„Die Stahlindustrie profitiert vom Krieg“IG-Metall-Chef für Übergewinnsteuer

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IG-Metall-Bundesvorsitzender Jörg Hofmann.

IG-Metall-Bundesvorsitzender Jörg Hofmann.

In der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie stehen die Zeichen auf Streik. Die IG Metall fordert 8,2 Prozent mehr Lohn und erhöht den Druck. Gewerkschaftschef Jörg Hofmann nimmt angesichts von Rekordinflation und Energiekrise aber auch den Staat in die Pflicht.

Herr Hofmann, angesichts Ihrer Lohnforderungen fühlt man sich in die 70er-Jahre zurückversetzt, als es zum letzten Mal so hohe Abschlüsse gab. Gehen Sie vorwärts in die Vergangenheit?

Das ist nicht vergleichbar. Wir haben uns während der Corona-Pandemie bei den Löhnen zurückgehalten und auf die Beschäftigungssicherung konzentriert. Die letzte tarifwirksame Erhöhung hatten wir im Stahl 2019, in der Metall- und Elektroindustrie 2018. Jetzt haben wir beim Stahlpreis ein Allzeithoch, die Tonne geht für 1300 bis 1400 Euro weg, vor dem Krieg waren es 1000 und in den Jahren davor um die 400 Euro.

Ist doch gut, dass die Stahlindustrie Geld verdient …

… ja, aber es ist auch genug da, die Kolleginnen und Kollegen anständig zu bezahlen. Wir müssen damit ja im Grunde zwei Jahre abdecken.

IG-Metall Vorsitzender: „Die Stahlunternehmen verdienen aktuell hervorragend“

Aber Sie fordern die 8,2 Prozent doch für eine Laufzeit von einem Jahr.

Das ist richtig, aber 2022 gab es bisher keine Erhöhung. Dieser Tarifvertrag muss also dieses und weite Teile des kommenden Jahres abdecken. Eine Zeit, in der die Haushalte massiv unter der Rekordinflation leiden werden. Die Stahlunternehmen verdienen aktuell hervorragend, der Billigstahl aus Asien kommt nicht mehr nach Europa, das macht den Stahl hier knapp und teuer. Die Branche, das gehört zur Wahrheit dazu, profitiert indirekt von dem schrecklichen Krieg in der Ukraine.

Sagen Sie das nicht zu laut, sonst muss die Stahlindustrie noch eine Kriegsgewinnsteuer zahlen, die SPD und Grüne durchsetzen wollen.

Das könnte sein, wäre aber verkraftbar. Ich finde die Idee einer Übergewinnsteuer sehr in Ordnung. Vier von fünf Unternehmen unserer Branchen können die gestiegenen Kosten über die Preise weitergeben. Andere, etwa die Mineralölkonzerne, packen sogar noch ein Schnäpschen obendrauf, die verdienen kräftig am Tankrabatt. Derjenige, den es am Ende trifft, ist der letzte in der Futterkette. Das sind die Privathaushalte. Hier muss der Staat helfen. Dafür wären ein paar Euro mehr Steuern aus Übergewinnen nicht verkehrt.

Die dritte Verhandlungsrunde im Stahl brachte wieder kein Ergebnis. Was erwarten Sie für die vierte Runde am 14. Juni?

Was die Arbeitgeber bisher angeboten haben, ist bei der Prozentzahl deutlich zu gering und in der Laufzeit zu lang. Ich erwarte, dass die Arbeitgeber in sich gehen, sich noch einmal ihre glänzenden Bilanzen vergegenwärtigen und dann ein Angebot vorlegen, das die Beschäftigten wirklich fair am Erfolg beteiligt. Sonst wird es ungemütlich.

Hofmann: Staatliche Entlanstungsmaßnahmen sind notwendig

Der Inflationsausgleich war immer ein Argument der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen. Ist nun den Beschäftigten Ihre Forderung nicht noch zu niedrig?

Die Debatte, ob es reicht, gibt es. Die Inflation von derzeit acht Prozent und auch absehbar 2023 weiter steigend, können wir alleine nicht ausgleichen. Dazu braucht es auch staatlicher Entlastungsmaßnahmen. Wir wollen und werden einen ordentlichen Lohnabschluss erzielen. Alles andere wäre aber unrealistisch und auch nicht gut.

