Analyse nach EM-AuftaktspielDas sind Löws Baustellen in der deutschen Mannschaft

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Joshua Kimmich (links) agierte gegen Frankreich auf der rechten Seite.

Joshua Kimmich (links) agierte gegen Frankreich auf der rechten Seite.

München – Wer Joachim Löw schon länger beobachtet, der weiß: Der Bundestrainer ist eher ein Vertreter der ruhigeren Fraktion. Beim 0:1 zum Auftakt der deutschen Nationalmannschaft bei dieser Fußball-Europameisterschaft gegen Frankreich war der 61-Jährige ungewohnt oft an der Seitenlinie unterwegs, fuchtelte mit den Armen, gab lautstark Anweisungen. Sein letztes Turnier will er erfolgreicher gestalten als beim Vorrundenaus bei der WM 2018. Kann das gelingen? Und wenn ja, wie? Die wichtigsten Fragen und Antworten nach dem Auftakt in München:

Was lief gut gegen Frankreich?

Gegen den schwersten Brocken hat die deutsche Mannschaft auf das gesetzt, was seit 2018 nicht immer zu sehen war: Kampfgeist. „Wir haben alles in die Waagschale geworfen, haben gefightet bis zum Schluss“, betonte der Bundestrainer. Er weiß: Nur so kann sein Team Defizite gegen spielstärkere Gegner ausgleichen. Dazu hat die wohl beste Offensive des Turniers kein Tor gegen die DFB-Auswahl erzielt – zumindest kein reguläres. Die Defensive hielt also stand. Bei zwei Abseitstreffern wurde allerdings auch deutlich: Als die Franzosen ihre Schnelligkeit und Passqualität ausspielten, war die deutsche Mannschaft nur Zuschauer. Sie selbst suchte den Weg über die Flügel, um das starke französische Zentrum zu umgehen. Das war klug, aber zu wenig konsequent. Die Flanken kamen wenn, dann „oft zu hoch“, so Linksaußen Robin Gosens.

Wo hakt es aktuell am meisten?

In der Konsequenz im Angriff. Ja, Frankreich hat auch eine weltmeisterliche Verteidigung. Die Räume sind eng. Die Chancen gering. Ein paar gab es dennoch: Ein Kopfball von Thomas Müller fand aber ebenso wenig das Ziel wie ein Schuss von Sergé Gnabry, der auf dem Tor landete. „Das hat wenig mit Mut zu tun. Vielleicht ist es das letzte Quäntchen Überzeugung, das Glück, das fehlt. Wir haben die Dinger nicht gemacht und stehen mit leeren Händen da, und das kotzt mich an“, sagte Gosens.

Wie haben sich die Rückkehrer gemacht?

Vor dem Turnier von Teilen der Öffentlichkeit und Medien in den Status der Heilsbringer erhoben, war es nicht ihr Tag. Thomas Müller nahm, wie es seine Art ist, ungewöhnliche Laufwege, brachte diesmal so aber eher Unruhe in den Dreier-Sturm als kreative Momente. Mats Hummels erwischte es noch schlimmer. Der Routinier sollte die Abwehr stabilisieren, stattdessen versenkte er einen Angriff der Franzosen im eigenen Tor. Der Bundestrainer machte ihm keinen Vorwurf. „Das ist Pech“, so Löw. Trost gab es auch von Gosens: „Ich werde hingehen und ihm eine Umarmung geben und sagen, dass alles gut ist“, erklärte er. Ob das reicht, um den Patzer aus dem Kopf zu bekommen? In der Nacht schrieb Hummels: „Die Niederlage schmerzt uns sehr und mich besonders, weil mein Eigentor das Spiel entschieden hat.“ An beiden dürfte Löw aber festhalten. Sonst hätte er sie nicht zurückgeholt.

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Ist die Dreierkette die richtige Wahl?

Gegen Frankreich sprach einiges für die Variante. Etwa dass man flexibler umschalten kann. Oder dass Löw das Spiel über die Außenbahnen ankurbeln wollte. Sollte er gegen Portugal umstellen, wäre eine weitere Stelle im Mittelfeld oder Angriff frei.

Gibt es in der Offensive denn Optionen?

Ja. Mit Timo Werner hat Löw den Stürmer von Champions-League-Sieger Chelsea auf der Bank. Auch wenn dessen Torquote nicht zwingend für einen Einsatz spricht, seine Schnelligkeit könnte einen anderen Impuls geben. Ähnliches gilt für Leroy Sané, der mit der Rolle als Einwechselspieler gerade fremdelt. „Leroy braucht seinen Rhythmus, dann ist er überragend“, erklärte Ilkay Gündogan und versicherte: „Wir werden ihm alle helfen.“

Was ist mit Joshua Kimmich?

Diese Frage dürfte auch Löw am meisten beschäftigen. Egal, wo Kimmich spielt, macht er das hervorragend. Doch gegen Frankreich waren zwei Sachen ersichtlich: Auf der Außenbahn entwickelte der Münchner mit seinen kurzen Pässen kaum Gefahr nach vorne. Mehr Druck gab es offensiv über Gosens“ linke Seite. Im Mittelfeld, wo Kimmich zuletzt stark spielte, fehlte er als Taktgeber. Löw muss entscheiden, wo braucht er seinen flexibelsten Spieler am nötigsten? Und sollte das im Mittelfeld sein: Opfert er Gündogan oder Toni Kroos? Oder stellt Löw auf Viererkette um – mit Matthias Ginter oder Lukas Klostermann auf rechts – und schafft so im Zentrum eine weitere Stelle?

Muss Deutschland gegen Portugal gewinnen?

Nein - die Chance auf das Achtelfinale existiert auch bei einem Remis noch. „Natürlich ist jetzt Druck auf dem Kessel“, befand Gosens. Doch selbst mit einer knappen Niederlage könnte Deutschland mit einem Sieg gegen Ungarn als einer der vier besten Dritten weiterkommen.

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