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„Mach et, Otze“Wie vor 30 Jahren ein Kultspruch des Fußballs geboren wurde

Lesezeit 6 Minuten
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Schiedsrichter Markus Merk zeigt Frank Ordenewitz die rote Karte. 

Wir erreichen Frank Ordenewitz beim Einkaufen und da ist es schlecht mit Telefonieren. Der Chefscout der Nachwuchsabteilung von Werder Bremen bittet um Aufschub und eine Stunde später kommt das Gespräch zustande. Obwohl er ahnen muss, was da kommen wird. Manch einer macht das Handy dann lieber aus, Journalisten kennen das. Doch der Mann, den alle nur „Otze“ nennen, ist anders.

Nicht umsonst war er der erste Spieler, dem die Fifa 1988 einen Fair-Play-Preis verlieh, weil er ein Handspiel im eigenen Strafraum zugab, doch das ist eine andere Geschichte. Die Geschichte, von der hier die Rede sein soll, liegt auf den Tag genau 30 Jahre zurück und rückt den großen Rest seiner passablen Karriere in den Hintergrund. Dahinter verblassen Meisterschaften, Länderspiele und all die vielen Bundesligatore.

Drei Worte, die so nie gefallen sind

Um es mit seinen Worten zu sagen: „Mach et Otze – das ist bekannter als alles andere von mir.“ Seit dem 7. Mai 1991. Das Pokalhalbfinale zwischen dem 1. FC Köln und dem MSV Duisburg und drei legendäre Worte, die so übrigens nie gefallen sind, überstrahlen alles. Nur schade eigentlich, dass es für ihn eine dumme Geschichte ist.

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Hinein ins Geschehen: der 1. FC Köln trifft im Wiederholungsspiel auf den wackeren Zweitligisten MSV und schickt sich an, das Ticket nach Berlin zu lösen. Doch schon in der ersten Halbzeit wird es einem Kölner entzogen. Frank Ordenewitz sieht die zweite Gelbe Karte im laufenden Wettbewerb und damit ist man nach den strengen DFB-Statuten für das Finale disqualifiziert. Das ist erst sechs Wochen später, am 22. Juni.

Schon in der Halbzeit (1:0) diskutiert er mit Trainer Erich Rutemöller den Ausweg, den die Regeln weisen: bei Rot, das die zweite Gelbe aufhebt, würde er nur für einen bestimmten Zeitraum und nicht exklusiv für den Pokal gesperrt werden. Ein minder schweres Vergehen hätte ihm vielleicht eine Zwei-Wochen-Sperre in der Liga eingebracht, wo der FC keine Sorgen mehr hat. Im Finale wäre er gewiss wieder dabei gewesen. Fertig ist der Bubenstreich, der den Kicker an „Max und Moritz“ erinnert.

Erst aber müssen sie das Finale erreichen, „Otze“ selbst stellt mit seinem 2:0 nach 49 Minuten die Weichen – und so fragt er seinen Trainer in einer Unterbrechung, ob er sich jetzt eine Rote Karte einhandeln solle. Der bejaht, angeblich so: „Wenn Du nach Berlin willst, dann tu es, in Gottes Namen.“ Fortan bemüht er sich redlich um den roten Karton, „es existiert davon sogar ein witziges Youtube-Video“, weiß der Hauptdarsteller zu berichten.

Eine Schmierenkomödie wird zur Posse

Sechs Minuten vor Schluss ist die Gelegenheit da. Schiedsrichter Markus Merk pfeift ein Foul von „Otze“, das den um eine Torchance bringt. Scheinbar wütend drischt er den Ball weg und bekommt, was er will: Rot! Die Kölner überstehen die letzten Minuten auch ohne ihn, „Mucki“ Banach glückt gar noch das 3:0. Berlin, Berlin – nun fahren sie also hin. Mit Otze, oder?

Irrtum. Die Schmierenkomödie wird noch am selben Abend zur Posse, bloß weil jemand die Wahrheit sagt: Im ZDF-Interview mit Wolfram Esser gesteht Rutemöller auf die naheliegende Reporter-Frage, ob der Platzverweis etwa provoziert gewesen sei: „Otze hat mich gefragt, da habe ich gesagt: ‚Mach et‘“. Daraus werden in der Rückschau die berühmten Worte „Mach et, Otze“, die so nie gefallen sind, Rutemöller und Ordenewitz aber noch viele Jahre verfolgen. Denn nun sind sie dran.