Warum?

Weil diese Inflation und die Energiekrise keine marktwirtschaftlichen Ursachen haben, sondern geopolitische. Jeder Haushalt muss in diesem Jahr durchschnittlich 1000 Euro und im kommenden Jahr weitere 2500 Euro mehr allein für die Energiekosten zahlen. Hinzu kommen die steigenden Lebensmittelpreise. Einen solchen externen Preisschock können die Tarifpartner nicht allein auffangen, dafür braucht es einen staatlichen Ausgleich.

Klingt, als scheuten auch Sie eine Lohn-Preis-Spirale – eigentlich das Hauptargument der Arbeitgeber gegen Ihre hohe Forderung.

Unsere Forderung ist völlig angemessen. Ich sehe keine Lohn-Preis-Spirale in Deutschland, eher eine Profit-Preis-Spirale.

Aber ein möglicher hoher Tarifabschluss hätte diesmal keinen Vorbildcharakter für andere Branchen, oder?

Ich sehe die Stahlindustrie schon in einer Sonderkonjunktur, doch auch in anderen Branchen sind die Auftragsbücher voll. Und die unterbrochenen Lieferketten drücken in einigen Bereichen vielleicht die Produktionsmengen, aber nicht die Gewinne. Viele nutzen den Teilemangel dafür, sich auf die margenstärksten Produkte zu fokussieren. Ein Autobauer, der nur wenige Chips verbauen kann, steckt sie in seine teuersten und nicht in die Massenmodelle.

Die Stahlindustrie ist sehr abhängig von der Autoindustrie. Wenn die weniger produziert – schlägt das nicht bald auf die Stahlindustrie zurück?

Die Autoindustrie nimmt weniger Stahl ab. Aber der Maschinenbau, Spezialfahrzeuge etwa für die Schiene und die maritime Wirtschaft boomen, sie alle nehmen dafür mehr ab. Und auch der Rüstungskonzern Rheinmetall verbaut Stahl.

Neue Warnstreiks

Im Tarifstreit der nordwestdeutschen Stahlindustrie finden am Montag neue Warnstreiks statt. Nachdem am Freitagabend die dritte Verhandlungsrunde ohne Ergebnis geblieben war, beschloss die Tarifkommission Arbeitsniederlegungen in neun Städten. Die Arbeitgeber hatten zuletzt ein neues Angebot vorgelegt. Es sieht ein Lohnplus von 4,7 Prozent über eine Laufzeit von 21 Monaten vor. Die Gewerkschaft fordert 8,2 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten.

Laut der IG Metall haben sich seit dem 1. Juni rund 16000 Beschäftigte in 50 Betrieben an Warnstreiks beteiligt. Das Tarifgebiet Nordwestdeutschland umfasst vor allem NRW, Niedersachsen und Bremen. In der Branche sind dort etwa 68000 Menschen beschäftigt. (dpa)

„Warum Rentner und Arbeitslose die Energiepauschale nicht erhalten, kann ich aber nicht nachvollziehen.“

Im Moment leiden vor allem Geringverdiener, Rentner und Studierende darunter, dass alles teurer wird. Ihre Mitglieder gehören nicht zu diesen Gruppen, ihnen muss also der Staat helfen. Tut er genug?

Er tut einiges, die Hilfen sind in der Summe durchaus beträchtlich. Warum Rentner und Arbeitslose die Energiepauschale nicht erhalten, kann ich aber nicht nachvollziehen. Das ist nicht sozial ausgewogen und geht sicher zielgenauer. Vor allem aber muss der Staat über dieses Jahr hinausblicken, die Lebenshaltungskosten werden sich auf einem höheren Niveau einpendeln. Das muss auch der Sozialstaat abbilden und den besonders Bedürftigen helfen.

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Sie setzen deshalb auf dauerhafte Tariferhöhungen statt Einmalzahlungen. Sollte die Politik von Ihnen lernen?

Die Pauschalen helfen aktuell, schon für das kommende Jahr wird es aber weitere Hilfspakete geben müssen. Und wenn der Staat wirklich 2023 wieder die Schuldenbremse einhalten will, muss er die Hilfspakete schon in diesem Jahr auf den Weg bringen. Wirksamer als Einmalzahlungen wären sicher mittelfristig wirkende Maßnahmen wie ein Gaspreisdeckel.

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