„Das Dorf freut sich“Michael Boris tritt mit Fehérvár zum Playoff-Hinspiel in Köln an

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Trainer Michael Boris bei einer Einheit des Fehérvár FC, dem Gegner des 1. FC Köln in den Playoffs zur Conference League.

Köln – Seit Tagen steht das Telefon von Michael Boris nicht mehr still. Der deutsche Trainer des ungarischen Erstligisten Fehérvár FC ist vor dem Playoff-Hinspiel der Conference League beim 1. FC Köln (Donnerstag, 20.30 Uhr) ein gefragter Mann. Tobias Carspecken sprach mit dem früheren Windecker.

Herr Boris, wurden Sie in den letzten Tagen von Ticketanfragen überhäuft?

Es haben sich sehr viele Menschen bei mir gemeldet. Vor allem aus dem Bekanntenkreis, aber auch Kontakte aus den sozialen Netzwerken. Trotzdem ist es für mich natürlich schwierig, all diese Wünsche zu erfüllen.

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Wie groß ist die Vorfreude?

Wir freuen uns riesig. Beide Spiele gegen den FC werden ein Highlight und ausverkauft sein. Ich war schon mehrere Male in Köln und weiß, was auf uns zukommt. Vom „Trömmelche“ kann ich hier aber niemandem erzählen. Das versteht in Ungarn kein Mensch (lacht).

Wie stellen Sie Ihr Team auf die Wucht in Köln ein?

Wir müssen dafür sorgen, dass auf den Rängen keine allzu große Euphorie aufkommt. Das geht nicht durch einfache Ballverluste. Keine Frage: Wir stehen vor einer Herausforderung.

Ist der FC der klare Favorit?

Definitiv. Wir müssen an unsere Grenze gehen und brauchen einen verdammt guten Tag, um etwas Zählbares aus Köln mitzunehmen. Das ist das Ziel. Wir gehen nicht kampflos rein.

Welchen Eindruck macht der FC auf Sie?

Die Kölner sind gegen Schalke und Leipzig gut in die Bundesliga-Saison gestartet. Es war stark, wie der FC in Leipzig durchgepresst hat. Das ist schon ansehnlich. Wir müssen zusehen, dass wir uns aus diesem Pressing befreien.

Wittern Sie durch den Modeste-Abgang eine Chance?

Ich bin natürlich froh, dass Anthony Modeste nicht dabei ist – auch wenn ich das Lied über ihn sehr mag (schmunzelt). Bislang macht es der FC auch ohne ihn gut. Ich habe – Stand heute – den Eindruck, dass die Mannschaft seinen Wechsel sehr gut kompensieren kann.

Wie wollen Sie das Hinspiel angehen?

Wir wollen nach vorne spielen, brauchen aber eine gute Restverteidigung. Das ist ein großes Thema, denn im Kontern sind die Kölner ebenfalls gut.

Welche Unterschiede gibt es?

In Deutschland wird physischer und athletischer gespielt als in Ungarn. Hinzu kommt: Wir gehen in die fünfte englische Woche in Folge. Wir brauchen am Donnerstag Frische und Athletik auf dem Platz, um dagegenhalten zu können.

Wie lautet Ihre Philosophie?

Ich passe meine Idee immer an den jeweiligen Kader an. Bei MTK Budapest hatte ich eine sehr junge Mannschaft, bei der ich den Fokus auf Schnelligkeit und Athletik legen konnte. Mein aktuelles Team besteht aus mehreren erfahrenen Spielern, mit denen ich zum Beispiel nicht durchpressen kann.

Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie in Fehérvár?

Die Strukturen bewegen sich auf Bundesliga-Niveau. Wir haben mehrere Trainingsplätze mit guter Rasen-Qualität sowie ein Gym. In den vorherigen Qualifikationsrunden sind wir mit einer Chartermaschine nach Aserbaidschan und in die Republik Moldau geflogen. Wir werden auch per Charter nach Köln kommen. Zum Vergleich: Der moldawische Club Petrocup-Hincesti ist 18 Stunden mit dem Bus nach Ungarn gereist, das darf man nicht vergessen.

Wie ordnen Sie die bisherige Qualifikationsphase ein?

Wir haben die Aufgaben gegen Qäbälä und Petrocup-Hincesti mit drei Siegen souverän gemeistert. Wenn wir im Flow sind, spielen wir guten Fußball. Ich bin stolz auf meine Mannschaft, wie sie das gemeistert hat, zumal wir nur über einen kleinen Kader verfügen. Man muss es so deutlich sagen: Nun dürfen wir uns mit dem 1. FC Köln messen.

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Dagegen verlief der Ligastart mit einem Sieg und zwei Niederlagen holprig.

Damit sind wir nicht zufrieden. Wir haben uns mehr versprochen. Das 0:4 am Sonntag gegen Ferencvaros Budapest ist allerdings gemessen am Spielverlauf zu hoch ausgefallen. Die interne Marschroute lautet, unter die Top 3 zu kommen sowie das Pokalfinale zu erreichen.

Wo steht der ungarische Fußball im Europa-Vergleich?

