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Florian Wirtz verlässt den 1. FC KölnAuch wirtschaftlich extrem ärgerlich

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Florian Wirtz

Köln – Am Mittwoch ergriff Rudi Völler das Wort. Die bevorstehende Verpflichtung von Florian Wirtz hat in dieser Woche für solch heftige Diskussionen gesorgt, dass der Sportvorstand von Bayer 04 Leverkusen sich genötigt sah, das Vorgehen seines Clubs via einer Kolumne im Fachmagazin „kicker“ zu erläutern und zu verteidigen: „Der Spieler war überraschenderweise auf den Markt und wechselwillig. Es wäre grob fahrlässig gewesen, nicht in die Verhandlungen einzusteigen.“ Rücksicht auf das „seit vielen Jahren gute Verhältnis zum 1. FC Köln“, hätte Bayer nicht nehmen können: „Wirtz stand bei vielen Top-Clubs aus dem In- und Ausland auf dem Wunschzettel“, rechtfertigte Völler das Außerachtlassen des „Agreements“ mit dem FC. Anfang dieser Woche war bekannt geworden, dass der 16-Jährige aus Brauweiler als eines der größten deutsche Talente im Sommer die Rheinseite wechseln wird.

Brandt und Havertz als Vorbild

Über die Gründe darf spekuliert werden, die meisten liegen aber auf der Hand. Neben der größeren sportlichen Perspektive bei einem Champions League-Teilnehmer hatte Bayer 04 auch alle anderen Argumente auf seiner Seite. Die räumliche Nähe zu Wirtz` Heimatort, die Erfahrung aus Talenten wie Julian Brandt oder Kai Havertz Nationalspieler geformt zu haben und die finanziellen Möglichkeiten. Wirtz, der bei Bayer direkt einen Profivertrag erhält, wird wohl jenseits der 25.000 Euro pro Monat verdienen. Der FC hat sich in seinem Bemühen Wirtz zu halten sicher zur Decke gestreckt, solche Summen kann er aber nicht bezahlen.

Rheinland-Abkommen

Der Westen der Fußball-Republik ist eine Insel. Nicht wenige Clubs im restlichen Deutschland schauen neidisch auf das Rheinland und das Agreement, das der 1. FC Köln, Borussia Mönchengladbach und Bayer 04 Leverkusen miteinander haben. Ein Abkommen, das besagt, dass sich die drei Clubs im Nachwuchsbereich Spieler nicht gegenseitig abspenstig machen. Die stillschweigende Vereinbarung, für die es keine rechtliche Grundlage gibt, schlossen die drei  Clubs auf Vorstandsebene im Jahr 2001, nachdem der 12-jährige Marco Quotschalla von Leverkusen zum FC gewechselt war und eine Reihe von FC-Talenten den Weg andersherum gegangen waren. Bis jetzt habe sich alle an das Abkommen gehalten.  Im Fall von Florian Wirtz argumentiert Bayer 04, dass der 16-Jährige mit einem Profivertrag ausgestattet wird und auch bei den Profis spielen soll. Es handle sich demnach nicht um einen Nachwuchsspieler. Zudem läuft Wirtz Vertrag im Sommer aus und der Spieler sein „wechselwillig“ gewesen. Der FC diskutiert die Vorgehensweise des rheinischen Nachbarn kontrovers, möchte aber wohl gerne an dem Agreement festhalten. Verständlich, denn sonst würden die finanziell potenteren Leverkusener und Gladbacher noch mehr Talente einfach so wegschnappen können. (sam)   

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Der öffentlich heftig diskutierte und aus Sicht der Kölner sportlich wie wirtschaftlich extrem ärgerliche Transfer ist und bleibt aber noch aus anderen Gründen einzigartig. So speziell, wie Florian Wirtz Fußball spielt. Mit einem außerordentlichen Spielverständnis und dem Blick für Räume, die sonst keiner sieht. In der U8 kam Wirtz zum FC. Ein Probetraining war nicht nötig. Es war sofort zu sehen, welche Fähigkeiten der Junge aus Brauweiler mitbrachte. Der offensive Mittelfeldspieler übertraf alle Erwartungen und landete in den Notizbüchern der Topclubs. Wohl auch ein Grund für die Familie Wirtz das erste mögliche Vertragsangebot des FC bei Eintritt in die U16 abzublocken. Üblich ist eine Laufzeit von drei plus ein nachverhandelbares Jahr, um den Nachwuchsspieler bis zum Seniorenalter an den Club zu binden. Die Familie aber beharrte auf nur zwei Jahren und ließ damit bereits erahnen, dass sie die sportliche Zukunft ihres Sohnes eher außerhalb des Geißbockheims sahen. Es passt ins Bild, dass Florian Wirtz sich auf Einladung die Gegebenheiten bei Bayern München, Borussia Dortmund und der TSG Hoffenheim angeschaut haben soll. Auch Jürgen Klopps FC Liverpool klopfte an seine Tür.

Wirtz' Schwestern schon mit Bayer verbunden

Das Rennen aber hat Leverkusen gemacht. Wie damals bei Kai Havertz, den Wirtz nun beerben könnte. Havertz stand vor einem Wechsel von Aachen nach Köln, wurde dann aber um ein Jahr vertröstet. Leverkusen sprang in die Lücke und sicherte sich 2010 die Dienste des Jahrhunderttalents mit einem aktuellen Marktwert von 90 Millionen Euro.

Auch im Werben um Wirtz zog Bayer 04 alle Register und knüpfte geschickt ein zielführendes Netzwerk. So lotste Leverkusen Florians ältere Schwester Juliane vom FC in den eigenen Bundesliga-Kader. Eine weitere Schwester soll laut „Geissblog“ ihre Masterarbeit für die Sporthochschule Köln bei Bayer schreiben. Die Kölner hatten auch aufgrund der Nähe der Familie Wirtz zu Bayer 04 keine Chance. Der wirtschaftliche Schaden für den FC ist groß. Für einen Spieler, dem Experten einen Marktwert in zweistelliger Millionenhöhe voraussagen, bekommen sie im Sommer lediglich eine festgelegte Ausbildungsentschädigung von gut 50.000 Euro. Möglicherweise wechselt der deutsche U17-Meister von 2019 deshalb auch noch in dieser Woche. Dann erhalten die Kölner wenigstens noch eine geringe Ablösesumme.

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Von Wirtz Transfer nun sofort auf den schwierigen Verbleib anderer Talente wie Philipp Wydra oder Justin Diehl zu schließen, führt allerdings zu weit. Das zeigt das Beispiel Noah Katterbach, dessen Familie dem FC sehr verbunden ist. Der hochveranlagte Linksverteidiger steht trotz seines Durchbruchs in der Bundesliga wohl vor einer Verlängerung seines Vertrages mit den Kölnern zu deutlich verbesserten Konditionen auch aus Liebe zum Geißbock-Club.

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