Viele bei Corona-Protesten1004 antisemitische Vorfälle in Berlin

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Ein Polizist bewacht in Hamburg eine jüdische Schule.

Berlin – 1004 antisemitische Vorfälle sind in Berlin im vergangenen Jahr von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) registriert worden. Davon wurden 770 Fälle als verletzendes Verhalten eingestuft, wie am Montag mitgeteilt wurde. Dazu gehörten vor allem Beleidigungen in den sozialen Netzwerken, per Mail oder persönliche mündliche Anfeindungen. Die Zahl der Vorfälle lag in den Vorjahren 2019 (881) und 2018 (1085) auf einem vergleichbaren Niveau.

Neben den zahlreichen Beleidigungen und Beschimpfungen wurden im vergangenen Jahr zudem 123 antisemitische Massenzuschriften, 51 Bedrohungen und 43 Sachbeschädigungen erfasst. Zurückgegangen ist - möglicherweise wegen des reduzierten öffentlichen Lebens - die Zahl der Gewaltvorfälle. Rias dokumentierte 17 tätliche Angriffe. Das waren deutlich weniger als in den Vorjahren (2019: 33, 2018: 46). Vor der Corona-Pandemie gab es am meisten Angriffe auf der Straße oder in Bahnen und Bussen. Im vergangenen Jahr verlagerte sich dieses Geschehen in das Wohnumfeld der Betroffenen.

„Klar ist, Berlin hat ein Antisemitismus-Problem.“

Fast 20 Prozent (186) der registrierten antisemitischen Vorfälle habe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gestanden, sagten die Vertreter von RIAS am Montag. Oft sei es bei Demonstrationen gegen die Corona-Einschränkungen zu solchen Vorfällen gekommen: durch die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungsmythen, Täter-Opfer-Umkehrungen und Holocaust-Verharmlosungen.

Der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Berlin, Samuel Salzborn, sagte: „Klar ist, Berlin hat ein Antisemitismus-Problem.“ Die Pandemie und die Demonstrationen seien nur ein Vorwand für viele Menschen, um ihren bereits vorhandenen Antisemitismus öffentlich zu äußern. Sigmount Königsberg, Antisemitismus-Beauftragter der Jüdischen Gemeinde, stellte fest: „Jeden Tag gibt es drei antisemitische Übergriffe in Berlin.“

348 Menschen waren persönlich von antisemitischen Vorfällen betroffen. 515 Vorfälle richteten sich gegen Institutionen, vor allem jüdische und israelische Einrichtungen. „Besonders auffällig waren im Frühjahr 2020 die Störungen von Online-Veranstaltungen von jüdischen, israelischen oder zivilgesellschaftlichen Institutionen auf der Zoom-Plattform“, erklärte RIAS.

60 Prozent der Vorfälle in Mitte, Charlottenburg und Friedrichshain

Die politische Einordnung der Täter blieb in mehr als 50 Prozent der Vorfälle unbekannt. 27 Prozent wurden Rechtsextremisten zugeordnet. Knapp 9 Prozent waren verschwörungsideologisch motiviert. Antiisraelischer Aktivismus betraf 5 Prozent der Vorfälle. 22 Vorfälle (2 Prozent) wurden als islamisch/islamistisch bewertet. Allerdings ordnet RIAS die immer wieder vorkommenden antisemitischen Beschimpfungen in arabischer oder türkischer Sprache oder sonst aus der muslimischen Szene keiner politischen Richtung, sondern der Kategorie „Unbekannt“ zu. Zahlen dazu liegen also nicht vor.

Von den Vorfällen, die sich nicht im Internet abspielten, geschahen die meisten in der Berliner Innenstadt. Rund 60 Prozent ereigneten sich in den drei Bezirken Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg.

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RIAS nannte auch konkrete Beispiele aus dem vergangenen Jahr: Ein Redner sprach bei einer Demonstration von „Zionisten“ und „Satanisten“; ein Schriftzug: „Corona ist von Israel gemacht“; Hakenkreuze, SS-Runen und antisemitische Schmierereien an einem Wohnhaus; ein Mann wurde in einer Kneipe von einem Unbekannten antisemitisch und rassistisch beleidigt und geschlagen, der Täter zeigte den Hitlergruß; zwei Männer machen Drohgesten wie „Kopf ab“ und rufen „Yahudi“ (arabisch, Jude).

In Berlin erheben verschiedene Institutionen nach unterschiedlichen Kriterien Statistiken zu Antisemitismus, darunter auch die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft. Die 2015 gegründete und vom Senat finanziell geförderte Rias sammelt ihre Daten auf Grundlage von Meldungen über das Internet, Beobachtungen und einer Zusammenarbeit mit Opferberatungsstellen und Polizei. (dpa)

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