Interview mit FC-Geschäftsführer Heldt„Wir sind seit einem Jahr im Krisenmodus“

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Die Arbeit beim 1. FC Köln produziert die unterschiedlichsten Stimmungslagen – auch bei Geschäftsführer Horst Heldt. 

  • Für Horst Heldt (51) ist Kontinuität nicht nur ein geflügeltes Wort.
  • Im Gespräch mit Tobias Carspecken und Martin Sauerborn erklärt der Sport-Geschäftsführer des 1. FC Köln, warum er an Trainer Markus Gisdol und den Klassenerhalt glaubt.

Herr Heldt, Sie sind im November 2019 in einer sportlich schwierigen Situation zum 1. FC Köln gekommen. Dann brach noch die Corona-Pandemie aus. Wo steht der Club im März 2021 nach alldem, was passiert ist? Das ist eine interessante Frage. Wir sind seit einem Jahr im Krisenmodus. Das Leben, das wir alle gewohnt waren, ist komplett ausgehebelt worden. Das betrifft auch große Bereiche des Fußballs. Der Club schlägt sich wacker, hat aber wie viele andere mit der Krise zu kämpfen. Wir tun alles dafür, um finanziell wie sportlich durch diese Krise zu kommen. Wenn man sich über einen so langen Zeitraum im Krisenmanagement befindet, ist es schwierig, über Weiterentwicklung nachzudenken. Eine Bewertung, wo der Club steht, hält aktuell deshalb weder in die eine noch in die andere Richtung Stand.

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Gibt es ein spezielles Problem, das der FC in dieser Krise hat?

Dieser Club ist etwas Besonderes. Er erfährt seit Jahr und Tag eine unbändige Unterstützung. Das zeichnet den FC aus. Die Nähe zwischen Verein und Fans ist bei uns größer als bei anderen Clubs. Die Corona-bedingte Entfremdung macht uns folglich mehr zu schaffen als anderen Vereinen.

Man hat jedoch nicht immer das Gefühl, dass der FC ob seiner Aufgeregtheit als Gemeinschaft funktioniert.

Natürlich hilft es, wenn wir in vielen Bereichen Ruhe haben. Das ist aber nicht einfach. Dieser Club ist auch deshalb besonders, weil so viele Menschen mit einer berechtigten eigenen Meinung für eine Idee, für einen Grundsatz kämpfen. Es ist die Kunst, das alles unter einen Hut zu bekommen. Das gelingt uns mal besser und mal schlechter. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen.

Wir fragen auch deshalb, weil Sie sich am Tag nach dem verlorenen Heimspiel gegen den VfB Stuttgart etwas von der Seele geredet haben. Was war Ihre Intention? Oder ist das an dem Tag so aus Ihnen herausgebrochen?

Jeder ordnet Aussagen in einer Mixed Zone anders ein. Das ist das gute Recht von jedem. Dass danach von einer Medienschelte die Rede war und über eine falsche Erwartungshaltung von Fans und Medien gesprochen wurde, war interessant. Aus meiner Sicht war das nicht der Fall. Ich war mit Teilen der Medien anderer Meinung und habe das auch zum Ausdruck gebracht. Mit der ersten Frage wusste ich schon gleich, in welche Richtung das Gespräch gelenkt und was herausgekitzelt werden sollte. Mit dieser Richtung war ich nicht einverstanden.

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Wie stehen Sie denn zu der defensiven Ausrichtung in Heimspielen gegen Gegner auf Augenhöhe?

Ich als früherer Offensivspieler würde auch am liebsten in jedem Spiel Offensivspektakel erleben. Es geht aber nicht darum, was wir uns alle wünschen. Wichtig ist, sich realistisch einzuordnen. Das heißt, sich die Frage zu stellen, wozu man in der Lage ist. In der Situation, in der wir uns befinden, geht es in erster Linie um Ergebnisse. Es geht darum, über dem Strich zu bleiben. Schönspielerei ist da nur ein netter Nebeneffekt. Wenn das wie gegen Stuttgart mit der Idee verbunden ist, den Gegner nicht hoch anzupressen, um gegen die schnellen VfB-Spieler nicht in eine Falle zu laufen, ist das im Vorfeld die aus meiner Sicht richtige Strategie. Ob sie dann auch aufgeht, weiß man immer erst im Nachhinein.

