FC-Trainer Baumgart im Interview„Köln ist leider keine moderne Stadt"

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Steffen Baumgart im Interview

  • Als Steffen Baumgart seinen Dienstwagen in die Tiefgarage an der Stolkgasse lenkt, wählt er Stellplatz Nummer 72. Jene Zahl, die längst zum Markenzeichen des Trainers von Fußball-Bundesligist 1. FC Köln geworden ist.
  • Auch beim Rundschau-Redaktionsgespräch präsentiert sich der 50-Jährige so, wie man ihn nach fast einem Jahr am Rhein kennt: laut, emotional und meinungsstark.

Köln – Herr Baumgart, inwieweit sind Sie im kölschen Lebensgefühl bereits aufgegangen? Ich fühle mich sehr wohl in Köln. Und das Lebensgefühl hier ist sehr gut. Das ist das Entscheidende.

Was gefällt Ihnen besonders?

Köln ist sehr offen, Köln ist sehr klar. Und Köln hat weniger Hemmungen als andere Städte. In Köln geht man offener auf andere Menschen zu. Die Wege sind überschaubar, auch wenn Köln eine Großstadt ist.

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Gibt es auch Dinge, an denen Sie sich stoßen?

Köln ist eine große Stadt. Köln ist eine schöne Stadt. Aber, und das sage ich ganz offen: Köln ist leider keine moderne Stadt. Köln hinkt in vielen Sachen hinterher. Und das nicht nur am Geißbockheim. Es gibt für mich sonst keine andere Großstadt mehr, in der der Straßenverkehr über Schranken geregelt wird. Da ist Köln 30 Jahre hinterher. Ein anderes Beispiel ist das Funknetz. Hier kannst du nicht vom Geißbockheim nach Hause fahren, ohne dass das Netz zweimal abbricht. Köln ist für mich eine – wenn auch nicht die einzige – Stadt, die lieber erklärt, was bei Projekten nicht geht anstatt zu machen. Deswegen lege ich den Finger gerne in die Wunde.

Wie könnte es beim stockenden Geißbockheim-Ausbau weitergehen? Bocklemünd und Marsdorf sind als Alternativen im Gespräch.

Das ist keine Frage des Standorts. Für den FC ist es wichtig, eine funktionierende Infrastruktur zu haben, um mit unseren Konkurrenten mithalten zu können. Wichtig ist zudem, eine Lösung zu finden, die uns möglichst schnell weiterbringt.

Sie haben den FC aus dem Keller zum frühzeitigen Klassenerhalt geführt. Wie nah dran ist der aktuelle Kölner Fußball an Ihrer Idealvorstellung?

Eine Idealvorstellung wird man im Fußball nie erreichen. Denn das, was wir jetzt gut machen, wird im nächsten Jahr schon nicht mehr reichen. Du musst gucken, dass du auf dem, was gut läuft, aufbaust. Du brauchst Kontinuität, die jedoch schwer zu erreichen ist. Unsere Art des Fußballs ist genau die, wie ich mir sie vorstelle. Wir spielen sehr offensiv und mutig.

Wie wird der FC in der Liga inzwischen wahrgenommen?

Als Mannschaft, die guten Fußball spielt. Die 90 Minuten Vollgas gibt, alles raushaut und nie abzuschreiben ist. Es gab in dieser Saison kein Spiel, in dem wir vom Gegner unterschätzt wurden. Das ist das größte Kompliment, das man bekommen kann.

Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?

Wir sind noch nicht am Ende, sondern können uns Schritt für Schritt weiter verbessern. Wichtig sind Kontinuität, Klarheit. Und: dem Fußball ein Gesicht zu geben. Das macht es auch leichter, Jungs trotz des Zustandes des Geißbockheims hierher zu bekommen. Wenn Mentalität, Einsatz- und Laufbereitschaft stimmen, kommt alles andere ganz von allein.