Ferencvaros muss man ausklammern, das ist der FC Bayern des ungarischen Fußballs. Ich vergleiche das Niveau hier gerne mit dem VfL Bochum. Also: Unteres Drittel Erste Liga, oberes Drittel Zweite Liga – ohne dem VfL damit zu nahe treten zu wollen. Im ungarischen Fußball ist eine Entwicklung zu erkennen. Die Strukturen haben sich deutlich verbessert, der Weg ist gut, und auch die Nationalmannschaft hat in der Nations League zuletzt überzeugt. Aber es dauert alles seine Zeit. Der gute Nachwuchs geht noch immer gerne ins Ausland.

Zur Person

2004 begann als Assistent bei Kickers Emden die Trainerkarriere des früheren Amateurtorwarts Michael Boris (47). Über seinen ersten Cheftrainerposten beim VfB Homberg gelangte der Bottroper 2009 zum TSV Germania Windeck, mit dem er sich für den DFB-Pokal qualifizierte. Dort weckte Boris das Interesse des FC Schalke 04, dessen Reserve er im Januar 2010 übernahm.

Weitere Stationen im Westen waren die Sportfreunde Siegen, die Sportfreunde Lotte sowie der KFC Uerdingen, ehe Boris im August 2016 für einen Job im ungarischen Nachwuchs erstmals ins Ausland ging. Im Sommer 2019 wechselte er weiter zu MTK Budapest. Nach einer kurzen Station bei SønderjyskE Fodbold in Dänemark kehrte Boris im Februar 2022 zurück nach Ungarn zum Fehérvár FC. (tca)

Sie sind seit Sommer 2016 fast durchgehend in Ungarn tätig. Wie ist es nach zahlreichen Stationen im Westen Deutschlands dazu gekommen?

Der damalige ungarische A-Nationaltrainer Bernd Storck war auf der Suche nach einem Coach für die U19 und U21. Frank Wormuth (von 2008 bis 2018 Leiter der DFB-Fußballlehrerausbildung, Anm. d. Red.) hat mich vermittelt. Ich bin dankbar für die Chance, die ich in Ungarn erhalten habe, zumal ich hier Profi-Trainer werden durfte. Inzwischen fühle ich mich als Trainer angekommen. Allerdings muss man auch in Ungarn liefern. Der Druck ist da. Fehévár steht für Ziele und Trophäen.

Wie lebt es sich in Ungarn?

Ich wohne in Székesfehérvár, zwei Kilometer vom Stadion entfernt. In meiner Freizeit fahre ich gerne nach Budapest rein, das sind 60 Kilometer. Eine wunderbare Stadt. Die Menschen sind freundlich und offen. Ich habe die ungarische Sprache erlernt. Das war mir wichtig, um dem Land näher zu sein – und wird umgekehrt wertgeschätzt.

Nun schließt sich mit der Rückkehr nach Müngersdorf für Sie ein Kreis. Im August 2009 haben Sie mit Germania Windeck in der ersten DFB-Pokal-Runde gegen Schalke vor 16 000 Fans im Rhein-Energie-Stadion gespielt .

Damit fing meine Reise an. Das Spiel war im Rückblick der Startschuss dafür, dass ich jetzt, 13 Jahre später, als Profi-Trainer nach Köln zurückkommen kann. Ich habe Felix Magath damals vor laufender Kamera gefragt, ob ich ein Praktikum auf Schalke bekommen kann. Er hat zugestimmt. Ich durfte auch nach Ablauf der zunächst vereinbarten Zeit wiederkommen. „Aber nur, wenn du in Windeck erfolgreich bist“, sagte Felix Magath. Am Ende wurde ich Trainer der Schalker Amateure.

Haben Sie noch Kontakt nach Windeck?

Vereinsboss Heinz-Georg Willmeroth hat mich vor ein paar Tagen angerufen. Er sagte: „Das Dorf freut sich: Der Boris kütt zorück noh Kölle.“ Ich werde niemals vergessen, wo ich herkomme. Die anderthalb Jahre in Dattenfeld waren eine tolle Zeit. Ich habe die Hütchen mit der Schubkarre auf den Platz gefahren und auf der Pferdekoppel nach Bällen gesucht. In Erinnerung bleibt mir auch der autofreie Fahrradtag im Rhein-Sieg-Kreis, der es uns sonntags erschwert hat, zum Sportplatz zu kommen. Leider hat der langjährige Mäzen Franz-Josef Wernze sein Engagement nun beendet. Jetzt spielt der Verein nur noch Kreisliga B. Eine schöne Anekdote habe ich allerdings noch.

Bitte.

Über Ostern stand ein Spiel an und an einem sogenannten „stillen Feiertag“ wie Karfreitag war es in Dattenfeld nicht so gerngesehen, dass eine Mannschaft trainiert. Daraufhin habe ich zu Heinz-Georg Willmeroth gesagt: „Das geht nicht, wir brauchen das Training.“ Er antwortete mir: „Dann gehe ich in der Zeit auf den Golfplatz und mache mein Handy aus. Und wenn eine Beschwerde kommt, sage ich: Den Boris, den werde ich zusammenstauchen.“ Das war Heinz-Georg Willmeroth. Er schließt noch immer den Sportplatz in Dattenfeld auf und zu. Zum Glück hat die Geschichte damals niemand mitbekommen (lacht).

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