„Schnell auf den Beinen und im Kopf“Spielberater Oliver Schlegl über Tolu Arokodare

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Der gebürtige Helmstedter lebt seit 2007 in der Hauptstadt Riga.

Oliver Schlegl ist ein Kenner des Fußballs im baltischen Raum. Vor seiner aktuellen Tätigkeit als Spielerberater war er Chef der ersten Liga Lettlands. Tobias Carspecken sprach mit ihm über den Wechsel des nigerianischen Mittelstürmers Tolu Arokodare (19) vom lettischen Erstligisten Valmiera FC zum Bundesligisten 1. FC Köln. Herr Schlegl, heimlich, still und leise hat der 1. FC Köln die Verpflichtung von Tolu Arokodare eingefädelt. Waren Sie überrascht? Oliver Schlegl: Ja und nein. Dass es für Tolu am Ende zum 1. FC Köln gehen würde, war nicht unbedingt abzusehen. Klar war aber, dass er in eine stärkere Liga wechseln wollte.

Wie viele Interessenten gab es?

Es gab mindestens zehn Vereine, die wirkliches Interesse an Tolu gezeigt haben. Am heißesten gehandelt wurde der RSC Anderlecht. Es gab aber auch eine Reihe anderer Vereine aus Frankreich, Tschechien und Polen. Und neben dem FC wohl auch noch andere deutsche Clubs. Mit 17 hat Tolu Probetrainings beim SC Freiburg und FC Toulouse absolviert, die ihn als minderjährigen Spieler aber nicht registrieren konnten.

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Anderlecht soll 1,5 Millionen Euro Ablöse geboten haben. Warum hat der Wechsel nach Belgien letztlich nicht geklappt? Tolu stand lange in Verhandlungen mit dem RSC Anderlecht. Sein Berater und er wollten diesen Transfer unbedingt forcieren. Allerdings hat Anderlecht die Ablöseförderungen nicht erfüllt. Valmiera wollte mindestens zwei Millionen Euro haben.

Arokodare geriet daraufhin in die Negativschlagzeilen. Sein französischer Berater hat Tolu nahegelegt, bei einem Punktspiel nicht mitzuspielen. Das hat hier hohe Wellen geschlagen. So etwas gab es im kleinen Lettland noch nicht: Ein Spieler, der sich trotz gültigen Vertrags weigert, bei einem Pflichtspiel aufzulaufen. Ein paar Tage später hat Tolu in der Qualifikation zur Europa League gegen Lech Posen wieder mitgespielt.

Wie haben Sie ihn als Menschen kennengelernt?

Ich habe Tolu mal auf lettischer Sprache begrüßt. Was mir sehr positiv aufgefallen ist: Er hat auf Lettisch geantwortet. Das ist sehr außergewöhnlich. Die meisten ausländischen Spieler, die hier spielen, lernen kein Lettisch. Lettland ist besonders für junge Afrikaner die erste europäische Station in ihrer Karriere, sie wollen das Land wieder verlassen. Tolu ist menschlich ein Stück reifer als gleichaltrige Afrikaner.

Was ist er für ein Spielertyp?

Er ist ein klassischer Neuner. Einer für den Strafraum, der mit 1,95 Metern Größe über eine enorme Physis verfügt. Er ist sehr kräftig gebaut, absolut nicht schlaksig. Zudem ist er schnell auf den Beinen und im Kopf. Das macht ihn zu einem Stürmer, der immer gefährlich ist, der immer auf seine Abschlusschance lauert und der schneller ist als Verteidiger.

Trauen Sie ihm zu, den Sprung in die Bundesliga zu packen?

Mittel- bis langfristig: ein klares Ja. Kurzfristig gesehen muss man abwarten, wie viel Zeit Tolu braucht, um sich in Deutschland zu akklimatisieren. Die Bundesliga verfügt über ein anderes Tempo, eine andere Intensität. Zu bedenken ist auch, dass das Umfeld in Köln ein ganz anderes ist. Medien finden im lettischen Fußball praktisch nicht statt. Hier gibt es nur eine Hand voll Journalisten, die über die erste Liga schreiben. Zudem hat Tolu in Valmiera selbst vor Corona vor nur einigen Hundert Leuten gespielt.