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Warum wurde dann gegen Augsburg, Hertha BSC und Stuttgart immer der gleiche Ansatz gewählt, wenn er nicht zum Erfolg geführt hat?

Das hängt immer auch mit den eigenen Möglichkeiten, dem eigenen Kader, zusammen. Es geht darum, für sich zu klären, welche Herangehensweise in der jeweiligen Situation – ausgerichtet auf den Gegner – die beste ist. Ich glaube, dass das Trainerteam das am besten bewerten kann, weil es am nächsten dran ist. Im Nachgang haben diese drei Spiele nicht die Ergebnisse gebracht, die wir uns gewünscht haben. Es gab in der Vergangenheit sicherlich Spiele, bei denen wir eine falsche Entscheidung getroffen haben. Das passiert anderen aber auch.

Markus Gisdol sieht sich immer wieder Kritik ausgesetzt. Haben Sie einen Trainer schon mal vehementer verteidigen müssen?

Es geht nicht um Verteidigung. Es geht auch nicht darum, ob der Trainer mein Nachbar ist oder ob ich mich gut mit ihm verstehe. Es geht darum, Entscheidungen zu treffen, damit wir in der Liga bleiben. Ich stehe in der Verantwortung, meine eigene Analyse zu betreiben und mich dabei im Positiven wie im Negativen nicht leiten zu lassen. Ein 0:5 in Freiburg ist nicht automatisch ein Trennungsgrund. Und ein Derbysieg in Mönchengladbach ist nicht automatisch ein Grund für eine Vertragsverlängerung. Manchmal habe ich jedoch das Gefühl, dass wir uns in Köln genau zwischen diesen beiden Befindlichkeiten bewegen. So funktioniert es aber nicht. Diese Schwarz-Weiß-Diskussion ist vielleicht ein Unterschied zu anderen Standorten.

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Warum ist Markus Gisdol der richtige Trainer für den FC?

Das Trainerteam ist wie ich unter nicht einfachen Voraussetzungen hierhergekommen. Dafür braucht es kein Denkmal, aber es ist auch keine Selbstverständlichkeit. Was ich unseren Trainern hoch anrechne, ist, dass sie die Gegebenheiten akzeptieren. Der Krisenmodus hat schließlich auch Auswirkungen auf ihren Bereich. Diese Loyalität gegenüber dem Club ist für meine Bewertung sehr wichtig. Ich bin überzeugt davon, dass wir mit diesem Trainerteam die Liga halten werden. Das wird aber nicht am 29. Spieltag erledigt sein. Deshalb werden wir weiterhin Ausdauer und Kampfeswillen brauchen, um das zu schaffen.

Was macht Ihnen Mut, dass der FC die Klasse halten wird?

Dass wir in der Lage sind, es aus eigener Kraft zu schaffen. Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht abhängig von anderen Ergebnissen.

Wie viele Punkte wird es denn brauchen?

Das ist wirklich schwierig zu sagen. Es passieren so viele Dinge, die man nicht beeinflussen kann und die einem bei einer Hochrechnung einen Strich durch die Rechnung machen. Deshalb lasse ich mich auf diese Gedankenspiele lieber nicht ein.

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Es ist ungewiss, in welcher Liga der FC in der kommenden Saison spielen wird. Wie können Sie aktuell überhaupt planen?

Das ist nicht so einfach, weil es neben der Ligazugehörigkeit viele Fragen gibt, für deren Beantwortung wir uns gedulden müssen. Wird der Transfermarkt gleich schwierig sein wie im vergangenen Sommer? Ab wann werden wieder Stadionzuschauer erlaubt sein? Diese Punkte haben Auswirkungen auf unser Handeln. Das, was uns aber hilft, sind die jeweiligen Verträge, durch die sich ein Bild erstellen lässt, wie die Mannschaft in der Ersten und wie in der Zweiten Liga aussehen würde. Für alle offenen Fragen braucht es Gelassenheit. Damit umzugehen, ist die große Herausforderung.

Der FC rechnet durch die Coronakrise mit mindestens 40 Millionen Euro Umsatzeinbußen. Wird der Club im Sommer dazu gezwungen sein, Leistungsträger zu verkaufen?

