Vier Jahre AfDWie die Rechtspopulisten den Bundestag verändert haben

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AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland 

AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland 

  • Mit der AfD zog vor vier Jahren nicht nur eine neue Partei in den Bundestag ein.
  • Die Rechtspopulisten haben das Parlament verändert, sagen Freunde wie Gegner.
  • Fakt ist: Der Ton ist rauer geworden.

Berlin – „Sie haben überhaupt kein Gewissen“, pöbelt eine Frau im November 2020 gegen Peter Altmaier, der im Reichstagsgebäude auf den Aufzug wartet. „Arschloch“ und „aufgeblasener, kleiner Wannabe-König“ ruft die Besucherin dem Wirtschaftsminister hinterher, als der schon nach oben fährt. Andere Abgeordnete berichten später, auch sie seien auf den Gängen des Bundestages bedrängt und beleidigt worden. Die Pöbler: Gäste von AfD-Abgeordneten.

Die Partei distanziert sich. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland entschuldigt sich. Ein solches Verhalten sei mit der parlamentarischen Arbeit nicht zu vereinbaren. Konsequenz der Fraktion für die gastgebenden Abgeordneten: Sie durften ein paar Wochen lang keine Rede im Bundestag halten. Also nur ein Ausrutscher?

Angst auf den Bürofluren

Barbara Hendricks von der SPD arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Bundestagsabgeordnete, eine Legislaturperiode war sie Bundesumweltministerin. Seit die AfD im Bundestag vertreten sei, sagt Hendricks, würden Abgeordnete anderer Parteien von ihren Mitgliedern beleidigt – „so, dass die Kolleginnen das hören, es aber nicht ins Protokoll aufgenommen werden kann.“ Abgeordnete trauten sich nicht mehr, abends auf den Bürofluren unterwegs zu sein, weil sie fürchteten, von AfD-Abgeordneten und deren Mitarbeitern bedrängt zu werden.

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Politikprofessor Kai Arzheimer forscht an der Universität Mainz zu rechten Parteien. Er sagt: „Ein Parlament gewinnt dadurch, dass auch mal schärfer formuliert wird. Aber die AfD ragt in der Statistik der parlamentarischen Ordnungsrufe heraus. Das ist kein Zufall. Die Zwischenrufe sind häufig äußerst beleidigend bis hin zu Volksverhetzung und Rassismus. Das wird dann bewusst über soziale Medien an die Anhänger der Partei weitergegeben. Hier wird das Bild einer Frontstellung erzeugt: Wir gegen das System.“ Zu den Pöbeleien im November sagt Arzheimer: „Dass jemand Feinde der parlamentarischen Demokratie ins Parlament bringt, ist schon ein spektakulärer Vorgang.“

Wahl verweigert

Aber ist nicht auch die AfD selbst Opfer von Ausgrenzung und Regelbrüchen? Das werden ihre Mitglieder nicht müde zu betonen. Ein Beispiel: die Wahl der Bundestagsvizepräsidenten. Normalerweise stellt jede Fraktion im Parlament einen Präsidenten oder einen Vize. Der muss gewählt werden – und daran scheiterte die AfD sogar im sechsten Anlauf. Die übrigen Fraktionen argumentieren: Der Bundestagspräsident sei die zweithöchste Person im Staate. Ein AfD-Mitglied könne die Bundesrepublik nicht nach außen hin vertreten. Also gibt es bislang keinen AfD-Vize.

Auf Dauer angepasst

In anderen Ländern lief es mit rechten Parteien zum Teil ganz anders: In Schweden und Frankreich etwa passten sie sich im Laufe der Zeit dem parlamentarischen Betrieb an und versuchten, ihn von innen heraus zu verändern. „Die Schwedendemokraten sind vor 20 Jahren mit Uniformen durch die Straßen marschiert“, sagt Arzheimer. „In ihrer heutigen Form sind sie für Mitte-Rechts-Parteien akzeptabel. Der Front National in Frankreich hat seinen Parteigründer ausgeschlossen, weil der den Holocaust geleugnet hat. Und in den Niederlanden betont die heutige Radikale Rechte die Freundschaft zu Israel und erklärt, die Rechte sexueller Minderheiten schützen zu wollen.“ (swi)

Politikwissenschaftler Kai Arzheimer ordnet es so ein: „Man kann Abgeordnete nicht zwingen, jemanden zu wählen, der als Feind der Demokratie wahrgenommen wird.“ Allerdings schränkt er ein, die AfD habe mehrere Kandidaten angeboten und „man kann zumindest hinterfragen, ob diese alle nicht akzeptabel waren. Für mich ist das ein Grenzfall. Viele Abgeordnete dachten offenbar, sie könnten die AfD nicht behandeln wie andere Parteien.“

Schon vor der Wahl 2017 beschloss der Bundestag, den Alterspräsidenten, der in der Regel die erste Sitzung eines neuen Parlaments leitet, nicht mehr nach biologischem, sondern nach Dienstalter zu bestimmen. Grund: Im neu gewählten Bundestag wäre sonst voraussichtlich ein AfD-Politiker Alterspräsident geworden.

Die AfD nahm das offenbar nicht zum Anlass, sich dem Parlamentsbetrieb anzunähern. Beispiel Präsenz: Im Bundestag gilt die Übereinkunft, dass nicht permanent alle Abgeordneten anwesend sein müssen. Die Fraktionen verabreden, mit einer bestimmten Personenanzahl zu Abstimmungen zu erscheinen, die die Mehrheitsverhältnisse im Parlament widerspiegelt, sodass die übrigen Abgeordneten anderweitig arbeiten können. Die AfD dagegen beschloss, stets mit maximaler Abgeordnetenzahl anzutreten, und postete Fotos leerer Plätze auf Facebook. Tenor: Wir arbeiten in diesem Parlament, die anderen nicht.

Drastische Wortwahl

„Auch als die Grünen und die damalige PDS in den Bundestag eingezogen sind, gab es erhebliche Spannungen. Innerhalb der vergangenen 25 Jahre ragt die AfD aber schon heraus“, sagt Arzheimer. Auch in der Wortwahl: Wer an drastische Sprache denkt, erinnert sich vielleicht an Joschka Fischers „Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub.“ Das sei jedoch eine einzelne Äußerung eines Politikers, der sich in der Regel zivilisierter geäußert habe. „Mit dem Trommelfeuer der AfD ist das nicht vergleichbar.“ Gaulands „Wir werden sie jagen“ habe eine andere Qualität: „So redet man nicht über Kollegen, mit denen man konstruktiv zusammenarbeiten möchte.“

Fazit: In ihren vier Jahren im Bundestag fiel die AfD weniger dadurch auf, kritisch-konstruktiv mitzuarbeiten, sondern richtete sich in ihrer Rolle als Provokateur ein. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat die rechte Partei damit wenig Chancen, in naher Zukunft Politik mitzugestalten. Die AfD dürfte vorerst auf ihrem Außenseiterposten verharren.

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