Besitzt Arokodare sogar die Qualität für eine ganz große Karriere?

Von seinen Anlagen her bringt er alles mit, um sich durchzusetzen. Wenn er sich in der Bundesliga zurechtfindet, ist ganz viel möglich. Tolu hat vor, irgendwann einmal in der Premier League zu spielen. Er erfüllt viele Voraussetzungen, um dieses Ziel erreichen zu können. Er hat keine Angst, ist durchsetzungs- und kopfballstark. Ein Spielertyp, der in England sehr beliebt ist.

Könnte Arokodares Wechsel nach Köln ein neues Geschäftsmodell in der lettischen Liga in Gang setzen?

Seit Ende 2019 müssen statt zuvor sechs nur noch drei lettische Spieler von jeder Mannschaft pro Spiel eingesetzt werden. Zudem gibt es keine Unterscheidung bei der Spielberechtigung zwischen EU-Ausländern und Nicht-EU-Ausländern. Agenten aus Afrika nutzen die lettische Liga für ihre jungen Spieler seither als erstes Schaufenster im europäischen Fußball. Für die lettischen Vereine ist das auf einmal ein richtig interessantes Geschäftsmodell.

Sie nehmen junge, afrikanische Spieler in großen Mengen auf, weil sie die Chance sehen, durch einen Weiterverkauf Ablösesummen zu generieren. Mit jungen Letten ist das nur ganz schwer möglich. Tolu ist für diese Geschäftsidee ein Aushängebeispiel. Er spielt ein gutes Jahr in Lettland, schießt viele Tore – und geht direkt in die Bundesliga. Das wird die Situation hier anheizen.

In der laufenden Saison der Virsliga hat Arokodare mit 15 Treffern in 16 Ligaspielen geglänzt. Wie ist das Niveau des lettischen Fußballs einzustufen?

Es gibt zwei Vereine, Riga FC und Rigas FS, die vorneweg marschieren und über deutsches Drittliga-Niveau verfügen. Die meisten Clubs sind eher in der Regionalliga anzusiedeln, die untersten Vereine wahrscheinlich nur in der fünften Liga. So ehrlich muss man sein.

Wie kann man sich den Ligabetrieb in Lettland vorstellen?

In den kleinen Städten hat der Fußball dörflichen Charakter. Deutsche Fans würden sich dort wie auf einer Bezirkssportanlage fühlen. Andere Vereine verfügen über Stadien.

Sie waren von 2017 bis 2018 Chef der Virsliga. Was waren Ihre Aufgaben?

Es ging darum, die Liga zu professionalisieren, gerade in den Bereichen Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Das lettische Staatsfernsehen hatte beispielsweise kein Interesse, Spiele zu zeigen. Man musste nach Spartensendern suchen, die für Geld die Spiele übertragen.

Warum üben Sie den Posten nicht mehr aus?

Ich musste mir eingestehen, dass die Vereine nicht dazu bereit waren, große Schritte in Richtung Professionalisierung zu gehen. Sie sind in ihren Möglichkeiten extrem eingeschränkt. Manche Clubs verfügen über einen Etat von nur 250.000 Euro. Zudem sind die finanziellen und daher auch die sportlichen Unterschiede innerhalb der Liga sehr groß.

Zur Person

Oliver Schlegl (52) ist als Spielerberater tätig. Zuvor leitete er von 2017 bis 2018 als Geschäftsführer die lettische Fußball-Liga. Der gebürtige Helmstedter lebt seit 2007 in der Hauptstadt Riga. Bevor sich Schlegl vor einigen Jahren beruflich komplett dem Fußball zuwandte, war er als Consultant und Berater in der Luftfahrt-Branche aktiv. (cto)

Es gibt hier Spieler, die für 500 Euro im Monat spielen, andere bekommen 10.000 Euro. Es fehlte auch die Manpower, um gewisse Dinge umzusetzen. Es ging nicht so voran, wie ich mir das vorgestellt habe. Das war ein Stück weit frustrierend.

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