekdoten, weil er bei allen wichtigen Treffen Erdogans mit ausländischen Staatschefs dabei ist. Der 50-jährige ist mehr als Erdogans Präsidialamtssprecher und Chefberater. Kalin, der perfekt Englisch spricht, ist der außenpolitische Profi und geschliffene Diplomat unter Erdogans engsten Mitarbeitern.

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Mindestens ebenso wichtig wie Kalin ist Geheimdienstchef Hakan Fidan. Der 54-jährige fand nach einem Bericht der meist gut informierten Nachrichten-Website „Middle East Eye“ in einer Kaffeepause am Rande des Nato-Gipfels von Madrid den Kompromiss, der Finnland und Schweden den Weg ins Bündnis öffnete.

Dritter im Bunde der engen Erdoganberater ist Verteidigungsminister Hulusi Akar. Der 70-jährige ehemalige Berufssoldat ist seit 2018 Minister und organisierte Militärinterventionen der Türkei in Syrien, im Irak und Libyen. Er führte auch die Verhandlungen über den Istanbuler Getreide-Deal.

Begrenzte Möglichkeiten

Beim Treffen mit Putin im Schwarzmeer-Badeort Sotschi wollen Erdogan, Kalin, Fidan und Akar über Syrien sprechen, wo die Türkei einen neuen Einmarsch plant. Vor allem aber wollen sie herausfinden, ob der Schwung des Getreide-Abkommens für einen Waffenstillstand genutzt werden kann. Unterstützung erhält Erdogan vom deutschen Alt-Kanzler Gerhard Schröder, der ebenfalls enge Beziehungen zu Putin hat. Der Istanbuler Getreide-Deal sei ein Erfolg, den man möglicherweise zu einem Waffenstillstand ausbauen könne, sagte Schröder „Stern“ und RTL/NTV.

Erdogan ist für den international isolierten Putin zwar ein wichtiger Partner, doch Russland achtet auf die eigenen Interessen. Möglicherweise überschätzt Erdogan die Bedeutung seines Landes und seinen persönlichen Einfluss. Um im Ukraine-Konflikt etwas zu bewegen, müsste sich die Supermacht USA einschalten, sagt auch Schröder: „Ohne ein Ja aus Washington wird es nicht gehen.“

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