Kölner HaieSo helfen die Fans dem Verein mit viel Geld aus der Krise

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Lange ist’s her: Die Kölner Haie in der Arena und dann noch mit Zuschauern,  Spiel gegen Berlin im Januar.

Köln – Block 218, Reihe 4, Sitz 1. Nicole Boes hat ihren Platz in der Lanxess-Arena lange nicht mehr gesehen. Über die letzte Saison spricht die Dauerkarteninhaberin ohnehin nicht so gerne, sie endete nicht sehr ruhmreich, die Haie verpassten die Play-off-Spiele. Doch im Vergleich zur Lage des Clubs heute war die Spielzeit eine Erfolgsgeschichte.  Schon weil die Fans dabei sein konnten.  Nun geht es für die Haie um mehr als nur Sieg oder Niederlage. Es geht ums Überleben, um alles.

„Wir wissen ja nicht, ob die nächste Saison überhaupt beginnen kann“, sagt die 44-Jährige, die 1995 das erste Spiel  live gesehen  hat. Das war noch im alten Eisstadion, das Derby gegen Düsseldorf. „Ich bin ein Kind der Lentstraße“, sagt sie. Dieser direkte Kampf, das raue Spiel, aber auch die Technik der Athleten aus nächster Nähe beobachten zu können, das habe sie fasziniert. So sehr, dass sie ihren Mann Markus, von Hause aus FC-Fan, mit aufs Eis gezogen hat. Seit fast 20 Jahren besitzen beide eine Dauerkarte. Auch in diesem Jahr, für 26 geplante Heimspiele. 655 Euro kostet eine Karte.  Sie haben das Geld an die Haie gespendet. Es muss ja weitergehen.

Die Haie am Leben halten

Vor drei Wochen hat der Traditionsverein einen Hilferuf in die Stadt geschickt.  Mit dem Verkauf 100 000 sogenannter „Immer wigger“-Tickets  sollen eine Million Euro zusammenkommen. Das ist Voraussetzung um, die Haie am Leben zu halten (siehe Infotext) und am Spielbetrieb teilnehmen zu können. Nachdem die Aktion eher schleppend anlief, stieg das Spendenbarometer zuletzt sprunghaft an.

Ticketverkauf ist extrem wichtig

60 Prozent des Gesamtumsatzes macht allein der  Ticketverkauf bei den Heimspielen der Kölner Haie aus, mit Merchandising-Verkauf und anderen Zusatzeinnahmen sind es sogar 80 Prozent. Die Abhängigkeit aller Eishockeyclubs von den Zuschauereinnahmen ist  extrem hoch.  Vorige Saison kamen im Schnitt mehr als 13 000 Zuschauer zu den Heimspielen in die Lanxess-Arena – mehr als bei jedem anderen Verein der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). „Dadurch fallen wir besonders tief“, sagt Haie-Sprecher Jan Brockhausen. Die Kölner Arena ist die größte Eishockey-Halle der Republik. Dass die Clubs der Fußball-Bundesliga ohne Zuschauer in die Saison starten konnten, liegt an den horrenden Summen, die für die Fernsehrechte gezahlt wurden – etwa eine Milliarde Euro pro Saison. Während bei den Kickern selbst ein Aufsteiger 30 Millionen Euro TV-Gelder pro Saison einstreicht und die Bayern als Krösus sogar 70 Millionen Euro bekommen, zahlt die Telekom mit ihrem bezahlpflichtigen „Magenta TV“  fünf Millionen Euro für die Übertragungsrechte im Eishockey. Wohlgemerkt für die ganze Saison. Jeder Club bekommt 285 000 Euro. 10 Euro kosten die „Immer wigger“-Tickets, von denen der Club  noch rund 9 000 verkaufen muss, um den Spielbetrieb für diese Saison sicherzustellen. „Wir sind auf einem sehr guten Weg, weil so viele Fans auf die Rückgabe ihrer Dauerkarten verzichtet haben“, sagt Brockhausen. Mit einer solchen „Welle der Hilfsbereitschaft“ habe der Club nicht rechnen können. Die Haie warten zudem auf 800 000 Euro aus staatlichen Hilfen. Bei der Rettungsaktion gehe es nicht nur um die Zukunft der Haie. „Letztlich geht es um den Eishockey-Standort Köln“, gibt Brockhausen zu bedenken. Am Donnerstag werden die 14 Clubs der DEL über den Ligastart entscheiden. Als wahrscheinlich galt zuletzt, dass der Spielbetrieb am 18. Dezember startet. Eine Idee ist, mit einer unter Nord- und Süd-Clubs aufgeteilten, kürzeren Vorrunde zu spielen . (tho/mft)

Das lag daran, dass rund 90 Prozent der  5000 Dauerkartenbesitzer  auf eine Erstattung das Kaufpreises verzichtet haben. Dies wurde einberechnet, somit stiegt der Ticketverkauf von 37 000 auf über 91 000 an, sehr in die Nähe der Zielmarke. „Unsere Fans und Sponsoren stehen wie eine Wand hinter uns“, sagte Haie-Geschäftsführer Philipp Walter.

