Vorstand des 1. FC Köln im Interview„Wir erleben nach Nizza traumatisierte Fans“

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Präsident Werner Wolf (r.) und Stellvertreter  Eckhard Sauren (l.) und Carsten Wettich 

Köln – Der Vorstand des 1. FC Köln um Präsident Werner Wolf sowie die Vizepräsidenten Carsten Wettich und Eckhard Sauren stellt sich auf der ordentlichen Mitgliederversammlung 2022 am Dienstag zur Wiederwahl. Vorab beantwortete das Trio die Fragen von Martin Sauerborn und Tobias Carspecken.

Die schlimmen Vorfälle von Nizza sind noch immer allgegenwärtig. Wie weit ist der 1. FC Köln mit der Aufarbeitung dieses Gewaltexzesses?

Wolf: Bei der Polizei und bei uns ist umfangreiches Datenmaterial eingegangen, das ausgewertet wird. Das ist in erster Linie Aufgabe der Polizei. Wir unterstützen hierbei. Hierzu gab es bereits ein erstes Treffen mit dem Polizeipräsidenten. Erfahrungsgemäß dauert es bei solchen grenzüberschreitenden Sachverhalten allerdings einige Zeit, bis uns von der Staatsanwaltschaft beziehungsweise Polizei erste Ergebnisse mitgeteilt werden können. Wir werden hierzu mit der Polizei im Austausch bleiben. Sobald wir diese Informationen haben, werden wir auf der zivilrechtlichen Ebene, die wir selbst beeinflussen können, konsequent mit Stadionverboten für Köln reagieren und Dauerkarten sowie Clubmitgliedschaften entziehen, wenn es sich um Mitglieder handelt. Für bundesweite Stadionverbote ist dann wiederum der DFB zuständig.

Alles zum Thema Steffen Baumgart

Sie haben seit dem 8. September viele Gespräche mit FC-Fans geführt, die in Nizza angegriffen wurden. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Wolf: Wir erleben eine Menge traumatisierter Menschen, die nicht damit gerechnet haben, dass so etwas passiert. Sie haben es dann sehr nah erlebt und Angst um sich und ihre Freunde gehabt. Wir haben erst hinterher erfahren, dass die Bedrohungen und Angriffe von gewaltbereiten Personen aus dem Umfeld von OGC Nizza schon am Mittwochabend begonnen hatten, am Donnerstag dann massiv waren und sich bis Freitag fortgesetzt haben.

Rein physische Versammlung

13 Tagesordnungspunkte umfasst das Programm, wenn der 1. FC Köln am Dienstag zur ordentlichen Mitgliederversammlung 2022 zusammenkommt. Beginn in der Lanxess Arena ist um 18 Uhr, der Einlass erfolgt ab 16 Uhr. Die Versammlung findet erstmals seit 2019 wieder in rein physischer Form statt. Erwartet werden bis zu 2500 Mitglieder. Im Mittelpunkt steht die Wahl des Vorstandes, der seit 2019 im Amt ist. Der Mitgliederrat hat das amtierende Vorstandsteam zur Wiederwahl vorgeschlagen. Zudem fassen die neuen Geschäftsführer Philipp Türoff und Christian Keller das Geschäftsjahr 2021/22 aus wirtschaftlicher und sportlicher Sicht zusammen. (tca)

Wettich: Das perfide war, dass sich die Gewalttäter aus Nizza außerhalb des Stadions kleine Gruppen von FC-Fans herausgegriffen haben, sie angegriffen und teilweise ausgeraubt haben. Der Großteil der Kölner war schon im Stadion, als die Übergriffe auf die Nachzügler losgingen. Es wird schwer, diese Taten aufzuklären, da es hier wenig Bildmaterial gibt und die Angreifer vermummt waren. Wir werden die Betroffenen aber emotional und bei der strafrechtlichen Verfolgung unterstützen. Das war auch Teil des Gesprächs mit dem Polizeipräsidenten.

