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Früher Torwart, heute JustiziarAndreas Thiel über Sport, Recht und den VfL

Lesezeit 7 Minuten
Andreas Thiel spielte als Handball-Torwart nicht nur für den Vfl Gummersbach, sondern auch für die Nationalmannschaft.

Andreas Thiel spielte als Handball-Torwart nicht nur für den Vfl Gummersbach, sondern auch für die Nationalmannschaft.

Gummersbach – Während der Karriere als Handball-Torwart studierte Andreas Thiel Jura. Heute ist der 61-Jährige schon seit über 25 Jahren Rechtsanwalt und Justiziar der Handball-Bundesliga. Frank Klemmer sprach mit ihm in unserer Serie „Alles was Recht ist“ über Sport, Recht und den VfL Gummersbach.

Sport und Recht: Unter dieser Überschrift steht ja im Prinzip Ihr gesamtes Berufsleben – und nicht erst die Karriere nach dem Sport. Wie kam es dazu?

Andreas Thiel: Am Anfang war es eher eine Verlegenheitslösung. Ich hatte 1979 mit 1,7 ein gutes Abi gemacht, hatte aber nicht die Voraussetzungen für speziellere Fächer, die man damit belegen kann. Also blieben damals im Sommer danach, als meine Bundeswehr-Zeit zu Ende ging, im Prinzip nur BWL und Jura. Die Frist bei der ZVS, der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze, lief ab. Und da habe ich mich für Jura entschieden.

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. . . und für den Handball. Studium und Sport: Wie ging das zusammen?

Am Anfang gar nicht. In den ersten fünf Semestern habe ich im Studium keinen einzigen Schein gemacht. Ich war aber auch nicht der Typ dafür, der einfach aufgibt. Das hätte dann sicher zu Hause Ärger gegeben – auch wenn meine Familie mit Jura nichts am Hut hatte. Also habe ich Gas gegeben. Nach zehn Semestern war ich scheinfrei, nach 15 habe ich mich zum ersten Staatsexamen angemeldet.

Jetzt passte das mit dem Sport?

Auch nicht wirklich. Im ersten Examen habe ich eine gute 3 gemacht, im zweiten dann aber eine 4. Das lag dann auch daran, dass ich 1993 mit Dormagen im Europapokal in Syrakus unterwegs war, während ich eigentlich meine Examenshausarbeit schreiben musste. Für die blieb dann nicht mehr viel Zeit. Aber immerhin: Ich habe es geschafft.

Sport und Studium: Waren Sie damit im Handball die Ausnahme oder war das damals die Regel?

Sagen wir es so: Es fing an, die Ausnahme zu werden. In meiner Generation gibt es noch einige, die neben dem Sport studiert haben. Heute ist das aber nicht mehr so. Da achten die meisten bei der Karriereplanung darauf, dass sie auch nachher irgendwas mit Sport machen können. Und dann macht man allenfalls noch ein Fernstudium im Sportmanagement. Als Jurist war ich aber damals auch in meiner Generation schon die Ausnahme.

Deutscher Meister vor 30 Jahren

Als Torwart kannten Andreas Thiel Generationen von Handballern und Fans wegen seiner Reflexe vor allem unter seinem Spitznamen „Hexer“. Thiel, der 1960 in Lünen geboren wurde, spielte von 1979 bis 1991 für den VfL Gummersbach und 257-mal für Deutschland. Mit den Oberbergern wurde er in dieser Zeit fünfmal Meister, dreimal Pokalsieger und holte je einmal den Europapokal der Landesmeister sowie den IHF-Pokal sowie den IHF-Goldpokal.

Zum Abschied vor 30 Jahren, bevor Thiel nach Dormagen wechselte, gewann er mit dem VfL die erste gesamtdeutsche Meisterschaft. Den Titel feiert das Team von damals an diesem Wochenende – unter anderem mit einem Besuch beim Spiel gegen den damaligen Dauerrivalen TuSEM Essen. (kmm)

Sie haben die Juristerei dann tatsächlich auch zum Beruf gemacht. Wie sehr hat Ihnen der Sport dabei geholfen?

Ohne den Handball hätte das nicht geklappt. Nach dem Examen habe ich erstmal einfach weiter in Dormagen Bälle gehalten. Irgendwann habe ich mir dann die Zulassung als Rechtsanwalt geholt – mit dem Wohnzimmer in Nippes als Kanzleisitz. Über den Verein habe ich dann den Einstieg bei einer großen Kölner Kanzlei geschafft. Da habe ich mein gesamtes Rüstzeug gelernt. Das waren drei harte Jahre. Auf den Gerichtsfluren hilft es einem nichts, dass man ein erfolgreicher Sportler ist. Ich habe mich schnell auf Familienrecht spezialisiert und später auch meinen Fachanwalt gemacht. Zu der Kanzlei habe ich bis heute einen guten Kontakt, aber 1998, als man sich dort vom Familienrecht verabschiedet hat, habe ich mich selbstständig gemacht. Heute nährt das Familienrecht einen kleinen Laden hier in Köln, den ich mit einem Partner zusammen betreibe.

Ernährt Sie auch das Sportrecht? Auf Ihrer Visitenkarte steht es jedenfalls drauf.