Es hilft nichts, dass der Stürmer im ersten Moment noch leugnet: „Ich bringe mich doch nicht selbst um Punktprämien, mit mir ist der Gaul durchgegangen.“ Der DFB handelt umso gelassener, erst zehn Tage später landet der Fall vor dem Sportgericht, das in der Sache noch mehr zu tun bekommt. Denn in der Zwischenzeit spielt „Otze“ weiter in der Bundesliga und trägt mit einem Tor zum 3:0-Sieg gegen Kellerkind Uerdingen bei, das prompt Protest einlegt. In der berechtigten Annahme, dass ein Rotsünder möglichst zügig gesperrt gehört, egal in welchem Wettbewerb.

Der DFB aber will ein Exempel statuieren und kann die Steilvorlage, dass sich die Betrüger selbst entlarvt haben, gar nicht ignorieren. Er ermittelt wegen Unsportlichkeit und sperrt Ordenewitz am 17. Mai exklusiv für das Spiel, das er auf keinen Fall verpassen will: das Finale. In der Bundesliga wird er dagegen bis Saisonende viermal zum Einsatz kommen. In Köln reagieren sie heftig und legen Berufung ein. Im Geißbock-Echo ist zu lesen: „Das Urteil ist einer der großen Skandale in der Geschichte des deutschen Fußballs., … die alten Männer verdrehen das Recht… Leute, spart Euch künftig die Reisekosten nach Frankfurt. Ihr werdet ohnehin nur verarscht.“

Es kommt die Beteiligten teuer zu stehen

Dumm gelaufen also. Rutemöllers Ehrlichkeit hat einen hohen Preis. Für den Trainer beläuft er sich auf 5000 DM, „Otze“ muss 2000 an den Verband zahlen. Schädlicher ist jedoch der geballte Branchenspott. „Wenn ich schon so etwas mache, muss ich doch wenigstens die Schnauze halten“, sagt Trainerkollege Winfried Schäfer vom Karlsruher SC. „Rutemöller ist zu naiv für das Geschäft.“ Der eigene Sport-Direktor Udo Lattek schilt Rutemöller einen „Amateur“. Nach all den Jahren gesteht der Mann, der 1996 als Assistent von Berti Vogts Europameister wird, dass die Wunde nie ganz verheilt ist. 2020 sagt er gegenüber Dfb.de: „Ein bisschen ärgere ich mich immer noch im Stillen. Man hat mir danach Blauäugigkeit und Naivität vorgeworfen und da war ja auch was Wahres dran. Es ist halt so aus mir rausgesprudelt, ich wollte auch nicht lügen. Danach war die ganze Freude über den Finaleinzug weg.“

Bei „Otze“ sowieso und es ist natürlich auch kein Trost, dass der DFB seine Stauten 2002 ändert und künftig Sperren nur im jeweiligen Wettbewerb gelten. Auch nicht, dass er beim Finale als „Maskottchen“ dabei ist, zumal es gegen Ex-Klub Werder im Elfmeterschießen verloren wird. Dabei hat sich sein Trainer damals vorgenommen, ihm im Falle des Siegfalles eine Miniatur des Pokals zu schenken. Auch dieser Plan geht schief.

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Das Verhältnis zwischen Trainer und Spieler hat immerhin nie gelitten. Rutemöller: „Wer es am besten verkraftet hat, das war der ‚Otze‘, wir haben noch heute ein gutes Verhältnis. Er hat es mir nie übelgenommen.“ Der bestätigt das, „wer ihn kennt, kann ihm gar nichts Böses unterstellen.“ Erst neulich kam wieder ein Paket aus Köln, ein Geschenk für „Otzes“ Sohn, ein FC-Fan in Bremer Land.

In Köln lebt die Erinnerung an den Mai-Tag vor 30 Jahren noch. Ein Hobby-Team, ein Kegelclub und eine Facebook-Gruppe tragen mittlerweile den Namen „Mach et, Otze“. Und wäre Corona nicht, hätte es in der Domstadt auch eine „Mach et Otze-Party“ gegeben in diesem Mai, eingeladen waren Weggefährten aus Kölner und Bremer Zeiten – und natürlich Erich Rutemöller. Eine Location war schon avisiert. „Das holen wir nach“, verspricht Ordenewitz, dem wir zum Schluss noch eine Frage stellen müssen: Nach 30 Jahren, würden Sie es wieder machen, Otze? „Na sicher, da muss man einfach ehrlich sein.“  

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