Die Mannschaft tritt wie verwandelt auf. Wie haben Sie das geschafft?

Ich bin zwar laut und fordere ein, aber ich meckere nicht. Ich halte niemanden für schlecht. Ich halte lediglich Dinge für verbesserungswürdig. Es geht nicht darum, alles richtig zu machen. Sondern weiterzumachen. An den Sachen zu arbeiten, die besser werden können. Mittlerweile glauben die Jungs an das, was sie machen. Wenn du als Team agierst – und damit meine ich nicht nur die erste Elf, sondern alle –, dann kannst du Dinge erreichen, die du vorher nicht erreicht hast.

Überrascht Sie das bisherige Abschneiden?

Dass wir um Platz sieben mitspielen, habe ich nicht erwartet. Aber ich war immer davon überzeugt, dass du mit unserer Mannschaft anderen Fußball spielen und mehr erreichen kannst als das, was vergangene Saison gelaufen ist. Das zeigt die Mannschaft im Moment auf beeindruckende Art und Weise.

Muss das Spielsystem weiterentwickelt werden, damit der FC seine Gegner auch künftig vor Probleme stellt?

Wenn wir die wichtigsten Attribute im Fußball auf den Platz bringen, werden wir auch im nächsten Jahr ein unangenehmer, ekliger Gegner sein. Verbessern können wir uns immer. In der Geschwindigkeit nach vorne, in der Stabilität nach hinten, im Aufbauspiel.

Sind Sie eigentlich darauf vorbereitet, dass es auch mal nicht so gut laufen könnte?

Negative Gedanken sind nicht meins. Warum sollten wir es nicht schaffen, auf unsere aktuell gute Saison eine weitere gute folgen zu lassen? Dafür gibt es keine Garantie. Aber Sie können sich sicher sein: Ich weiß, dass die Fallhöhe in Köln bei Misserfolg schmerzhaft sein kann.

Haben Sie am Pokal-Aus zu knabbern gehabt?

Ja, auch jetzt noch. Das ist ein Spiel, das tut mir weh. Aber zu den personellen Entscheidungen, die ich getroffen habe, stehe ich zu 100 Prozent. Wir sind nicht an den Wechseln gescheitert. Wir hatten genug Möglichkeiten, das Spiel zu entscheiden.

Sie können sich vorstellen, Ihren 2023 auslaufenden Vertrag zu verlängern. Welche weiteren Themen möchten Sie beim FC anstoßen?

Es gibt ganz viele Ansätze. Es ist zum Beispiel möglich, dem FC ein klareres Gesicht zu geben. Wir sollten eine Kultur in den Club bekommen, mit der über alles offen geredet werden kann.

Welche Perspektive ist Ihnen wichtig?

Wenn mein Vertrag verlängert werden sollte, geht es darum, dass wir das, was wir jetzt machen, fortführen. Das ist das Schwierige im Fußball. Fußball ist eher dünnes als dickes Eis.

Sind Sie ein Verfechter, dass ein Trainer länger in einem Club bleiben sollte?

Der Verein – und nicht der Trainer – muss vorgeben, wie Fußball gespielt werden soll. Der Club muss eine klare Philosophie haben. Es muss erkennbar sein, was der Verein will. Daher muss der Club erklären, warum der Trainer zu ihm passt. Und nicht umgekehrt.

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Ist es für Sie denkbar, einen unbefristeten Vertrag zu unterschreiben?

Einen Vertrag schließt man, damit alles klar geregelt ist. Unabhängig von der Länge und der Laufzeit. Wenn beiden Seiten Klarheit haben – auch im Falle einer Trennung –, spricht nichts dagegen.

Sind Sie ein Trainer, der den FC auch lieben kann?

Das wird sich entwickeln. Ich habe Paderborn lieben gelernt. Paderborn ist die bisher wichtigste Station in meiner Trainerkarriere – und wird für immer diesen Stellenwert haben. Hier singe ich inzwischen die FC-Hymne für mich mit. Nicht, weil ich damit etwas beweisen will. Sondern weil ich gerne singe und die FC-Hymne ein geiles Lied ist.

