Karl Lauterbach im Interview„Die EM-Pläne sind verantwortungslos“

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Karl Lauterbach Interview

Für den Wahlkreis  Köln-Mühlheim/Leverkusen im Bundestag: Karl Lauterbach. 

  • Karl Lauterbach gilt in der Corona-Krise als geradliniger Experte.
  • Im Interview mit Benjamin Kraus nennt der SPD-Politiker die EM-Pläne der UEFA verantwortungslos und kritisiert aktuelle Projekte zur Zulassung von Fans beim Fußball als „Alibi-Modellversuche“.

Herr Lauterbach, die Zahl der Corona-Fälle im Profifußball stieg zuletzt. Woran liegt das? Das ist einfach: an der neuen Variante B.1.1.7, die sehr viel ansteckender ist. Viel kürzere Verweildauern in Duschkabinen, Hotelzimmern oder Gesprächsräumen reichen nun für Infektionen. Wir haben jetzt eine Situation, in der auch Fußballer häufiger – und schwerer – erkranken werden.

Wie groß ist das Gesundheitsrisiko für die Profis?

Ein tödlicher Verlauf ist bei ihrer Fitness und in ihrem Alter sehr unwahrscheinlich. Aber das Long-Covid-Risiko ist real: Chronische Müdigkeit und Erschöpfung nach Belastungen sowie Herz- und Gefäßprobleme, die das sofortige Karriereende bedeuten können. Neuere Studien zeigen: Das Long-Covid-Risiko liegt in der Altersgruppe von Fußballern bei zehn Prozent. Es gibt keine speziellen Daten zu Profisportlern, aber wir wissen etwa von Ausdauersportlern, die, zuvor topfit, nun massiv an Long-Covid leiden. Dies muss man Menschen, deren Gesundheit ihr Kapital ist, ehrlich mitteilen.

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Und dann? Können Sie sich vorstellen, dass Profis nicht mehr antreten für ihren Klub?

Vorstellen kann ich mir das schon. Klar, sie sind ehrgeizig, stehen unter Druck. Aber das gilt für alle Arbeitnehmer, die in der Pandemie ihrem Job nachgehen und sich Risiken aussetzen.

Karl Lauterbach

Der SPD-Politiker und Mediziner ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags und als Harvard-Professor ausgewiesener Gesundheitsexperte. Der 58-Jährige hat Fußball gespielt und Kampfsport betrieben, bis heute spielt er zweimal die Woche Tischtennis und hält sich durch regelmäßiges Joggen fit.

Wenn nun mehr Fälle auftreten – müsste das Hygienekonzept der DFL verschärft werden?

Ich glaube nicht, dass dieses Konzept noch wesentlich verschärft werden kann. Man wird mit der gestiegenen Zahl der Infektionen im Profifußball leben müssen. Wichtig ist: Das Konzept darf jetzt keinesfalls aufgeweicht werden. Bei nachgewiesenen Fällen muss es, wie zuletzt in der 2. Bundesliga, zwingend zu Spielabsagen kommen.

Aus Sicht des integren Wettbewerbs kann das zunehmend schwierig werden: bei steigendem Termindruck oder wenn am letzten Spieltag alle Partien gleichzeitig laufen sollten.

Ich kann nur wiederholen: Wenn Fälle im Mannschaftskreis entdeckt werden, müssen Spiele immer zwingend ausfallen.

Könnten verpflichtende Quarantäne-Trainingslager für Profiteams helfen, im Saisonfinale Corona einzudämmen?

Das könnte ein taugliches Mittel sein, wenn die Quarantäne strikt eingehalten wird und alle Beteiligten täglich getestet werden.

Viele Fußball-Beobachter irritiert, dass manchmal nur einzelne Spieler und manchmal ganze Teams in Quarantäne müssen. Warum ist das so?