Wir sind nicht unter Druck, Spieler verkaufen zu müssen, um wirtschaftlich zu überleben. Trotzdem werden wir ergebnisoffen in die Sommer-Transferperiode gehen. Sollten mögliche Interessenten an uns herantreten, gehört es zu unserer Verantwortung, sich damit auseinanderzusetzen. Aktuell gibt es dafür aber keine Anzeichen und Gespräche.

Die Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Vorstand war zu Beginn schwierig. Wie stellt sich das Miteinander inzwischen dar?

Es ist eine gute, intensive Zusammenarbeit, die von der Coronakrise geprägt ist. Bei einer Zusammenarbeit ist es immer wichtig, dass man sich einbringt, Meinungen austauscht und Sachen gegenseitig überprüft und hinterfragt. Das tun wir auf eine sehr kollegiale Art – auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind. Wichtig ist immer das große Ganze.

Sehen Sie Ihre Zukunft weiterhin beim FC?

Der 1. FC Köln ist für mich ein besonderer Club, schließlich habe ich hier meine Karriere als Spieler begonnen. Es macht aus meiner Sicht aber keinen Sinn, Spekulationen, die mich oder meinen Geschäftsführerkollegen Alexander Wehrle betreffen, zu kommentieren. Der Fokus liegt bis Mitte Mai darauf, unser ganzes Herzblut in das Ziel Klassenerhalt zu investieren.

Koppeln Sie Ihre Zukunft in Köln an den Klassenerhalt?

Ich habe einen Vertrag, der ligaunabhängig ist. Aber ich richte ja nicht über mich selbst. Der Blick in die Glaskugel ist nicht sinnhaft.

Winter-Leihgabe Emmanuel Dennis vom FC Brügge hat in seinen ersten Spielen die Hoffnung geschürt, die Sturmproblematik beheben zu können. Zuletzt ist er aber in ein Loch gefallen. Wie beurteilen Sie seine bisherigen Leistungen?

Ich finde, dass er richtig gute Ansätze hat. Die jüngsten Auftritte haben aber auch gezeigt, dass sein Spiel noch mit Fehlern behaftet ist. Es ist eben etwas Besonderes, in einer der vier Topligen zu spielen. Die Bundesliga ist eine Herausforderung. Der Fußball in Deutschland ist ein anderer als in Belgien.

Wo muss sich Dennis konkret steigern?

Er muss klarer in seinen Aktionen werden, den Ball schneller spielen, weniger risikoreich agieren. Dann kommen seine Qualitäten zum Tragen. Es braucht jetzt den nächsten Schritt. Dabei begleiten und unterstützen wir ihn, er muss aber auch seinen Teil dazu beitragen. Gleichzeitig muss er hier ankommen. Dafür muss er neben dem Platz genauso viel investieren wie auf dem Platz. Ich bin mir aber sicher, dass er seinen Beitrag dazu leisten wird, dass wir in der Liga bleiben.

Ist es möglich, den Schalter im Kopf so schnell umzulegen, um den Abstiegskampf mit all seinen Eigenschaften anzunehmen?

Möglich ist das natürlich, aber auch herausfordernd. Man drückt da ja nicht wie bei einer Maschine auf den Knopf, ölt sie ein bisschen und dann funktioniert sie. Es geht um Menschen, bei denen jeder sich in Geduld üben muss, auch wenn die Zeit drängt.

Muss ein Winter-Transfer nicht sofort funktionieren?

Bei jedem Spieler, den man holt, ist der Wunsch da, dass er sofort funktioniert. Es ist aber nicht selbstverständlich. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich bin ein großer Fan des spanischen Vereins Eibar. Es gibt da eine Serie, in der sechs Personen unterschiedlicher spanischer Vereine begleitet werden, darunter die Präsidentin von Eibar (Amaia Gorostiza, d. Red.). Als sie einen 20-jährigen Winterzugang aus dem Ausland begrüßte, hat sie etwas sehr Bemerkenswertes gesagt: Dass es unfassbar sei, dass Spieler in so jungen Jahren bereits den Mut haben, ins Ausland zu wechseln, ihr Leben und ihr gewohntes Umfeld zu verändern und solch eine große Verantwortung auf sich zu nehmen. Dabei hat sie den Spieler nicht auf das reduziert, was er verdient, sondern ihn als Menschen betrachtet. Da bin ich zu 100 Prozent bei ihr.

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