Torjäger Anthony Modeste hat erklärt, nicht mit einem auslaufenden Spielervertrag in die kommende Saison gehen zu wollen. Wie beurteilen Sie diese Aussage als Trainer?

Wir freuen uns über Tonys Entwicklung, die ist super. Wenn wir das gleiche Gespräch allerdings vor einem Dreivierteljahr geführt hätten, weiß ich nicht, wie die Antwort dann ausgefallen wäre. Jetzt tun alle so, als ob der FC ohne Tony nicht mehr kann. Doch, das kann er. Tony ist ein sehr wichtiger Spieler für uns und ein großer Faktor. Und das soll er auch bleiben. Ich möchte, dass Tony bleibt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass der Verein das Sagen haben und das Tempo vorgeben muss. Der FC hat sich in der Vergangenheit treiben lassen von Beratern, Spielern und gewissen Situationen. Das ist das Schlimmste, was dir passieren kann. Und es ist ja auch nicht so, dass es Tony schlecht geht. Tony hat in Köln einen Anschlussvertrag als Trainer über einen langen Zeitraum. Ich kenne viele, die diesen Vertrag gerne haben würden.

Auch Salih Özcans Vertrag läuft 2023 aus. Glauben Sie, dass er bleibt?

Das würde ich mir wünschen. In Deutschland gibt es nicht viele Vereine, die größer sind als wir. Warum sollten wir deshalb nicht auch mit dem FC eine erfolgreiche Ära einläuten können? Dafür wäre Salih ein wichtiger Faktor. Aktuell sind uns finanziell allerdings Grenzen gesetzt. Im Hintergrund wird aber fieberhaft daran gearbeitet, damit wir das hinkriegen. Allerdings stehen wir auch bei dieser Personalie vor der Frage: Wenn wir ein unmoralisches Angebot bekommen würden, müssten wir darüber nachdenken.

Wo kann nachgelegt werden?

Wir sind sehr gut aufgestellt. Trotzdem würde sich der Trainer freuen, den einen oder anderen Spieler zu haben, der ein Eins-gegen-Eins noch besser auflösen kann und der eine noch höhere Geschwindigkeit mitbringt.

Es heißt, der FC habe neue Spieler schon verpflichtet.

Wir sind mit vielen ganz weit (schmunzelt). Aber belassen wir es mal bei den Gerüchten.

Wirkt sich die mögliche Europapokal-Qualifikation auf die Kaderplanung aus?

Im Moment nicht. Was man aber spürt, ist, dass wir in Gesprächen mit potenziellen Neuzugängen über eine klare Fußball-Philosophie sprechen können, für die wir stehen.

Wie realistisch ist Europa?

Wir werden nicht die Handbremse anziehen, auf keinen Fall. Und Träumen ist nicht verboten – und ich verstecke mich auch nicht davor. Nur: Dafür musst du Spiele gewinnen. Wir werden versuchen, noch so viele Punkte wie möglich zu holen. Und dann schauen wir mal, was dabei herauskommt.

Am Freitag steigt der neue Sportchef Christian Keller ein. Wie stellen Sie sich die künftige Zusammenarbeit vor?

Sehr offen, sehr klar, erfolgsorientiert. Ich freue mich drauf.

Der langjährige Finanzchef Alexander Wehrle hat den Verein dagegen verlassen.

Alex Wehrle hinterlässt eine Lücke. Aber wir haben mit Philipp Türoff jemanden, der diese Lücke füllen wird. Anders, aber bestimmt nicht schlechter. Ich habe im Fußball gelernt: Jeder, der geht, kann auch ersetzt werden.

Das Gespräch führten Martin Sauerborn, Tobias Carspecken, Jens Meifert und Daniel Taab  

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