Hätte der FC die Vorfälle voraussehen können und seine Fans vorwarnen müssen?

Wettich: Man kann immer Dinge verbessern, und wir werden den Tag selbst noch in Ruhe nachbereiten. Stand heute hätten wir aber auch in der Nachbetrachtung hätten nicht viel anders machen können. Wir haben im Vorfeld und dann auch noch einmal in der Sicherheitsbesprechung vor dem Spiel darauf hingewiesen, dass 8000 Kölner kommen, wo sie sich treffen, wo sie langgehen, wie sie anreisen und wo die neuralgischen Punkte liegen – auch auf die Situation der Gästeanreise sowie auf die Stelle im Stadion, bei der es keine bauliche Abtrennung des Gästebereichs gab und von der aus der Angriff aus dem Gästeblock losging. Wir sind davon ausgegangen, dass unsere Bedenken und Anmerkungen zu Organisation und Sicherheit berücksichtigt werden. Dass das nicht passiert ist, haben wir letztlich erst gesehen, als wir und unsere Mitarbeiter selbst am Stadion angekommen sind.

Bis zum Stadion verlief alles weitgehend friedlich und fröhlich. Warum dann am Stadion nicht mehr?

Wettich: Weil beim Fanmarsch Polizei zugegen war. Wir haben damit gerechnet, dass die Polizei auch am und im Stadion ist. Wäre es so gewesen, wäre es nicht zu diesen Ausschreitungen gekommen.

Wolf: Ich erwarte von einer Stadt, die mit 2,6 Millionen Besuchern pro Jahr zu den meist besuchten Europas gehört, dass sie mit so etwas umgehen kann und zum Beispiel über ein Sicherheits- und Müllkonzept verfügt. Für den Transport der Fans waren Shuttle-Busse und die Straßenbahnen vorgesehen. Das hat nicht funktioniert. Es war auch nicht geplant, dass die Fans bis zum Stadion marschieren. Die Organisation hat aber an vielen Stellen nicht funktioniert. Das ging direkt zu Beginn los. Der Treffpunkt und der Weg für den Fanmarsch waren mit der französischen Polizei abgesprochen - und dann versperrt die Polizei direkt zu Beginn den Weg und erklärt, dass es woanders lang gehen soll. Dadurch kam es an einer engen Stelle zu einer gefährlichen Situation. Das konnten wir durch Ansprache der Polizei und durch ein umsichtiges Verhalten unserer Fans zum Glück noch verhindern.

Mit welchen Strafen rechnet der FC?

Wettich: Mit einer Geldstrafe in jedem Fall, alles darüber hinaus wäre Spekulation.

Die Wilde Horde hat sich beim Heimspiel gegen Union Berlin mit den in Nizza beteiligten „Supras Vauteuil“ solidarisiert. Wie stehen Sie zu dieser umstrittenen Aktion?

Wolf: Das Banner haben viele als Provokation empfunden. Mich macht es betroffen, weil so ein Banner völlig unnötig Öl ins Feuer gießt.

Sie stehen im Dialog mit den FC-Fans – auch mit den Gruppierungen aus der Südkurve. Wie gedenkt der Vorstand mit Hilfe dieses Dialogs Gewalt künftig ausschließen zu können?

Wolf: Unser Fandialog ist einer der besten in Deutschland. Wir führen offene Diskussionen zu allen Themen. Die Fanszene ist dabei nur ein Teil. Dem Dialog gehören auch Faninstitutionen, Familienfanclubs, nicht-organisierte Fans oder Vertreter bestimmter Interessengruppen an. Zum Thema Nizza wird es zeitnah eine außerordentliche Sitzung des Fandialogs geben. Zum Thema Gewalt haben wir uns klar positioniert.