Nein, vom Sportrecht allein kann man abseits des großen Fußballgeschäftes nicht leben. Und da decken meistens die Beraterfirmen die anwaltliche Beratung mit ab. In den anderen Sportarten gibt es dieses Geschäft so nicht.

Es sei denn, man wird Justiziar der Bundesliga wie Sie.

Das war auch eher Zufall. Der erste Kontakt kam 2003 zustande, auch deshalb weil ich der einzige Jurist war, den man bei der Liga kannte. Der HBL-Spielleiter Uwe Stemberg hat sich danach dann bei seinen Entscheidungen immer bei mir rückversichert, ob das so richtig ist. Da war ich eher juristischer Berater. Irgendwann hat man dann aber gemeint, dass man das in eine andere Form gießen muss. Und so wurde ich zum Teilzeitjustiziar.

In dieser Funktion treffen Sie und die HBL heute Entscheidungen, die Einfluss auf Meisterschaften oder auf den Aufstieg haben – wie im Frühjahr beim Spiel Ferndorf gegen Gummersbach. Wer entscheidet da? Der Jurist Thiel? Oder der frühere Torwart?

Zunächst einmal die Regeln, die wir uns selbst gegeben haben. Auch die können kompliziert sein. Im Fall von Ferndorf, wo ein Spieler, der nicht auf dem Spielberichtsbogen stand, ein Tor geworfen hat, war die Entscheidung nach einem Urteil des Bundesgerichts einfach: Die Regeln des europäischen Verbandes schlagen unsere bis dahin anderslautenden Regeln. Das heißt: Wenn die Höchstzahl der Spieler auf dem Bericht nicht ausgeschöpft wurde, führt der Einsatz eines dort nicht aufgeführten Spielers, der aber sonst spielberechtigt gewesen wäre, nicht dazu, dass das Spiel zugunsten des Gegners gewertet wird.

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Weniger einfach dürfte es beim Corona-Abbruch der Frauen-Bundesliga gewesen sein. Während allerorten Meister gekürt wurden, auch bei den Männern, haben Sie als Vorsitzender der Liga Tabellenführer Borussia Dortmund die Meisterschaft verwehrt. Wieso war das richtig?

(grinst) Weil ich glaube, dass die HBL es falsch gemacht hat. Und es gab tatsächlich nicht nur bei uns keinen Meister. Frankreichs Handball-Frauen-Liga hat ebenfalls darauf verzichtet und ich glaube, auch in Litauen gab es einen Fall . . .

Da haben Sie aber lange nach suchen müssen . . .

(lacht) Ich bin ja auch oft gefragt worden. Aber im Ernst: Einen Unterschied gibt es wirklich zwischen Männern und Frauen bei dieser Frage: Der THW Kiel war zum Zeitpunkt des Abbruchs die einzige Mannschaft, die noch aus eigener Kraft Meister werden konnte. Dortmund hingegen hatte nur einen Punkt Vorsprung auf Bietigheim und beide hätten noch gegeneinander gespielt. Das ist schon etwas anderes.

Gibt es auch Entscheidungen, bei denen der Sportler noch durchkommt?

Alle Entscheidungen über persönliche Strafen, also bei der sogenannten Blauen Karte. Da muss ich gemeinsam mit einem Kollegen nach dem Vier-Augen-Prinzip entscheiden, wie lange jemand über die automatische Sperre von einem Spiel hinaus nicht spielen darf. Da bin ich Papa Gnädig: Mehr als drei Spiele Sperre haben wir da noch nie verhängt.

Mal abgesehen von juristischen Streitfragen über Auf-, Abstieg- oder Spielersperren: Was verbinden Sie heute noch mit dem VfL Gummersbach?

Die zwölf Jahre dort waren für mich eine prägende Zeit und die schönste, die ich im Sport hatte. Wir sind fünfmal Deutscher Meister geworden und haben viele weitere Titel gewonnen. Das war Leistungssport, wir mussten jedes Spiel gewinnen. Nach jeder Niederlage gab es eine Krisensitzung – fast noch extremer als heutzutage im Fußball beim FC Bayern, also. Das war genau das Richtige für mich. Denn ich galt ja sonst immer nur als gut in den wichtigen Spielen – und nicht unter der Woche abends beim Tabellenletzten. Das habe ich später in Dormagen so nicht mehr gehabt.

Sind Sie noch oft in Gummersbach?

Im Prinzip gar nicht mehr. Nur eben alle fünf Jahre wie jetzt am Wochenende zur Feier der gesamtdeutschen Meisterschaft vor 30 Jahren. Da sehen wir uns zusammen auch das Spiel gegen Essen an. Auch das zeigt den Zusammenhalt der Truppe von damals.

Nicht als Jurist, sondern als Sportler: Gönnen Sie dem VfL den Aufstieg?

Für uns als HBL ist das überhaupt keine Frage, dass der Abstieg eines Vereins mit der Tradition und den früheren Erfolgen des VfL ein großer Verlust für die Bundesliga war. Das haben ja auch die Einschaltquoten bei Sky gezeigt. Aber im Moment sieht es ja mit einer Rückkehr ganz gut aus.

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