Treue Anhänger sammeln eine halbe Million Euro

In Summe haben die treuesten Fans dem Verein fast eine halbe Millionen Euro vermacht. Es sind Anhänger wie Nicole Boes. Mit beiden Dauerkarten verzichtet das Paar auf 1300 Euro. Zusätzlich haben sie zehn „Immer wigger“-Karten für insgesamt 100 Euro gekauft. Und die Extra-Einkaufstouren im Fan-Shop waren auch nicht ohne. Für das Geld hätten  sie sich auch einen schönen Urlaub leisten können. Warum das alles?

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„Immer wigger“: Nicole Boes hat zehn Unterstützer-Karten gekauft und das Geld für ihre Dauerkarte den Haien geschenkt.

Schon die Frage ist falsch gestellt, findet die Versicherungskauffrau. Die Haie gehörten doch zum Leben. Der Biorhythmus ist gestört, wenn die Profis nicht mindestens zwei Mal in der Woche dem Puck nachjagen und sie nicht mit Freunden rüber zur Arena fahren  können. Wie ihr Mann ist sie Mitglied im Fan-Club „Hainzelmännchen“. In der  Bickendorfer Wohnung spiegelt sich die ganze Leidenschaft. Neben dem Fernseher sind zwei Vitrinen prall gefüllt mit Haie-Devotionalien. Gläser, Plüschtiere, alte Eintrittskarten auch aus dem Jahr 2002, der Saison des letzten Meistertitels. In Mannheim fand das entscheidende fünfte Spiel statt. „Und ich konnte nicht dabei sein“,  sagt Boes, im letzten Heimspiel war der erlösende Sieg noch verpasst worden. Das waren Zeiten.

Nicht die erste Krise

Das Spiel am Abgrund ist für die Haie nichts Neues. Nach der Beinahe-Pleite im Dezember 2008 und dem Rückzug des einstigen Mäzen Heinz Hermann Göttsch stand der Club auch 2010 vor dem Aus. Nach der Wirtschaftskrise ging der Kartenabsatz deutlich zurück, die hohen Mietkosten für Trainingszentrum und Arena drückten, es klaffte ein Millionenloch. Der Gang zum Insolvenzverwalter konnte damals noch abgewendet werden, was viele der Strahlkraft des neuen Trainers Uwe Krupp zugeschrieben haben. Krupp ist auch heute wieder Coach – und wie nie zuvor als Krisenmanager gefragt.

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Christian Pick mit seiner Frau Sandra.

Auch Christian Pick hat als Lebensretter Erfahrung. Das „Wir sind Haie“-Retter-Shirt von 2010 hat er noch. Aber die Krise damals sei kein Vergleich zur   aktuellen. Es sei schwer  auszuhalten, „dass eine ganze Sportart ins Straucheln gerät“. Während die Fortführung des Spielbetriebs in der Fußball-Bundesliga wie eine  nationale Aufgabe behandelt worden sei, gerieten Handball, Basketball und eben auch Eishockey in Vergessenheit. Die Spieler verdienen in der Regel weniger als ein Zweitliga-Kicker, aber anders als die FC-Spieler haben die Haie-Profis auf bis zu 60 Prozent des Gehalts verzichtet.

„Ich glaube, dass es im Dezember weitergeht“

Pick (33) hat ebenfalls einen Teil seines Dauerkartenbeitrags gespendet. Der Euskirchener arbeitet im Stadthaus, wenn „der Hai“ spielt, muss er nur wenige Schritte zur Arena herübergehen. Schöner Alltag. „Ich glaube schon, dass es im Dezember mit dem Ligabetrieb  weitergeht“, sagt er. „Wenn es drauf ankommt, hält die Eishockey-Familie doch zusammen.“

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Im Flur von Nicole Boes hängt eine sehr persönliche, fotografische  Würdigung von Kapitän Moritz Müller. „Das haben nur der Moritz und ich“, sagt sie nicht ohne Stolz. Müller läuft derzeit für den Zweitligisten Kassel Huskies auf. Der Nationalspieler hat sich wie andere Akteure selbst angeboten, um bis zum Saisonstart im Rhythmus zu bleiben. Noch so eine skurrile Wendung in dieser beispiellosen Zeit. Boes hofft, dass sie ihn in im neuen Jahr wieder in der Arena sehen kann, wenn die Zeit der Geisterspiele hoffentlich vorbei ist. „Aber erstmal bin ich froh, wenn die Haie wieder auf dem  Eis sind.“

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