Wettich: Die Vorfälle in Nizza haben uns sehr betroffen gemacht. Ich stand daneben und habe gesehen, wie Menschen wild aufeinanderprügeln und ein Mann von der Tribüne stürzt. Wir müssen alles dafür tun, damit es nicht irgendwann einen Toten gibt. Es braucht in der Kurve eine klare Distanzierung von Gewalttätern, die wir als Club vorleben und mit Stadionverboten umsetzen müssen. Es geht darum, in Zusammenarbeit mit der Polizei möglichst viele Täter zu identifizieren. Es geht aber auch darum, mit Politik, mit sozialpädagogischem Fanprojekt und weiteren Institutionen das Thema inhaltlich anzugehen. Denn letztlich ist das Stadion ein Spiegelbild der Gesellschaft. Was uns aber auch wichtig ist: Ich bin mir sicher, dass so etwa in Köln nicht passiert wäre und auch nicht passieren würde. Beim FC ist der Stadionbesuch weiterhin sicher, gerade auch für Familien.

Wolf: Die Sicherheitskonzepte in Köln stimmen. Aber wir bekommen es alleine nicht gelöst und wollen in den Dialog gehen, um Maßnahmen zu finden.

Wären personalisierte Tickets ein geeigneter Baustein dieser Maßnahmen?

Wettich: Personalisierte Tickets haben noch nie irgendetwas verhindert. Sie bringen in der Sache wenig. Faktisch sind im Übrigen bereits jetzt schon alle Tickets personalisiert, da infolge der digitalen Tickets jedes Ticket mit den Daten des Käufers verknüpft sind.

Es wird auch immer wieder von einem Selbstreinigungsprozess innerhalb der Kurve gesprochen und von mehr Zivilcourage.

Wettich: In der Kurve gibt es sehr unterschiedliche Gruppierungen. Da stößt Selbstreinigung an ihre Grenzen. Und Zivilcourage ist natürlich wichtig. Die Fans sollten ihren Unmut wie in Nizza zum Ausdruck bringen. Ich würde aber jedem davon abraten, sich gewaltbereiten Menschen in den Weg zu stellen. Das hat Steffen Baumgart ja zutreffend geschildert.

Vor den Vorfällen in Nizza war Ihre Arbeit von der wirtschaftlichen Stabilisierung des FC geprägt. Wie weit ist die Gesundung des Clubs vorangeschritten?

Sauren: Wir haben eine sehr gute Chance, das bis zum 30. Juni 2023 laufende Geschäftsjahr mit einem positiven Ergebnis abzuschließen. Aber: Der Berg, den wir aus der Historie aufarbeiten müssen, ist groß. Deshalb wird es noch zwei, drei Jahre dauern, in denen wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen. Gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Geschäftsführung, den Mitarbeitern und den Gremien ist es, eine gute wirtschaftliche Basis zu schaffen, von der aus wir etwas entwickeln können.

Welche Rolle spielen die im Sommer 2023 auslaufenden Großverträge?

Sauren: Das hilft uns, keine Frage. Wir haben die Kaderkosten bereits aktuell extrem reduziert und sind bei den Einsparungen jetzt bei einem achtstelligen Betrag angekommen. Das ist enorm viel. Daran sieht man, dass der Weg sehr konsequent gegangen wird.

Wird der FC auch in Zukunft Verkäufe tätigen müssen?

Sauren: Wenn wir uns wirtschaftlich gut stabilisiert haben, werden wir in der Lage sein, auf Spielerverkäufe zu verzichten. Dann besteht keine Notwendigkeit mehr, weil wir aus einer Position der Stärke heraus agieren können. Sollten Topangebote reinkommen, werden wir uns auch in Zukunft mit ihnen auseinandersetzen.

Wie schwierig ist der Spagat zwischen notwendigen Einsparungen und sportlicher Wettbewerbsfähigkeit?

Sauren: Die Feuerprobe ist mitten im Gange. Trotz Einsparungen ist es uns mit einer geschickten Transferpolitik gelungen, eine wettbewerbsfähige Mannschaft auf die Beine zu stellen, die zugleich entwicklungsfähig ist, um Werte schaffen zu können. Die Zusammenarbeit zwischen Vorstand, Geschäftsführung und dem Trainerteam funktioniert hervorragend. Dieses Miteinander ist ein wesentlicher Eckpfeiler des aktuellen Erfolgs.