Das kann ich auch nicht gut erklären – die zuständigen lokalen Gesundheitsämter sind hier sehr unterschiedlich vorgegangen. Eigentlich ist die Regel klar, dass ganze Teams oder Spieleinheiten in Isolation gehen müssen, wenn Fälle in ihrem Kreis auftreten. Die einzig denkbare Erklärung für den Verzicht auf Teamquarantäne ist, dass alle Spieler immer vor dem Zusammentreffen als Mannschaft so engmaschig kontrolliert worden sind, dass für jeden Tag feststand, dass keiner von ihnen ansteckend gewesen ist. Aber wirklich überzeugend ist das nicht. Es gibt auch keine genaue Auswertung oder Aufarbeitung der Corona-Fälle im Profifußball, was die Nachvollziehbarkeit in dieser Sache erschwert.

Wie sehen Sie generell den Weg, den der Fußball in der Corona-Zeit genommen hat?

Man muss sagen, dass der Profibetrieb zu Beginn der Pandemie schnell gelernt hat. Vom Hygiene- und Geisterspielkonzept war ich zuerst nicht so sehr angetan. Aber ich erkenne an, dass ich mich da getäuscht hatte, weil es lange wirklich respektabel funktioniert hat. Die Spiele im TV liefern den Fans zumindest ein wenig Normalität und Ablenkung – und dass sie als Geisterspiele ohne Zuschauer im Stadion ausgetragen werden, sendet genau das richtige Signal.

Zuletzt strebten immer mehr Sport-Standorte eine Zuschauer-Teilzulassung über Modellversuche an.

Die Bundesregierung wird nun per Gesetz Modellversuche aller Art ausschließen an Orten, an denen die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 liegt. Zuletzt haben wir oft – gerade auch abseits des Sports – die Etablierung von Alibi-Modellversuchen gesehen, die vielmehr Lockerungen durch die Hintertür waren. Modellversuche müssen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und sollen begrenzt laufen: Nicht in allen Stadien, wo das mit Blick auf die Inzidenz auch künftig theoretisch möglich wäre.

UEFA-Chef Aleksander Ceferin drängt darauf, zu Spielen der Europameisterschaft ab Juni möglichst viele Fans zuzulassen – bei einem Event in zwölf Ländern, bei dem die Teams kreuz und quer durch Europa reisen sollen. Was halten Sie von diesen Plänen?

Nichts. Das ist verantwortungslos.

Viele Kreisliga-Kicker beklagen das Verbot ihres liebsten Hobbys. DFB-Mannschaftsarzt Tim Meyer sagt, es gebe keinen nachgewiesenen Corona-Übertragungsfall während des Spiels selbst. Ist das Argument in Zeiten der britischen Mutante noch haltbar?

Das ist schwer einzuschätzen, weil es nach wie vor keinerlei Studien dazu gibt. Was mich überrascht: Die Deutsche Fußball-Liga hat bis dato nie sauber in einem Experiment untersuchen lassen, wie groß das Infektionsrisiko in einem Fußballspiel wirklich ist. Auch keine andere Fußball-Institution hat das getan, obwohl ein solches Experiment mit Kontrollgruppen absolut machbar ist. Grundsätzlich ist das Ansteckungsrisiko in Kabinen, Duschen und bei der Anreise sicher größer als beim Fußball selbst.

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Welche Perspektive hat für Sie die Rückkehr des Mannschaftssports in der Breite?

Erst müssen wir die Infektionszahlen dauerhaft deutlich unter 100 drücken: mit der konsequenten Durchsetzung von Notbremse, Lockdown und Ausgangssperren. Die Senkung der Zahlen ist zwingende Voraussetzung für jede Lockerung, auch im Sport. Gelingt sie, könnte zuerst der Freiluftsport zurückkehren. An der frischen Luft ist das Ansteckungsrisiko viel niedriger als in der Halle, wo ausgeatmete Aerosole im der Luft des geschlossenen Raumes stehen bleiben. Auch Freiluft-Fußball kann ich mir perspektivisch vorstellen, wenn vorher jeder Spieler einen Antigen-Test macht, den unbeteiligte Dritte abnehmen. Eine Idee, die man vielleicht im Amateursport ausprobieren könnte.

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