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Ist der FC aus dem Gröbsten heraus?

Sauren: Wenn mit dem Gröbsten gemeint ist, dass wir gegen eine Insolvenz angekämpft haben, dann: ja. Wir sehen nicht nur Licht am Ende des Tunnels, sondern wissen auch, dass da kein Zug ist, der uns entgegenkommt. Allerdings haben wir Mezzanine-Kapital und mit einer Landesbürgschaft abgesicherte Darlehen aufgenommen sowie einen Vorgriff auf zukünftige Einnahmen getätigt. Das muss abgearbeitet werden.

Wie groß ist das sportliche Risiko?

Sauren: Es sind kalkulierte Risiken, die wir in Absprache mit dem Trainerteam bewusst eingehen. Das ist Teil der Strategie. Steffen Baumgart sagt zurecht, dass das Kollektiv entscheidend ist. Und das Kollektiv hat schon sehr viel Stärke bewiesen.

Wettich: Wir haben aktuell Ruhe im Club und damit eine Atmosphäre, in der sich Spieler gut entwickeln können.

Wie ist der Stand bei Ihrer Strategie „Matchplan“?

Sauren: Es braucht seine Zeit, weil der Plan langfristig angelegt ist. Wir sind aber auf einem sehr guten Weg. Zum Thema Internationalisierung lässt sich beispielsweise sagen, dass wir uns mit zwei japanischen Unternehmen in Gesprächen über eine Zusammenarbeit befinden. Zudem ist eine Japan-Reise geplant, bei der wir vor Ort weitere Unternehmen treffen werden. Die USA ist ein zweiter Kernmarkt, auf dem wir während der Trainingsreise des Profi-Teams im November Kontakte knüpfen wollen.

Wie ist der Umbruch auf der Geschäftsführerebene gelungen?

Wolf: In der Art und Weise, wie Christian Keller und Philipp Türoff zusammenarbeiten, sind unsere Erwartungen deutlich übertroffen worden.

Sauren: Wir haben uns Qualität an Land gezogen, mit der wir auf Management-Ebene ganz oben in der Bundesliga mitspielen. Die Zusammenarbeit ist geradeaus, sachlich und analytisch.

Wann steigt der dritte Geschäftsführer Markus Rejek ein?

Wolf: Zum 1. November.

Was zeichnet ihn aus?

Sauren: Er bringt eine Menge Marketing- und Vertriebsexpertise mit, mit der wir noch mehr PS auf die Straße bringen können. Er gehört auf seinem Gebiet zu den Topleuten.

Wettich: Zudem ist er ein guter Typ, der gut in unsere emotionale Landschaft passen wird.

Beim Thema Geißbockheim-Ausbau sind als Alternativstandorte Marsdorf und Bocklemünd im Gespräch. Wie ist der Stand der Dinge?

Sauren: Der Zug ist nach wie vor zweigleisig unterwegs. Wir machen auf beiden Gleisen Tempo. Hinter den Kulissen wird sehr intensiv gearbeitet. Es ist eine vertrauensvolle vertrauliche Basis entstanden.

Wolf: Wir sind in einem Stadium, in dem es konkret wird. Es gab eine Zeit, in der der Zug nur auf einem Gleis unterwegs und festgefahren war. Es hat eine Menge Energie und Anstrengung erfordert, um wieder Bewegung reinzubekommen. Nun sind wir so weit, dass in den nächsten sechs Monaten etwas passieren wird.

Können Sie sagen, dass es Bocklemünd nicht wird?

Wolf: Bocklemünd ist keine wirkliche Alternative, maximal eine Übergangslösung.

Sauren: Wenn man langfristig denkt, kommt man in Bocklemünd nicht weiter.

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